# taz.de -- Fußballspiele mit Publikum in Berlin: Sollen die Fans singen? | |
> Union will wieder vor Publikum spielen. Auch der Amateurfußball lechzt | |
> nach Zuschauer*innen. Die Vereine beklagen einen Flickenteppich an | |
> Regeln. | |
Bild: So war es, so soll es wieder sein, wünscht sich Union Berlin | |
Berlin taz | Üblicherweise ist ja Hertha zuständig für die skurrilen | |
Fußballmeldungen in der Stadt. Die jüngste kam aber von Union. Da gab der | |
Männer-Bundesligist bekannt, sein Stadion in der neuen Saison [1][wieder | |
komplett auslasten] zu wollen, mit Coronatests für alle ZuschauerInnen vor | |
jedem Heimspiel. „Unser Stadionerlebnis funktioniert nicht mit Abstand, und | |
wenn wir nicht singen und schreien dürfen, dann ist es nicht Union“, | |
verkündete Präsident Dirk Zingler. | |
Wen kümmern schon begrenzte Testkapazitäten, 20.000 drängelnde Menschen im | |
Köpenicker Nahverkehr oder die Möglichkeit einer späteren Ansteckung: | |
Köpenick first. Der Fußball ringt derzeit in Berlin und anderswo um | |
Konzepte für Publikum, die mögliche zweite Welle immer im Nacken. | |
Der aktuelle Vorschlag der Deutschen Fußball-Liga (DFL) sieht für den | |
hochklassigen Männerfußball ein Stehplatz- und Alkoholverbot, keine | |
Gästefans, keine Gesänge und personalisierte Tickets vor. Am Dienstag | |
stimmen die Profiklubs darüber ab. Fans fürchten um eine autoritäre Zähmung | |
durch die Hintertür, und immer geht es auch darum, wer die beste Lobby hat. | |
Unions Lokalrivale hat noch keine Antworten auf die große Frage dieser | |
Saison. Auf Anfrage teilt Hertha BSC mit, man befinde sich derzeit noch | |
„mitten im Prozess“ eines Konzepts, und der sei „recht komplex“. Fans | |
wollen eigentlich alle, es geht ja um Geld und Stimmung. | |
Auch der dritte Erstligist der Region, Turbine Potsdam, will vor Publikum | |
spielen, dort stehen aber noch Infos des zuständigen DFB etwa zu | |
Stehplätzen aus. Derzeit ist der Verein im Austausch mit dem benachbarten | |
SV Babelsberg. „Durch die Doppelnutzung des Karl-Liebknecht-Stadions ist es | |
sinnvoll, ein gemeinsames Konzept vorzulegen“, sagt Potsdams Sprecherin Uta | |
Zorn. Am 20. August soll es stehen. Doch regionale Unterschiede sind | |
absehbar. | |
„Jeder Verein in der Frauen-Bundesliga muss sich mit dem lokalen | |
Gesundheitsamt absprechen“, sagt Zorn. „Ein Flickenteppich ist | |
wahrscheinlich. Bayern und Wolfsburg mit eigenem Stadion können ganz anders | |
agieren als die Vereine, die sich das Stadion mit mehreren Vereinen | |
teilen.“ | |
Seit der Sommerpause hat Turbine zumindest in anderer Hinsicht strukturell | |
aufgerüstet. Es gibt jetzt einen hauptamtlichen Trainer und am 30. Juni | |
wurde offiziell eine Kooperation mit Hertha BSC verkündet. Zunächst für | |
drei Jahre will Hertha den Verein finanziell unterstützen und auf | |
sportlicher und inhaltlicher Ebene mit den Potsdamerinnen kooperieren. | |
Auch im Hobbyfußball ist die anfängliche Hoffnung auf einen schnellen | |
Impfstoff der Erkenntnis gewichen, dass der Weg lang wird und man irgendwie | |
weitermachen muss, Wünsche und Verantwortung und Geldeinnehmen | |
gegeneinander abwägend. Als letztes Bundesland hat Berlin am 21. Juli auf | |
großen Druck mit dem Team- und Kontaktsport begonnen. | |
Wer konnte, wanderte schon vor der Freigabe zu Testspielen nach Brandenburg | |
ab, da waren sie nämlich erlaubt. Nun soll ab dem 21. August auch Publikum | |
zum Berliner Amateurfußball kommen dürfen. Bis Ende August in Form von | |
maximal tausend ZuschauerInnen, ab Anfang September wären es 5.000. | |
Doch das derzeit bestehende Verbot stellt gerade den Jugendfußball vor | |
Probleme. „Beim Training dürfen die Eltern an den Platz, bei Testspielen | |
nicht. Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, klagt etwa Jochen Keutel, | |
Vorsitzender des Amateurvereins SV Schmöckwitz-Eichwalde, der Jungs- und | |
Mädchenfußball anbietet. „Für Kinder macht das Testspiele fast unmöglich. | |
Ich weiß nicht, wie ich das durchsetzen soll.“ Denn die Eltern bringen die | |
Kinder und holen sie ab, sollen aber dann nicht zum Spiel bleiben. Auch | |
Fahrgemeinschaften sollen sie nicht bilden. | |
## Eine Frage der Logik | |
Gleichzeitig seien ja sonstige Freiluftveranstaltungen mit bis zu tausend | |
Leuten erlaubt. „Unsere Vereinsgaststätte darf auch aufmachen. Da dürfen | |
die Leute hinkommen und ihr Bier trinken, aber sie dürfen nicht zum | |
Spielfeld gehen? Regeln müssen irgendwie logisch sein.“ Keutel berichtet, | |
der Berliner Fußball-Verband (BFV) habe ihm auf seine Beschwerde sinngemäß | |
geantwortet, ja, das sei komisch, aber er habe sich dran zu halten, sonst | |
dürfe man gar nicht mehr spielen. „Man traut sich nicht, das zu ignorieren, | |
aber durchsetzen kann ich es auch nicht.“ Der BFV bestätigt auf Rückfrage, | |
dass diese Regel „häufig hinterfragt“ werde. | |
Präsident Bernd Schultz, der vielfach in der Kritik steht und dieses Jahr | |
mehrere öffentliche Blamagen des Verbands verantwortete, weist die | |
Verantwortung von sich: „Das hat der Senat entschieden, ich kenne nur das | |
Ergebnis. Ich kann verstehen, dass Vereine es als unlogisch empfinden, aber | |
diese Kröte müssen wir schlucken. Wir sind froh, dass wir spielen dürfen.“ | |
Protestiert hat Schultz nicht und will es auch nicht tun, ab 21. August sei | |
Publikum ja erlaubt. „Ich sehe keinen Spielraum für Abweichungen.“ Auch bei | |
anderen Regeln scheint teils Willkür zu regieren. Das Bezirksamt | |
Treptow-Köpenick erlegte angeblich einem Verein auf, zwischen zwei Spielen | |
fünf Stunden Pause einzuhalten, für die Klubs völlig praxisfern. Über eine | |
Abfrage an die Ämter will sich der Verband nun ein Bild machen. Auf die | |
Frage, ob der BFV einen Flickenteppich der Ver- und Gebote befürchte, | |
schreibt Pressesprecherin Krings: „Dieser Flickenteppich besteht offenbar | |
schon.“ | |
## 200 Leute mit Abstand | |
Keutel sieht in der Zuschauerfrage eher ein Symptom genereller | |
Einstellungen gegenüber dem Amateurbereich. „Die Politiker und | |
BFV-Funktionäre haben wieder nur an Union und Hertha gedacht. Wir werden | |
einfach nicht wahrgenommen, das ist ein Grundproblem. Wir könnten | |
problemlos 200 Leute mit Abstand um unseren Sportplatz verteilen.“ Nun | |
wartet er auf den 21. August. Wenn eine zweite Welle nicht dazwischen | |
kommt. | |
4 Aug 2020 | |
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[1] /Rueckkehr-der-Zuschauer-in-der-Bundesliga/!5696014 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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