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# taz.de -- Amateurfußball in Coronazeiten: „Clubs aus der Schockstarre hole…
> Gaby Papenburg, frühere „ran“-Sportmoderatorin, will Vorsitzende des
> Berliner Fußballverbandes werden. Ihr Herz schlägt für kleine Clubs, sagt
> sie.
Bild: „Unglaublich, welch ein Wunsch nach Veränderung besteht“: Gaby Papen…
taz: Frau Papenburg, würden Sie sich als Fußballfan bezeichnen?
Gaby Papenburg: Absolut.
Wieso?
Ich bin schon als Kind mit meinem Vater immer sonntags zum Fußballplatz in
unserem Heimatort, in Bodenteich in der Lüneburger Heide, gegangen, um mit
ihm die Spiele unseres Dorfvereins anzugucken. Als ich später eine
journalistische Ausbildung machte und als Volontärin in einer
Sportredaktion arbeitete, war ich stets die Erste, die bei Fußballthemen
die Hand hob.
Sie gehören zu den Pionierinnen des privaten Sportfernsehens. Stimmt es,
dass Sie bis zu Ihrem Weggang vom Fernsehen die am längsten angestellte
Mitarbeiterin von ProSiebenSat.1 gewesen sind?
Ja, nach meinem Studium bin ich 1984 Volontärin beim Aktuell Presse
Fernsehen in Hamburg geworden, das 1985 auf Sendung ging und kurz darauf in
den Sender Sat.1 mündete. Meine Personalnummer lautete 97. Bis 2010 war ich
fest angestellt.
Wie betrachten Sie rückblickend Ihre Zeit als Fernsehfrau im Sportbereich?
Es war eine absolut tolle Zeit. Wir haben echte Pionierarbeit geleistet.
Nur wenige in unserem Team kannten sich mit Fernsehen aus. Die Kollegen
kamen fast alle von Print, die hatten vom Fernsehmachen genauso wenig
Ahnung wie ich.
Sie waren die einzige Moderatorin der Sat.1-Sendung „ran“, die ab 1992 die
Fußballberichterstattung neu erfand und zunehmend in Richtung Unterhaltung
schob.
Unser Redaktionsleiter Reinhold Beckmann war angetreten, das
Fußball-Fernsehformat bei den Privaten zu revolutionieren. Bei der
Zusammenstellung der Redaktion hatte er auf große Vielfalt Wert gelegt. Er
holte junge und ältere Kollegen, auch solche, die polarisieren. Und er
wollte auch unbedingt eine Frau im Team. Weil ich schon Sportsendungen
moderiert hatte, meistens Tennisturniere, kam er auf mich zu. Ich habe
nicht gezögert, da er mir sagte: „Es ist klar, dass du Prügel wirst
einstecken müssen. Aber wir stehen hinter dir und werden dich schützen.“
War das häufig notwendig?
Eigentlich nicht. Natürlich habe ich erlebt, dass Spieler und Trainer im
ersten Moment misstrauisch waren, wenn ich sie interviewte, aber das hat
sich insgesamt in Grenzen gehalten. Es schlug auch schnell um in Richtung:
„Die weiß, was sie tut, also werden wir selbstverständlich mit ihr genauso
umgehen wir mit jedem männlichen Kollegen.“ Ich kann mich nicht beklagen
und habe nie wirklich diskriminierende Dinge erlebt. Mir ist nie etwas
passiert wie der Kollegin Sabine Töpperwien, die mal auf eine
Interviewanfrage bei Trainer Otto Rehhagel zur Antwort bekam: „Ach bitte,
schicken sie mir doch lieber Ihren Bruder!“ [den Fußballreporter Rolf
Töpperwien; d. R.]
Vonseiten der Fußballfans, die ja bis heute teilweise noch Problem mit
Fußballreporterinnen haben, schlug Ihnen auch keine Ablehnung entgegen?
Wir hatten damals zum Glück noch kein Social Media. Das war ein echter
Vorteil. Für uns Moderatoren waren Sport Bild, Kicker, Fußballwoche und die
Sportseiten von Bild maßgeblich. In Sport Bild wurden die Fernsehsendungen
benotet, worauf ich natürlich guckte. Die Zuschauer äußersten sich ja
damals in Briefen, und die gingen an eine Zuschauerredaktion. Davon habe
ich aber nicht viel mitbekommen, womöglich wollten uns die dortigen
Kollegen auch vor allzu negativen Kommentaren schützen. Die haben uns mit
Sicherheit bestimmte Briefe gar nicht weitergeleitet.
Warum haben Sie jetzt das Funktionärswesen für sich entdeckt und wollen
Vorsitzende des Berliner Fußballverbandes (BFV) werden?
Das Interesse für eine Tätigkeit abseits des Moderierens entwickelte sich
nach meiner Berufung zum Aufsichtsrat des Handballklubs THW Kiel 2019.
Allerdings hatte ich mir schon als aktive Journalistin bei bestimmten
Entscheidungen in Sportgremien öfters die Frage gestellt: Was macht ihr da
eigentlich? Häufig war ich perplex, wie in Verbänden oder Vereinen agiert
und kommuniziert wurde und noch wird. Meine Arbeit für den THW Kiel ist
eine tolle Erfahrung; ich kann einen Sportverein mal von der anderen Seite,
sozusagen von der mitgestalterischen Seite aus, erleben.
Und nun wollen Sie den BFV mit verändern. Weshalb?
Ich lebe seit mehr als 20 Jahren mit meiner Familie in Berlin und bin von
einigen BFV-Mitgliedern gefragt worden, ob ich als Externe am Projekt
„Future BFV“ teilnehmen möchte. Die Projektarbeit in den
Zukunftswerkstätten, die Themen wie Jugend, Frauen oder Gewalt bei
Amateurspielen behandeln, hatte mich sehr interessiert. Ich war bei einigen
Regionalkonferenzen dabei und habe dabei oft gedacht: Unglaublich, welch
ein Wunsch nach Veränderung besteht. Das kommt nicht von oben: Die
BFV-Mitglieder haben sich die Modernisierung selbst auf die Fahne
geschrieben. Im Grunde bin ich genau zum passenden Zeitpunkt dazugestoßen:
Es hat schnell begonnen, mir Spaß zu machen.
Eine glückliche Fügung.
Trotzdem war ich erstaunt, als mich die Vorstände einiger Vereine fragten,
ob ich mir eine Kandidatur [1][für den BFV-Vorsitz] vorstellen könnte.
Spontan dachte ich: Wollt ihr mich jetzt veräppeln?! So modern seid ihr ja
nun doch nicht, eine Frau von außerhalb zu wollen. Aber nun hat die Sache
doch Gestalt angenommen.
Wer sind Ihre Unterstützer und Verbündeten im Kampf um Erneuerung?
Zum Beispiel die Vorsitzenden vom SFC Stern 1900, Bernd Fiedler, und vom FC
Internationale, Gerd Thomas. Beide gelten ja so ein bisschen als Opposition
im Verband, weil sie dessen Arbeit hin und wieder in Frage stellen.
Weshalb schon gerätselt wurde, ob Sie als medienbekannte Frau vorgeschickt
werden, weil das mehr Erfolg verspricht als selbst zur Wahl anzutreten.
Sicher hätten sie auch selbst kandidieren können. Aber sie haben sich
entschieden, mich zu unterstützen. Wenn dahinter die Idee steckt, durch
eine auch personell komplett andere Herangehensweise größere Chancen für
Veränderungen zu haben, dann wäre das ja nichts Schlimmes. Ob ein Mann oder
eine Frau kandidiert, ist aber zweitrangig, glaube ich. Entscheidend ist
der Grundgedanke, den Status quo überwinden zu wollen.
Wie gut kennen Sie die Berliner Fußballvereinsszene?
Ich bin Mitglied beim Verein Polar Pinguin, zugegeben noch nicht sehr
lange. Es hieß, um für den BVF-Vorsitz kandidieren zu können, müsste ich
Mitglied in einem Berliner Verein sein. Was nebenbei gesagt gar nicht
stimmt, wie sich herausgestellt hat.
Warum haben Sie sich ausgerechnet diesen Tempelhofer Club ausgesucht?
Ich war ja noch nie in irgendeinem Verein, ich habe also nach Sympathie
gewählt. Ich wollte mir bewusst einen Verein suchen, den ich für
fortschrittlich halte. Der Vorstand von Polar Pinguin ist paritätisch
besetzt, im ganzen Verein gibt es viele engagierte Frauen. Im
hervorragenden Vereinsmagazin Polar Express findet man genauso viele
Geschichten über weibliche wie über männliche Mitglieder. Das hat mir gut
gefallen; genauso, dass dort nicht alles bierernst genommen wird. Deshalb
habe ich gefragt, ob ich bei ihnen eine Heimat bekomme.
Die Großklubs Hertha oder Union standen nie zur Debatte?
Nein, die schieden aus. Ich weiß natürlich, dass die nicht nur ihre
Profiabteilung haben, aber mein Herz schlägt für die kleineren Vereine. Ich
sehe mich im Bereich des Amateurfußballs. Das war für mich auch der
Beweggrund zu sagen, wenn ich Mitglied eines Vereins werden muss, dann will
ich zu dem auch eine persönliche Beziehung aufbauen. Je größer ein Verein,
desto schwieriger ist das ja.
Andererseits: Je kleiner ein Verein, desto größer sind aktuell in diesen
Coronazeiten die Herausforderungen, oder?
Es stimmt: Der Profifußball kommt in der Pandemie relativ gut über die
Runden, wogegen den Amateurvereinen etliche Mitglieder weglaufen. Mich
treibt die Frage um: Was kann ein Verband leisten, was muss er im Sinne
seiner Mitglieder leisten, um gegenzusteuern und die Kleinen aus der
Schockstarre zu führen?
Und?
Da ist Luft nach oben. Es ließe sich einiges bewegen mit Kreativität und
Fantasie. Man darf sich nicht damit begnügen, dass in der Satzung nichts
Passendes zur Situation steht. Aussitzen und abwarten, weil die Politik eh
die Rahmenbedingungen vorgibt, ist nicht meins. Ich betrachte diese Krise
als Chance zur Gestaltung.
Sie haben inzwischen ein Team um sich versammelt, das dabei helfen soll.
Es handelt sich um ein Kompetenzteam, nicht um eine Art Schattenkabinett.
Die Teammitglieder haben nicht nur viel Expertise und Erfahrungen in
unterschiedlichen Bereichen, [2][sondern vor allem Lust, Neues
auszuprobieren]. Das ist das Entscheidende. Wir sind offen für Anregungen
und jeden, der mitmacht. Ich habe einen Brief an die BFV-Mitglieder
geschrieben und das Angebot gemacht: Ruft mich an oder schreibt mir, was
euch umtreibt.
Kam da schon was?
Eine ganze Menge. Es macht Spaß, so unmittelbar zu erfahren, wo der Schuh
drückt. Wir tragen alles zusammen und entwickeln daraus eine Agenda. Ich
komme also nicht mit einem vorgefertigten Konzept, sondern versuche erst
mal herauszufinden, was vordringlich ist. Und dann beginnt die Suche nach
Lösungen.
Die Pandemie trifft nicht alle Vereine gleich; auch sonst sind die Probleme
unterschiedlich. Was eint die Berliner Fußballvereine in ihrer ganzen
Breite?
In erster Linie die Freude am Spiel an sich und die soziale Kraft des
Fußballs. Leider ist es so, dass auch in der Politik teilweise zu wenig
berücksichtigt wird, was Fußball für die Gesellschaft bedeuten kann und
bedeutet. Der Fußball und die Berliner Vereine bieten kaum zu
überschätzende Möglichkeiten zur Begegnung und zur Integration. Wie viele
Nationalitäten spielen in den Amateurvereinen, wie viele Frauen, Kinder,
Junge und Alte – alle begeistern sich für das gleiche Spiel. Zu
ermöglichen, dass jeder nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten das Spiel
betreiben kann, muss das oberste Ziel des Verbandes sein.
170.000 Menschen sind im BFV organisiert. In der öffentlichen Wahrnehmung
wird Fußball in Berlin jedoch bevorzugt mit den Großklubs verbunden. Wird
die Bedeutung des Sports in der Breite unterschätzt, auch von der Politik?
Über die immense Bedeutung des Fußballs für die Stadt ist man sich beim BFV
bewusst. Die Frage ist, wie man das in die Öffentlichkeit und in die
Entscheidungsebenen der Stadt trägt. Hochaktuell ist gerade das Thema: Wer
kann wann wo wie spielen? Wenn man bedenkt, dass es 170.000 Menschen
betrifft, finde ich die öffentliche Wahrnehmung des Problems zu gering. Ich
stehe gern zur Verfügung, die Interessen der BFV-Mitglieder in der
Öffentlichkeit offensiv zu vertreten. Wenn mein Name dabei ein wenig helfen
könnte, soll es mir nur recht sein.
Der Berliner Sport liegt politisch im Verantwortungsbereich von
Innensenator Andreas Geisel (SPD). Wäre ein eigenständiges Sportressort
angebracht, um die ganze Breite des organisierten Berliner Sports,
inklusive des Fußballs, besser vertreten zu können?
Ich kann nicht beurteilen, welche Aufgaben der Innensenator insgesamt hat
und wo Geisel die Priorisierung ansetzt. Ich glaube aber, dass es unterhalb
seiner Position mehrere Stellen der operativen Arbeit gibt: sportpolitische
Sprecher, Referenten und so weiter. Vielleicht sollte man erst mal auf
diese Ebene zugehen und gucken, wie man die zur Verfügung stehende Matrix
genügend bespielt.
Sie haben ja schon von Ihrer Arbeit im Aufsichtsrat von THW Kiel berichtet.
Was können Berliner Fußballvereine und der Verband von einem Handballverein
lernen?
Spontan und generell würde ich sagen, dass sich der Fußball ein bisschen
Demut abgucken kann. Vor allem bei den großen Vereinen anderer Sportarten
sind die Probleme in der Pandemie oft vielfach höher, da geht’s wirklich um
die Existenz. Dessen sollten sich manche Vertreter des Spitzenfußballs
bewusst sein, bevor sie rumpöbeln wie Herr Rummenigge …
… der Chef des FC Bayern München sagte jüngst unter anderem, man wüsste gar
nicht, was man seiner Mannschaft angetan hätte, weil die, wegen einer
zugegeben peniblen Anwendung des Nachtflugverbots am BER, ihren Flug nach
Katar nicht antreten konnte und bis zum nächsten Morgen warten musste.
Ohne Worte. Ich glaube, bei manchen Leuten im Fußballgeschäft ist auch
etwas Hybris im Spiel. Handballer können die gar nicht entwickeln. Der THW
Kiel ist als Rekordmeister und Champions-League-Sieger ja so was wie der FC
Bayern des deutschen Handballs. Trotzdem wird es nicht passieren, dass die
so auftreten. Dort regiert ein anderer Sportsgeist, auch auf dem Feld
übrigens.
20 Mar 2021
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