# taz.de -- Die Wahrheit: Schnitzel in den Grenzen von 1937 | |
> Braune Soße am Volksgerichtshof: Björn Höcke will Attila Hildmann als | |
> Nationalkoch der Deutschen beerben. Ein Besuch in Bornhagen. | |
Bild: Der eine grüßt mit Milzriss, der andere kocht Brennnesselsuppe: Andreas… | |
Die Welt der Politik steht Kopf. Der früher so leise und unscheinbare | |
Gastronom und Kochbuchautor Attila Hildmann ist zur berühmtesten | |
öffentlichen Figur unserer Tage geworden. Plädierte Hildmann früher nur für | |
die Vorzüge pflanzlicher Ernährung, macht der Deutsche türkischer Herkunft | |
nun vor allem mit pointierter Judenkritik, Demokratieskepsis und | |
differenzierter Hitlerwürdigung Furore – ein seltener Fall gelungener | |
Integration. So frisch, fromm und fröhlich hat in unserem Land lange keiner | |
mehr nach nationaler Befreiung gerufen. Und Hildmann kennt keine falsche | |
Bescheidenheit: Fest geht er davon aus, in Deutschland in Kürze die | |
Regierungsgewalt zu übernehmen. Zurück an den Herd bringt diesen Mann wohl | |
keiner mehr. | |
Doch nicht alle Deutschen sind von Hildmanns beruflicher Entwicklung | |
erbaut. „Saitanbrater, bleib bei deinen Pfannen!“, so ruft es aus jenem | |
Teil des politischen Feldes, in dem Hildmann nun wildert. Dabei geht es | |
keineswegs nur darum, dass sich alteingesessene Nationalsozialisten nicht | |
die Butter vom Brot nehmen lassen wollen. Zwar ist der Wille, aufs tote | |
Tier zu verzichten, unter Faschisten tatsächlich nicht besonders | |
ausgeprägt. Doch würden sich manche mit einem vegetarischen Führer zur Not | |
wohl abfinden, wie früher schon einmal. Es ist ein anderer Grund, der | |
verhindert, dass sich die braunen Horden geschlossen hinter Attila | |
versammeln. Viele altgediente Kameraden neiden dem jungen Newcomer seinen | |
schnellen Ruhm. Unter keinen Umständen wollen sie widerstandslos hinter so | |
einen Emporkömmling zurücktreten. | |
Einige Politiker sind inzwischen offenbar entschlossen, machtvoll | |
zurückzuschlagen – und zwar auf ungewöhnliche Weise. So lud Björn Höcke, | |
der Fraktionsvorsitzende der AfD in Thüringen, jüngst unter der Überschrift | |
„Demnächst wird zurückgekocht!“ zu einer Pressekonferenz ein. Also fahren | |
wir nach Bornhagen, Höckes Heimatdorf im Eichsfeld, und finden uns vor dem | |
leerstehenden Dorfgasthaus ein, wo sich schon viele Kollegen versammelt | |
haben. | |
Höcke erwartet uns bereits und verkündet stolz, hier werde demnächst ein | |
„Volksgerichtshof“ Einheimische und artverwandte Besucher mit rein | |
nationaler Kost versorgen: „Die deutsche Seele krankt an einer | |
Übersättigung mit fremder, ihr unverdaulicher Kost. Sie wird nur gesunden, | |
wenn sie sich wieder an die Früchte ihres eigenen Bodens gewöhnt.“ Als Koch | |
werde sein Freund Götz Kubitschek fungieren, Höcke selbst als Kellner – wie | |
bei den Unternehmungen der beiden üblich. | |
## Eine Aura rustikaler Eichenmöbel | |
Wir dürfen einen Blick in den künftigen Gastraum werfen. Die rustikalen | |
Eichenmöbel verbreiten eine heimelige Aura, Reichsflaggen bedecken die | |
Tische, an den Wänden hängen afrikanische Schrumpfköpfe. Ein Blick in die | |
Küche bleibt uns Reportern verwehrt: „Frau Kositza muss da erst noch alle | |
Ritzen sauber bekommen.“ | |
Höcke gestattet jedoch immerhin erste Einblicke in seine künftige | |
Speisekarte. „Es ist nicht leicht, unseren Reinheitsanspruch vollumfänglich | |
durchzusetzen. Die deutsche Küche ist durchaus schmackhaft, allerdings auch | |
karg. Schließlich müssen wir unsere Nahrung einem rauen Klima und oft | |
dürftigen Böden abtrotzen, da sind seit jeher preußische Tugenden gefragt. | |
Aber ist ein Leberwurstbrot nicht eine ehrlichere Mahlzeit als dieses | |
sogenannte Bruschetta?!“ Ein leises Kichern unter den anwesenden | |
Pressevertretern spornt Höcke nur noch stärker an. | |
„Wir brauchen auch keine Pasta und keine orientalischen Fladen! Der Rettich | |
schlägt die Banane! Wir verzichten naturgemäß auf südländischen Wucherwuchs | |
wie Aubergine, Zucchini und Orange und haben uns auch entschieden, der | |
Kartoffel und der Tomate zu entsagen. Diese Früchtchen tun zwar so, als | |
wären sie bei uns inzwischen heimisch, treiben in Wahrheit aber nur still | |
die Amerikanisierung voran. Als Beilage reichen wir stattdessen Eicheln, | |
Sauerampfer und Steckrüben, als Gaumenkitzler vorneweg zum Beispiel eine | |
köstliche Brennnesselsuppe. Bei uns gibt es außerdem ausschließlich | |
Fleischgerichte, auch wenn das manchem passdeutschen Veganer nicht passen | |
sollte!“ | |
Lächelnd genießt Höcke das Raunen der Journalisten, denen seine subtile | |
Anspielung nicht entgangen ist. | |
## Entspanntes Verhältnis zum Blut | |
„Wir tischen aber ausschließlich Fleisch von Tieren auf, die ich | |
eigenhändig im Forst oder auf der Weide erwürgt habe. Wir stehen für | |
artgerechte Politik, auch in der Viehzucht. Durchgegart wird das Fleisch | |
bei uns grundsätzlich nicht, die Deutschen müssen endlich wieder ein | |
entspanntes Verhältnis zum Blut gewinnen. Schon jetzt ein Klassiker ist | |
unser Riesenschnitzel in den Grenzen von 1937. Und für die lieben Kleinen | |
habe ich etwas Besonderes parat: Ich spritze ihnen eigenhändig warme | |
Kuhmilch aus dem Euter in den Mund – so wie einst als Kind der Bauer mir!“ | |
Als Höcke langatmig von seinen Plänen berichtet, unter dem Titel | |
„Schwarzbraun ist der Heimattopf“ auch ein Kochbuch auf den Markt zu | |
werfen, stellen wir endlich die Fragen, die von Anfang an in der Luft | |
lagen: „Warum plötzlich der neue Beruf, Herr Höcke? Sind sie neidisch auf | |
den Erfolg des Kollegen Hildmann? Oder haben sie in letzter Zeit mal auf | |
die Umfragewerte der AfD geschaut?“ | |
Plötzlich beginnt der gerade noch gelassene Höcke zu kochen. „Solch | |
höhnische Unterstellungen bin ich von der Systempresse gewohnt. Seien Sie | |
sicher: Unsere Revolution wird siegen, wir werden die nationale Apokalypse | |
aufhalten! Und glauben Sie mir, wenn wir dann die Öfen anheizen, wird Ihnen | |
das gar nicht schmecken!“ | |
Na denn, guten Appetit. | |
24 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Michael Bittner | |
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