# taz.de -- Die Wahrheit: Marmeladenbrot statt Heulkrämpfe | |
> Der Deutsche Satirerat: Endlich bekommen von beißendem Spott | |
> Schwerverletzte hierzulande eine Anlaufstelle für Beschwerden. | |
Die Ministerin sei ungehalten, heißt es hinter vorgehaltener Hand im | |
Bundeskanzleramt. Die Oma als Umweltsau im WDR, die Majestätsbeleidigung | |
Erdoğans durch Jan Böhmermann, der aktuelle Fall Lisa Eckhart. „Wieso | |
diskutieren wir seit Jahren alle zwei Monate darüber, wie weit Satire gehen | |
darf?“, soll Monika Grütters, Blumenkübel umtretend, getobt haben: „Wieso | |
legt das nicht endlich mal jemand fest? Bei anderen Umweltgiften machen wir | |
das doch auch!“ | |
So könnte nun ein Referentenentwurf zum Tragen kommen, den die | |
Kulturstaatsministerin schon nach der Böhmermann-Affäre ausarbeiten ließ: | |
der Deutsche Satirerat. Nach dem Vorbild von Deutschem Presserat und | |
Deutschem Werberat soll ein unabhängiges Gremium die hierzulande tätigen | |
Satireschaffenden beaufsichtigen und Rügen aussprechen können. | |
Dr. Bernhard Worm, Ministerialdirigent bei der Kulturbeauftragten des | |
Bundes, erklärt das Funktionsprinzip: „Bürgerinnen und Bürger, die sich von | |
Satire ungerecht behandelt oder verunglimpft fühlen, können sich dann an | |
den Deutschen Satirerat wenden, und der entscheidet, ob diese Wirkung | |
satirisch gerechtfertigt war oder nicht.“ | |
Derzeit arbeite man schon an der Besetzung des Kuratoriums, in dem alle | |
relevanten Religionen, die Politik und die Medien vertreten sein sollen, | |
aktive Satirikerinnen und Satiriker jedoch nicht. „Man kann ja schlecht den | |
Bock zur Gartenaufsicht machen“, so Dr. Worm. „Aber mit Dennis Scheck ist | |
jemand dabei, der irgendwie was mit Sprache macht und meines Wissens auch | |
schon mal gelacht hat.“ Wieso ausgerechnet Scheck? „Das kann ich Ihnen auch | |
nicht so genau sagen, aber der sitzt bei uns in allen Gremien.“ | |
## Wo bleibt der Nuhr? | |
Mit dieser Personalentscheidung ist klar, dass die einzige vorliegende | |
Initiativbewerbung für den Rat unberücksichtigt bleibt. Dieter Nuhr | |
twitterte sofort erbost: „Der Einzige, der in Deutschland weiß, wie Satire | |
geht, bleibt natürlich wieder draußen! #dankemerkel.“ | |
Begrüßt wird der Satirerat von Selbsthilfeorganisationen wie der | |
Kabarettpolizei e. V., eine Gruppe, die Satire- und andere | |
Humorveranstaltungen besucht, um Grenzüberschreitungen und fehlgeleitete | |
Pointen zu dokumentieren. Kabarett-Kommissar Severin Klotz zeigt sich | |
glücklich: „Bislang mussten wir uns in die Vorstellungen setzen und den | |
Auftretenden danach Mails schreiben oder – noch schlimmer – sie in | |
Gespräche verwickeln. Jetzt können wir sie einfach beim Satirerat anzeigen! | |
Das erleichtert uns die Arbeit ungemein!“ | |
## Opfergruppe Ostdeutsche | |
Kritiker monieren hingegen die fehlende Repräsentanz von Ostdeutschen im | |
Satirerat, dabei seien sie doch eine der größten Opfergruppen, so Ronny | |
Dübel vom Deutschen Ostdeutschenverband DOV: „Das ist wieder mal ein Schlag | |
ins Gesicht aller Ostdeutschen, dass wir hier erneut unberücksichtigt | |
bleiben. Menno!“ | |
Für Tomke Meilich wäre der Satirerat hingegen ein weiterer zahnloser Tiger. | |
Sie ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Beleidigte e. V. – einem | |
Opferverband für Satirebetroffene. Die vegan lebende Waldorfpädagogin aus | |
Bielefeld weiß „aus eigener Erfahrung, wie es ist, Langzeitopfer von Satire | |
zu sein“. Sie fordert statt eines „behäbigen Ordnungsorgans“ ein Gütesi… | |
für in Deutschland tätige Satirikerinnen und Satiriker. Nur, wer garantiert | |
niemandem wehtue, solle in deutschsprachigen Medien Satire publizieren | |
dürfen. | |
Gemeinsam mit dem Bund katholischer Humoristen und dem Fachverband | |
Krankenhausclowns und Ballontierknetende e. V. habe man das | |
Qualitätsmanagement Verträgliche Satire (Q.V.S.) entwickelt, mit dem sich | |
schon jetzt Humorschaffende zertifizieren lassen können. | |
„Wir stellen uns das vor wie in amerikanischen Filmen“, erläutert Meilich. | |
„Da steht im Abspann auch immer hinter dem Namen, in welcher | |
Berufsvereinigung die jeweiligen Autoren und Kameraleute sind.“ So ein | |
Satirelabel schaffe Transparenz im unübersichtlichen Humorsektor. | |
## Satire nur im Darkroom? | |
Natürlich dürfe Satire alles, auch wehtun. „Aber es steht halt nicht jeder | |
auf Schmerzen.“ Das sei wie bei Sex und Sadomasochismus. „Ich verurteile | |
das nicht“, sagt Meilich. „Jeder nach seiner Fasson. Aber ich finde: Wer | |
harte Satire will, soll dafür in entsprechende Etablissements gehen. So was | |
gehört nicht in die Öffentlichkeit!“ | |
Ist das die Zukunft von Satire in Deutschland? Beleidigungssessions in | |
Erniedrigungskellern mit Zugangsbeschränkung ab 18? „Wer drauf steht, wieso | |
nicht?“, gibt sich Tomke Meilich tolerant. | |
Bis dahin fordert sie verbindliche Grenzwerte: „Satire ist das Glyphosat | |
des Humors, es darf nicht überdosiert werden!“ Eine interdisziplinäre | |
Forschungsgruppe hat dazu am Tübinger Rudolf-Steiner-Institut für | |
Geschätzte Psychologie eine Reizskala für Satire entwickelt. | |
Studienleiterin Dr. Heidrun Schlick-Merkur erläutert das Resultat der | |
exakten Forschungen: Auf einer Skala von 1 bis 100 beginne der kritische | |
Bereich bei etwa 60 Punkten, ab diesem Grenzwert fühlen sich die Probanden | |
– eine repräsentative Mischung aus protestantischen Gender-Studierenden, | |
alten weißen Reformpädagogen und CSU-nahen Schusswaffenbesitzern – verletzt | |
oder beleidigt, kurzum „von Satire betroffen“. Typische Reaktionen seien | |
Hautrötungen, Heulkrämpfe und Schnappatmung. | |
## Optimum bei Täterwerten | |
Und wo liegt das Optimum? „Der beste Wert für Satire ist 42 Punkte“, sagt | |
Schlick-Merkur. „Das tut niemanden weh, das finden alle irgendwie komisch, | |
darauf können sich alle einigen. 42 ist der perfekte Humor für alle.“ | |
Ob sie das mit bekannten Namen verknüpfen könne? – „Ach, da bewegen wir u… | |
auf einem soliden Level von Dieter Hallervorden, Barbara Schöneberger oder | |
Uli Stein. Alle Q.V.S.“ Dieter Nuhr Q.V.S. erreiche schon den Wert 50, die | |
Umweltsau-Oma des WDR hätte mit 71 Punkten im hochkritischen Bereich | |
gelegen. | |
Die Studie ist allerdings umstritten. Es bestehen Zweifel an ihrer | |
Unabhängigkeit, kam doch heraus, dass sie aus Drittmitteln der AfD-nahen | |
Leni-Riefenstahl-Stiftung kofinanziert wurde. Bei Ministerialdirigent Dr. | |
Worm treffen die Ergebnisse indes auf offene Ohren. „Satire soll ja | |
Missstände anprangern. Die Frage ist nur: Haben wir in Deutschland zurzeit | |
überhaupt Missstände? Und gesetzt den Fall: Taugen die auch für Satire?“ Er | |
könne sich eine Positivliste des Deutschen Satirerats vorstellen. Statt | |
dass in allen Medien ziellos in alle Richtungen herumgewitzelt werde, | |
könnte das Kuratorium Zielvorgaben machen. | |
„Damit würden Wildwuchs in der Satire effektiv verhindert und | |
Kollateralschäden bei unschuldigen Bürgern unterbunden.“ Gefragt nach einem | |
Beispiel auf solch einer Positivliste, muss Dr. Worm nicht lang überlegen: | |
„Wieso fällt ein Marmeladenbrot immer auf die falsche Seite? Das könnte | |
Deutschlands Satire-Elite doch mal mit spitzer Feder aufs Korn nehmen!“ | |
22 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Volker Surmann | |
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