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# taz.de -- Die Wahrheit: Olaf Scholz gibt es gar nicht
> Der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Endphase – hier steht alles über
> den vermeintlichen Mann mit den schwarzen Nullen und Einsen.
Hamburg-Rahlstedt, Wahlheimat der Sängerin Nena, hat geflaggt. Am
ehemaligen elterlichen Reiheneckhaus des momentanen Kanzlerkandidaten der
SPD hängt ein sympathisch anmutendes Banner. Dessen leuchtend roter Stoff
mit dem applizierten kämpferischen Slogan „99 Luftballons“ stammt aus
Altbeständen der Altvorderen des alerten Kleinen mit der markigen
Kreativunterschrift, der hier am Wochenende gern auf ein Rahlstedter
Stützbier einkehrt. Vater und Mutter waren einst in der Textilbranche
tätig, heißt es über den früher lockigen, heute kahlen Mann „mit Wumms“…
steht es ganz bescheiden auf Twitter geschrieben.
Als Näherin und Näher hatten die Eltern Scholz ihre drei Söhne Olaf, Jens
und Ingo nach ersten Versuchen in Osnabrück schließlich in Rahlstedt
erfolgreich durchgebracht und zu höheren Weihen auserkoren. Und genau dort,
in einem IT-Raum voller Daten und Kabeln des Nesthäkchens Ingo, ist die
kürzliche, für die momentanen Vorsitzenden der SPD Nowabo und Esken
entgegen all ihren Beteuerungen überraschende Kanzlerkandidatur von Olaf
Scholz erzeugt worden.
Die Wummswahl entstand folglich nicht im oder rechts vom Parteivorstand und
auch nicht als Spätfolge von etwas in der freien Natur oder im elterlichen
Ehebett. Sondern als algebraisch superb durchkalkulierte eindeutige
Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems (Angela Merkel) oder einer
Klasse von Problemen (Groko). So etwas knorke maschinell Funktionierendes,
ja Wummsendes aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten hat die
SPD seit Helmut Schmidt nicht mehr hingekriegt.
Olaf Scholz ist derzeit ergo kein Mensch, sondern ein Algorithmus, früher
auch unter dem Namen Scholzomat bekannt. Er kann zur Ausführung in ein
Computerprogramm implementiert, aber auch in menschlicher Sprache
(„Abschaffung von Hartz IV, Respekt, Zukunft, Europa“) formuliert werden.
Wobei, Letzteres eher weniger.
„Unser Jung Olaf redet viel, aber hölzern“, hatten schon die Eltern währe…
ihrer eintönigen Nähertätigkeiten in Rahlstedt-Hohenhorst bedauernd
festgestellt. Alles in allem: Bei der Problemlösung (Groko/Merkel) wird
eine bestimmte Eingabe (Rahlstedter) in eine bestimmte Ausgabe
(Wummskanzler) überführt, so funktioniert er, der Algorithmus Olaf Scholz,
kurz AOS. Und was jetzt, was nun? Quo vadis, AOS; quo vadis, SPD?
## Die ersten virtuellen Schritte
Rekapitulieren wir der guten Ordnung halber die allerersten virtuellen
Schritte des AOS. „Jetzt ist es raus“, fanfarte AOS vergangenen Dienstag um
Punkt 13.43 Uhr auf Twitter und aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus, wo ihn
sein Bruder Ingo eilig hatte hinbeamen lassen: „Auf Vorschlag unserer
Vorsitzenden @EskenSaskia und @NowaboFM haben mich Präsidium und Vorstand
der @spdde gerade einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Ich freue
mich auf einen tollen, fairen und erfolgreichen Wahlkampf in einem starken
Team. #KK_SPD.“
Danach drückte der AOS die Reset-Taste, nahm seine Maske ab und bestellte
sich für den anstehenden Wahlkampf im Netz-Fanshop der SPD unter
„Streuartikel“ zwei Pflastersets à 50 Stück und zu je 29,55 Euro. „Mit
SPD-Logo, zur Versorgung von kleinen Hautverletzungen“, wie er mechanisch,
doch trotzdem irgendwie dankbar in der Produktbeschreibung nachlas. Und
weiter: „Eine Box enthält 6 Pflasterstrips: 2 x Hautfarben, 2 x Weiß
elastisch und 2 x mit Dino-Aufdruck.“
Dem altgedienten, jetzt fesch implementierten und technisch auf den
neuesten Zwischenstand gebrachten Parteirecken entfuhr ein fast
menschliches „Uff!“. Dann stockte sein ureigener Algorithmus. Mist, er war
unter 100 Euro, da würden in jedem Fall bei der Bestellung Versandkosten
entstehen!
## Schwitzende Nullen- und Einsenkombinationen
In diesem Moment fiel im Willy-Brandt-Haus Ecke Stresemannstraße in
Kreuzberg die Klimaanlage aus. Der AOS geriet ins Schwitzen, die ersten
Nullen- und Einsenkombinationen in ihm drin begannen bereits zu schmelzen.
„Linksbündnis? Oder doch alleine mit Katja Kipping? Habeck als Kanzler und
ich als Schatzmeister – von was noch mal?“.
Der AOS sackte förmlich in sich zusammen, dann richtete er sich mit letzter
Zahlenkombinationskraft und ein bisschen R2G-mäßig wieder auf. Er musste
einfach noch was dazubestellen im SPD-Fanshop, so einfach war das, dann
entfielen die Versandkosten von 5,90 Euro! Er musste auf seinem
Einkaufszettel über 100 Euro kommen, das war die rechnerisch kluge Lösung.
Dass ihm das nicht gleich von selbst eingefallen war! Aber was war das
eigentlich, sein Selbst? Wer war er, wer war dieser AOS?
„Jetzt bloß nicht ins Grübeln kommen, Bestellung durchziehen“, schoss es
ihm durch die Hardware. Mit geübtem Scannerblick scannte er die Angebote in
den weiteren, multiplen Produktkategorien wie „Anlasskarten“, „Blumen und
Saaten“, „Luftballons und Zubehör“, „grüne Werbeartikel“ und
„Sommer/Sonne“. Er konnte sich gar nicht entscheiden – dass seine SPD doch
so viel zu bieten hatte, bemerkte der AOS erst jetzt mit wachsendem
Interesse.
## Die zweite Wahl im Shop
Seine zweite Wahl fiel schließlich auf eine knallrote „individualisierbare
Promotiontheke mit Stange und Fahne“ zu 364,57 Euro“. Das reichte dicke,
war angeblich in Deutschland hergestellt und vom TÜV Süddeutschland alias
Söder qualitätskontrolliert. Und allemal blieb der AOS jetzt
versandkostenfrei. Das „aufblasbare weiße Thekenmodell“ für den Wahlkampf
und für Kaltgetränke zu 1.704,30 Euro erschien ihm dann doch zu teuer. Er
war halt ein alter Hamburger Sparfuchs aus Rahlstedt, der aktuell auch was
mit Finanzen im immer noch amtierenden Kabinett Merkel machte.
Als Trostpreis genehmigte sich der AOS weiters „einen Öko-Button eckig mit
Nadel zu 0,32 Euro“. Alles zusammen: 423,99 Euro inklusive dieser
neuartigen („Wer hatte sich die noch mal ausgedacht?“, dachte er kurz
schaltend) 16 Prozent Mehrwertsteuer. Er drückte auf den Sofortbezahlbutton
und gab seine Wunschnachbarin Nena aus Rahlstedt für die
Auslieferungsadresse an.
Endlich sprang im Willy-Brandt-Haus jetzt erneut die Klimaanlage an. Der
AOS, der Algorithmus Olaf Scholz, diese, wie eingangs bereits erwähnt,
algebraisch superb durchkalkulierte eindeutige Handlungsvorschrift zur
Lösung eines Problems (Angela Merkel) oder einer Klasse von Problemen
(Groko), dieser auf den ersten Blick knorke maschinell Funktionierende
reckte, rechnete und streckte sich. Dem künftigen Parlamentär Kevin Kühnert
winkte er kurz von ferne zu, strategisch war Letzterer am
Desinfektionsspender zugange.
Plötzlich kam dem AOS eine Träne, quasi übermannt wurde er von ihr. Es
würde wieder mal nix werden mit der Sozialdemokratie.
15 Aug 2020
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Olaf Scholz
Kanzlerkandidatur
Algorithmen
Kolumne Die Wahrheit
US-Wahl 2024
sozialforschung
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Schwerpunkt Coronavirus
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