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# taz.de -- Kriegsdrama „Nur ein Augenblick“: Rebell ohne Absicht
> Von Hamburg in den syrischen Bürgerkrieg: In ihrem Kinodebüt erzählt
> Randa Chahoud detailreich von einer Entscheidung des Studenten Karim.
Bild: Tiefgreifende Kriegserfahrung: der junge Syrer Karim im Film „Nur ein A…
Hamburg taz | Wie wird ein bestens integrierter Student aus Hamburg zu
einem Kämpfer im syrischen Bürgerkrieg? Diese Frage versucht die
Filmemacherin Randa Chahoud in ihrem Kinodebüt „Nur ein Augenblick“ zu
beantworten. Tatsächlich braucht ihr Protagonist Karim weniger als eine
Sekunde für jene Entscheidung, die sein Leben aus den Fugen geraten lässt –
und das seiner isländischen Freundin Lilly, die schwanger in Deutschland
auf ihn wartet.
Eine Entscheidung, die gut nachzuvollziehen ist, denn der erste Teil des
Films erzählt konsequent aus der Perspektive von Karim. In einem Prolog
lernen wir ihn in den hoffnungsvollen Tagen des Arabischen Frühlings im
Jahr 2011 dabei kennen, wie er mit seinem älteren Bruder Yassir als
Gesangsduo in einem Club in Damaskus auftritt. Dort singt er ein Lied über
die Freiheit, woraufhin das Konzert von einem Agenten Assads im wahrsten
Sinne des Wortes gesprengt wird. Die besorgten Eltern schicken den jüngeren
Karim zum Studium nach Deutschland. Yassir wiederum wird in Syrien bald
verhaftet und gefoltert.
Karims Leben in Deutschland wird als so idyllisch geschildert, dass schnell
klar wird, dass er sich in seiner heilen Haut nicht wohlfühlt. Und wenn er
sich dann für „nur ein paar Tage“ aufmacht, um seinen verschwundenen Bruder
an der türkisch-syrischen Grenze zu suchen, scheint das weitere Geschehen
unausweichlich. Denn Randa Chahoud erzählt so klassisch, dass bei vielen
Szenen schon in den ersten Sekunden erkennbar ist, wo sie hinführen.
Diese Vorhersehbarkeit nimmt dem Film ein wenig von seiner Spannung. Man
erkennt die Methode und ist verstimmt. So arbeitet Chahoud etwa gerne mit
dem Stilmittel der Parallelmontage, die der Stummfilmregisseur D. W.
Griffith schon am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Und wie
dieser kann auch Chahoud es sich nicht verkneifen, vom Leben zum Tod und
wieder zurück zu schneiden: Während Lilly in Hamburg ihren Sohn gebärt,
stirbt neben Karim dessen einziger Freund unter den Rebellen in einem
Gefecht.
Diese Schnitte vom Kriegsgebiet in Lillys Wohnung in Hamburg, die immer
voller wird, nachdem ihr Sohn geboren wird und auch Karims geflohene Eltern
dort einziehen, befreien Chahoud aus einem Dilemma. Denn es wäre anmaßend
von der im friedlichen Deutschland aufgewachsenen Filmemacherin, nur aus
der subjektiven „Ich“-Perspektive davon zu erzählen, wie tiefgreifend die
Kriegserfahrungen Karim verändern. Statt da tiefer zu gehen, zeigt Chahoud
lieber, wie Karims Familie mit der Ungewissheit um sein Schicksal umgeht.
So wird auch gut, oder eben klassisch, auf den dritten Akt vorbereitet, in
dem Karim nach Hamburg zurückkehrt, um dort zu erfahren, dass er sich
inmitten seiner Familie nicht mehr heimisch fühlen kann. Und da auch die
Motivation von Lilly gut fundiert ist, weil sie ein eigenes schweres
Schuldtrauma auf ihren Schultern tragen muss, ist das abenteuerliche Finale
(natürlich wieder in einer Parallelmontage) wenn nicht unbedingt plausibel,
so doch schlüssig erzählt. Man gönnt den beiden das hoffnungsvolle Ende.
Randa Chahoud, Tochter eines syrischen Arztes und einer deutschen
Politikwissenschaftlerin, hat in Berlin Filmregie studiert und wurde als
Autorin, Produzentin und Regisseurin der hoch gelobten und sehr komischen
ZDF-Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“ nach Erzählungen von Stanislaw Lem
bekannt. Anschließend führte sie bei der ZDF-Miniserie „Bruder – Schwarze
Macht“ Regie. 2019 inszenierte sie eine „Tatort“-Episode und die Serie
„Deutschland 89“. Nach einem originellen Debüt kam also schnell die Routine
von Fernsehserien-Produktionen. Umso erstaunlicher ist nun dieses
Leinwand-Debüt, mit dem sie großes Kino machen will.
Das gelingt ihr auch oft, denn die Dramaturgie mag den fast schon
akademischen Zugang einer Filmhandwerkerin verraten. Davon abgesehen aber
erzählt Chahoud durchweg stimmig und mit der spürbaren Dringlichkeit
persönlicher Betroffenheit. In einem Pressestatement schrieb sie: „Bei uns
zu Hause gingen ständig Exil-Araber ein und aus, hitzige politische
Diskussionen bis tief in die Nacht waren häufig das Hintergrundrauschen,
bei dem ich als Kind abends einschlief. Diese ruhelose ‚Kampfes‘-Stimmung,
die fast zelebriert wurde, hat mich geprägt und als der Bürgerkrieg
ausbrach, war klar, dass ich über dieses Lebensgefühl einen Film machen
will.“
Chahoud weiß also, wovon sie hier erzählt, und dieser Reichtum an
Geschichten, Stimmungen und Details ist es, der den Film so lebendig und
spannend werden lässt.
Deshalb hätte er einen besseren deutschen Titel verdient, denn „Nur ein
Augenblick“ ist so nichtssagend, dass er keinerlei Neugierde weckt und eher
abschreckt als anlockt. Der internationale Filmtitel „The Accidental
Rebel“, also etwa „Rebell ohne Absicht“, trifft dagegen genau den Punkt d…
Films. Er klingt aber eben auf deutsch nicht halb so gut wie auf Englisch.
Einige Filme sind auch wegen ihrer Titel zu Erfolgen geworden. „Good Bye
Lenin!“ sollte ursprünglich „79qm DDR“ heißen – und wer hätte sich w…
etwas ansehen wollen?
13 Aug 2020
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Syrischer Bürgerkrieg
Film
Krieg
Hamburg
Trauma
Diversity
Tatort
Islamismus
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