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# taz.de -- Serie „Bruder – Schwarze Macht“: Allahu Akbar, Digger
> In „Bruder – Schwarze Macht“ spielt Sibel Kekilli eine Polizistin, deren
> Bruder in die radikalislamistische Szene abrutscht.
Bild: Lennart Lemster (mitte) als Pierre-Vogel-Verschnitt
Gerade hat sie den Dienst beim Kieler „Tatort“ quittiert, da ist Sibel
Kekilli in ihrer neuen Rolle schon wieder für die Polizei im Einsatz.
Diesmal in Hamburg und für ZDFneo. In dem vierteiligen Drama „Bruder –
Schwarze Macht“ (ab Sonntag, 21.45 Uhr) geht es aber nicht um
Ermittlungsarbeit, sondern um die Hinwendung junger Männer zum radikalen
Islam, speziell dem Salafismus.
Ein relevantes Thema, das in fiktionalen Produktionen bislang zu kurz
gekommen ist. Verhandelt wird es in diesem Fall als Familiendrama, für das
Sibel Kekilli sich nicht an einen neuen Vornamen gewöhnen musste: Sie
spielt die voll integrierte Sibel, eine ehrgeizige Polizistin mit
türkischem Migrationshintergrund, einem deutschen Mann (Bjarne Mädel) und
einer kleinen Tochter.
Da Sibel sich nicht allzu sehr für muslimische Traditionen interessiert,
liegt sie mit ihrer Mutter (Hürdem Riethmüller) im Dauerstreit. Und auch
das Verhältnis zu ihrem 21-jährigen Bruder Melih (Yasin Boynuince) ist
belastet. Der findet trotz seines Abiturs keinen Job und fühlt sich in
Deutschland nicht zu Hause. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit
Kreditkartenbetrug. Dabei wird er erwischt und muss aufgrund einer Auflage
des Gerichts bis zum Beginn der Verhandlung bei Sibel wohnen.
Als Melihs deutscher Kumpel Tobi (Rouven Israel) zum Islam konvertiert und
mit radikalen Ansichten überrascht, hat Melih nur Spott für ihn übrig. Doch
eine Mischung aus Perspektivlosigkeit, Identitätssuche und negativen
Erfahrungen mit der Polizei lässt auch ihn in die radikalislamische Szene
abrutschen. Tobi und er treffen in ihrer Gemeinde auf den IS-Mann Baris
(Tim Seyfi), der die beiden auf einen Terroranschlag vorbereitet. Spät
erkennt Sibel die Gefahr und will ihren Bruder von seinem Irrweg abbringen.
## Gehetzt und halbherzig erzählt
Regisseurin Randa Chahoud sowie die Autoren Ipek Zübert, Andreas Dirr und
Raid Sabbah haben sich ein komplexes Themenfeld vorgenommen. Vielleicht ist
es zu komplex für vier Mal 45 Minuten Sendezeit. Es ist jedenfalls
erstaunlich, dass ZDFneo dieser Produktion das Label „Serie“ verpasst.
Denn nur, weil etwas länger als 90 Minuten dauert und in mehreren Teilen
ausgestrahlt wird, ist es noch keine Serie.
Eine Serie gibt ihren Figuren und Erzählbögen ausreichend Zeit für ihre
Entwicklung, lässt die Zuschauer detailliert daran teilhaben. Aber genug
Zeit gibt es in diesem Fall für die umfangreich angelegten Erzählstränge
sowie die zahlreichen Figuren nicht. Dadurch wirkt vieles gehetzt,
halbherzig erzählt oder gar überflüssig. Bisweilen lassen sich manche
Verhaltensweisen der Protagonisten nicht nachvollziehen.
So entsteht zu Beginn der zweiten Folge der Eindruck, dass man mindestens
drei Teile verpasst haben muss. Denn Tobi, der am Ende der ersten Episode
gerade mal sein Glaubensbekenntnis abgelegt hat, ist da schon als Salafist
unterwegs. Er weist an einem Kiosk biertrinkende „Brüder“ zurecht und fragt
seinen überraschten Kumpel: „Willst du, dass sich was ändert, oder nicht?�…
Aber was meint er bloß damit? Was dieser Tobi sich wünscht, wie und warum
er überhaupt bei den Salafisten gelandet ist, bleibt im Dunkeln. Bei Melih
wird die Sache etwas deutlicher.
„Salafisten sind im Moment die besseren Sozialarbeiter“, sagte der
Psychologe Ahmad Mansour mal über deren Rekrutierungserfolge, und diese
These wird mit der Figur Melih gestützt. Die Gemeinde stellt ihm einen
Anwalt, lässt ihn in ihren Räumlichkeiten wohnen, und ein grinsender
Pierre-Vogel-Verschnitt (Lennart Lemster) ist um salbungsvolle Worte nie
verlegen.
## Kampf um den Bruder
All das wird ansprechend inszeniert. Aber wie geht danach die
Indoktrinierung vonstatten? Welches Sinn- und Regelsystem verinnerlichen
die Jugendlichen? Wie verändert sich bei diesem Prozess ihre
Persönlichkeit? Damit beschäftigt sich „Bruder – Schwarze Macht“ nur am
Rande. So verändern sich die Charakterzüge, das Auftreten, die
Gesprächsinhalte der beiden jungen Männer von wenigen Ausnahmen abgesehen
kaum. Sie bleiben bei den Terrorvorbereitungen zwei normale Jugendliche aus
Hamburg, die bei ihren Plaudereien über den Dschihad gern das Wort „Digger“
verwenden („Hast du Schiss, Digger?“).
Immerhin: Vom Kampf der Schwester um ihren Bruder wird stimmig und spannend
erzählt. Sibel Kekilli spielt ihre Rolle glänzend. Aus hoffnungsvoller
Entschlossenheit wird bei ihr panische Verzweiflung, schließlich setzt sie
sogar ihr Leben aufs Spiel. Als Familiendrama und im letzten Teil als
Thriller ist „Bruder – Schwarze Macht“ durchaus kurzweilig und auch dank
Kekilli sehenswert. Als Diskussionsangebot zum Thema Salafismus eignet sich
die Produktion weniger.
29 Oct 2017
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Islamismus
Radikalisierung
Sibel Kekilli
ZDFneo
Fernsehserie
Syrischer Bürgerkrieg
Tatort
ZDF
ARD
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Die Couchreporter
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