# taz.de -- Krankenhäuser fordern Rettungsschirm: Kollateralschäden der Pande… | |
> Aus Angst vor Corona-Ansteckung gingen viele Patienten im Frühjahr nicht | |
> ins Krankenhaus. Für Kliniken bedeutet das schwere finanzielle Einbußen. | |
Bild: Leere Wartezimmer, kaum Operationen: ein Krankenhaus in Bayern im April | |
Im Frühjahr, auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie in Deutschland, | |
[1][hatten viele Ärzte eine Sorge geäußert]: Kranke Menschen könnten, | |
entweder aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus oder mit | |
Rücksicht auf die eingeschränkten Versorgungskapazitäten in den Kliniken, | |
nicht bloß planbare, sondern auch medizinisch dringliche Therapien zeitlich | |
nach hinten verschieben. | |
Dieses Verhalten könne schwere gesundheitliche Spätfolgen, aber auch hohe | |
Kosten für die Krankenversicherungen nach sich ziehen. Jetzt, ein knappes | |
halbes Jahr später, deutet sich an: Die Sorge der Ärzte war offenbar | |
berechtigt. „Wir müssen einen deutlichen Rückgang bei Notfällen | |
konstatieren“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen | |
Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, der taz. | |
Aus den Notaufnahmen der Kliniken, so Baum, werde ihm berichtet, dass | |
weniger, aber kränkere Patientinnen und Patienten im vergangenen Frühjahr | |
Hilfe gesucht hätten. So hätten die Krankenhäuser für März und April stark | |
rückläufige Zahlen bei Herzinfarkten und Schlaganfällen vermeldet – und | |
zugleich gestiegene Zahlen bei Blinddarmdurchbrüchen. Dies deute darauf | |
hin, dass einige Patientinnen und Patienten die Notaufnahmen gemieden und | |
andere zu lange gewartet hätten. „Problematisch ist dies vor allen Dingen | |
dann, wenn leichte Verläufe von Herzinfarkt und Schlaganfall gar nicht | |
erkannt werden“, sagte Baum. „Die Folgeschäden können gravierend sein.“ | |
Die Einschätzungen der DKG decken sich mit Berechnungen, die das | |
Wissenschaftliche Institut der AOK, kurz Wido, unlängst veröffentlichte. | |
Danach zeigte die Auswertung der Krankenhausfälle von 27 Millionen | |
AOK-Versicherten, dass es während der Lockdown-Phase im März und April | |
einen deutlichen Rückgang der Fallzahlen von insgesamt 39 Prozent im | |
Vergleich zum Vorjahreszeitraum gab. | |
## Ausfälle werden nicht ausgeglichen | |
Den Löwenanteil machte der Verzicht auf planbare, nicht lebensnotwendige | |
Eingriffe aus. Operationen zum Arthrose-bedingten Hüftersatz etwa | |
verzeichneten ein Minus von 79 Prozent. Stark gesunken seien aber auch die | |
Behandlungen von Herzinfarkten (minus 31 Prozent) und von Schlaganfällen | |
(minus 18 Prozent). Für den Wido-Geschäftsführer Jürgen Klauber „weisen | |
diese starken Rückgänge in der Behandlung von echten Notfällen darauf hin, | |
dass betroffene Patientinnen und Patienten in der Phase des Lockdowns den | |
Rettungsdienst seltener alarmiert haben“. Die Folgeschäden sind oft erst | |
nach Jahren abschätzbar. | |
Eine Ausnahme immerhin gibt es: Dringend notwendige Krebsoperationen, etwa | |
an der Brust oder am Gebärmutterhals, auch das zeigen die Daten der AOK, | |
wurden offenbar nicht aus falsch verstandener Rücksichtnahme aufgeschoben. | |
Die Kliniken indes beschäftigt auch die Frage, welche finanziellen | |
Konsequenzen die verzögerten Therapien nach sich ziehen werden – einen | |
verschleppten Herzinfarkt zu behandeln kann weitaus teurer sein als eine | |
frühzeitige Intervention. Belastbare Daten hierzu lägen noch nicht vor. | |
Klar sei aber schon jetzt, beklagt die DKG, dass „die Erlösausfälle aus dem | |
ambulanten Bereich der Kliniken nicht ausgeglichen werden“. | |
Auf den weiteren Verlauf der Pandemie, so der DKG-Hauptgeschäftsführer | |
Baum, seien die Häuser [2][insgesamt „gut vorbereitet“]. Personal sei | |
geschult, Intensivkapazitäten ausgebaut und Vorräte mit Schutzausrüstungen | |
angelegt worden. | |
## Krankenhäuser brauchen Anschlussfinanzierung | |
Der Befürchtung, dass im Fall einer sogenannten zweiten Welle Engpässe in | |
der Versorgung drohen könnten, hatte zuletzt auch Reinhard Busse, | |
Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, | |
widersprochen: „Bezüglich der normalen Krankenhausbetten ist auch bei hohen | |
Infektionszahlen überhaupt kein Problem zu erwarten.“ Busse (siehe taz vom | |
1. 8. 2020) bezog sich dabei auf Berechnungen von Wissenschaftlern der | |
Technischen Universität Berlin, der Deutschen Interdisziplinären | |
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und des | |
Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido). | |
Gute Versorgung, so die DKG, brauche aber auch ausreichende Finanzierung. | |
Ende September jedoch liefen die Maßnahmen des Rettungsschirms aus. Die | |
Pandemie sei dann noch längst nicht vorbei. „Ohne eine | |
Anschlussfinanzierung für das Winterquartal und für die ersten Monate des | |
kommenden Jahres fehlt den Krankenhäusern die Sicherheit“, so Baum zur taz. | |
Schließlich müssten die Kliniken weiterhin Kapazitäten für potenzielle | |
Covid-19-Erkrankte freihalten, Mehrbettzimmer dürften mit Rücksicht auf den | |
Infektionsschutz nicht komplett belegt werden. Die Politik, forderte Baum, | |
müsse „hier schnellstmöglich handeln, um den Krankenhäusern den Rücken | |
freizuhalten“. | |
12 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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