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# taz.de -- Corona-Hilfe für Kulturbranche: Irgendwas mit Zirkus
> Staatsministerin Grütters will die Kultur retten – sogar Zirkusse
> bekommen etwas ab. Verteilen soll die Millionen aber ein branchenfremder
> Verein.
Bild: Die deutsche Zirkusbranche ist verwundert über das Vorgehen der Regierung
München taz | Monika Grütters ist um große Worte nicht verlegen. Sie will
nicht weniger als „unsere einzigartige Kulturlandschaft retten“. Der
Beitrag, den die Bundesregierung leiste, suche international
seinesgleichen, schwärmt die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt. „Mit
Stolz sage ich: Das ist ziemlich genau die Hälfte unseres Jahreshaushalts.“
Wow!
Worauf sich die CDU-Politikerin genau bezieht, das ist eine Milliarde Euro,
die die Bundesregierung lockergemacht hat, um die Coronafolgen in der
Kulturbranche abzufedern. [1][„Neustart Kultur“ heißt das Programm] und
sieht mehrere Maßnahmen vor. So sollen 250 Millionen aus dem Topf für
„pandemiebedingte Investitionen“ ausgeschüttet werden.
Sprich: Wenn Kultureinrichtungen vor einer Wiedereröffnung spezielle
Ausgaben haben, um Hygienekonzepte und Abstandsregeln umzusetzen, können
sie hierfür Gelder beantragen. 450 Millionen sollen an kleinere und
mittlere Kulturstätten spezieller Branchen gehen, um ihnen die
Beschäftigung von Mitarbeitern für neue Projekte zu ermöglichen. Auch der
Ausbau digitaler Angebot soll unterstützt werden. Dazu kommen eigene
Programme etwa für den privaten Rundfunk oder die Frankfurter Buchmesse.
In der Kulturbranche, also bei den beabsichtigten Nutznießern des
Programms, sind jedoch nicht alle begeistert. Konzertveranstalter Marek
Lieberberg bezeichnete den „Neustart Kultur“ in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung als bloße Worthülse. Andere bemängeln, dass die Maßnahmen den
besonders stark betroffenen Soloselbstständigen der Branche nicht nutzen
würden.
## Kopfschütteln in der Zirkusbranche
Besonderes Kopfschütteln haben Grütters’ Leute [2][in der Zirkusbranche]
ausgelöst. Da man dort gewohnt ist, dass der Zirkus in Deutschland, anders
als in den meisten anderen europäischen Ländern, ohnehin nicht als Kultur
anerkannt ist und auf staatliche Zuwendungen verzichten muss, war man zwar
froh, dass der Branche nach einem Einspruch der European Circus Association
(ECA) überhaupt 5 Millionen Euro zugestanden wurden. Dass mit der Vergabe
dieser Gelder allerdings die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik
ausgesucht wurde, wurde mit großem Befremden aufgenommen.
„Wir haben uns sehr gewundert, dass dieser Verein den Zuschlag bekommen
hat“, sagt ECA-Geschäftsführer Helmut Grosscurth. „Das ist, als würde man
den Fahrlehrerverband Gelder für die Automobilbranche vergeben lassen. Die
haben ja auch was mit Autos zu tun.“
In der Tat ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik ein Verein der
Kinder- und Jugendhilfe, dessen Ziel es ist, „bildungsbenachteiligte Kinder
und Jugendliche durch kulturelle Bildung zu erreichen, um so einen Beitrag
zu Bildungsgerechtigkeit und Integration zu leisten“.
Ein sehr unterstützenswertes Anliegen, nur mit Zirkusunternehmen hatte der
Verein bislang noch nichts zu tun. Unter Zirkusleuten herrscht
Ratlosigkeit. Hinter vorgehaltener Hand mutmaßt man, dass die
Verantwortlichen in Sachen Zirkus völlig unbedarft seien und man auf den
Verein bei einer Recherche im Telefonbuch gestoßen sei. Irgendwas mit
Zirkus eben.
## „Erfahrung in der Mittelvergabe“
„Diese Verwunderung können wir auch gut nachvollziehen“, sagt Regina
Pfeiffer, Bildungsreferentin des Vereins. Offenbar war man bei der
Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik selbst überrascht, den Auftrag
der Staatsministerin erhalten zu haben. „Aber wir sind ein e. V. und
gemeinnützig und haben Erfahrung in der Mittelvergabe.“ Das, vermutet
Pfeiffer, sei wohl der Grund gewesen, warum man auf sie zugekommen sei.
Und natürlich lehnt man ein solches Ansinnen auch nicht ab. Pfeiffer hofft
auf bis zu 8 Prozent der vergebenen Hilfen, die am Ende als
Aufwandsentschädigung bei ihrem Verein bleiben, der dafür aber auch zwei
Vollzeitkräfte einstellen und eine Onlineplattform für die Anträge
einrichten muss.
Viel schlauer wird man auch nach einer Anfrage bei der Pressestelle der
Staatsministerin nicht. Sprechen will keiner ihrer Sprecher, lediglich
schriftlich dürfen Fragen eingereicht werden. Die Antworten sind allgemein
und ausweichend.
So werden als Kriterien für die Auftragserteilung zwar „sparten-, branchen-
und themenspezifischer Sachverstand“, „entsprechendes Eigeninteresse an der
Durchführung des Förderprogramms“, „strukturelle Eignung“, „personelle
Kapazität“ und die „allgemeine Bereitschaft der betreffenden
Organisationen“ genannt. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik
habe man sich jedoch entschieden, weil sie über „ausreichende Erfahrungen
in der Anwendung des Haushaltsrechts“ verfüge.
## Branche wird eingebunden
Immerhin: Die Zirkuspädagogen wie auch die ECA versuchen nun gemeinsam, das
Beste aus der Sache zu machen. „Wir binden die Zirkusunternehmen in den
kompletten Prozess mit ein“, verspricht Pfeiffer. „Und die sollen auch bei
der Beratung der Antragsteller mitwirken können. Diese Woche haben wir
unsere erste Zoom-Sitzung.“ Es müsse auch keiner befürchten, dass jetzt nur
zirkuspädagogische Einrichtungen an die Fördergelder kämen.
Ab dem 31. August können Zirkusse wie auch Zirkusschulen einen Antrag
stellen. 5.000 bis 100.000 Euro können beantragt werden. Es gilt das
Windhundprinzip. Allerdings stehen für Zirkusse nur Mittel aus dem Topf der
„pandemiebedingten Investitionen“ zur Verfügung. Ein
Desinfektionsmittelspender hier, ein Dixieklo dort – die Kosten dafür
können erstattet werden.
Aus Sicht von ECA-Geschäftsführer Grosscurth ist das jedoch lediglich ein
Tropfen auf den heißen Stein. „Was wir wirklich brauchen, ist eine
Starthilfe.“ Die Zirkusse hätten gewaltige Kosten für Produktion und
Promotion gehabt, bevor die Saison beginnen sollte. Die gleichen
Investitionskosten fielen nun bei einem Neustart erneut an. „Aber in dem
größten Teil des Kuchens, bei den 450 Millionen Euro, die das Programm
unter anderem als Nothilfe für Kultureinrichtungen und Kulturschaffende
vorsieht, steht von Zirkus kein Wort.“
30 Jul 2020
## LINKS
[1] /Kulturschaffende-in-Coronakrise/!5699234
[2] /Coronakrise-legt-den-Zirkus-still/!5698412
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
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