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# taz.de -- Urlaubsort für Chinas Parteikader: Beobachtung aus dem Busch
> Beidaihe ist ein verschlafener Küstenort in China. Im Sommer jedoch fährt
> hier der Polizeistaat auf – wenn die Parteikader zum Urlaub eintreffen.
Bild: Mao Tse-tung am Strand von Beidaihe. Heute sind die KP-Kader zugeknöpfter
Beidaihe taz | Dass dies wohl kein ganz normaler Wochenendausflug werden
würde, deutet sich bereits auf der Zugfahrt an. Bereits zum zweiten Mal
patrouillieren nun Polizisten in Uniform durch die Wagen der Ersten Klasse
des Expresszuges – eines pfeilförmigen Stahlblitzes, der mit knapp 350
Kilometern pro Stunde durch das Pekinger Umland donnert. Die Passagiere
werden sichtlich unruhig, das können auch die obligatorischen
Gesichtsmasken nicht verbergen. Was das überhaupt soll, möchte ein junger
Mann wissen, doch er erhält keine Antwort. Schließlich ist jeder Reisende
schon vor Betreten des Zuggleises bereits ein Dutzend Mal durchleuchtet
worden: Passkontrollen am Bahnhofseingang, Wärmebildkameras, Kameras mit
Gesichtserkennungssoftware, dazu mehrere Zäune, die mehr an
Hochsicherheitsgefängnisse denn an einen Hauptbahnhof erinnern.
„Haben Sie Flaschen mit Flüssigkeiten dabei?“, möchte ein junger Polizist
wissen, während sein älterer Kollege die Ausweise der nächsten Sitzreihe
kontrolliert. Nach einem fachmännischen Blick in den Rucksack konfisziert
er ein kleines Desinfektionsspray. Der Ärger entlädt sich in tiefem
Durchatmen. Widerrede hilft ja ohnehin nichts.
Ausstieg in Beidaihe: Der verschlafene Küstenort 280 Kilometer östlich der
chinesischen Hauptstadt gilt mit seinen langen Stränden und milden
Temperaturen als willkommene Sommerfrische für die Hauptstädter. Doch
Anfang August mischen sich zu den Normalbürgern auch hochrangige Gäste.
## Regierung da, Polizeikontrollen ebenfalls
„Die Regierung ist hier – wie jedes Jahr zu dieser Zeit“, sagt der
Taxifahrer, ein bulliger Mann mit Stiernacken und Kurzhaarfrisur. Der
Enddreißiger hat nicht nur das Aussehen eines Chinesen aus der
nordöstlichen Mandschurei, sondern auch das typisch lose Mundwerk: „Ich
habe nach ein paar Jahren hier die Schnauze voll. Zu viele Einschränkungen,
nichts darf man mehr machen, alles ist verboten. Vor allem für junge Leute
ist es keine gute Atmosphäre zum Leben.“
Wie zum Beweis wird sein Taxi von einem Polizisten von der Straße gewunken.
Vorm Eingang der Stadtgrenze wartet die nächste Polizeikontrolle auf die
Besucher: Zwei Soldaten mit dunklen Sonnenbrillen und Maschinengewehren
stehen Wache, zwei Kollegen in weniger einschüchternder Kleidung messen die
Temperaturen der Einreisenden, kontrollieren ihre Pässe und werfen ein
Blick in den Kofferraum.
Für die hochrangigen Kader der Kommunistischen Partei ist es ein
alljährliches Ritual, im Sommer zum Urlaub nach Beidahe zu reisen. Ende des
19. Jahrhunderts wurde der Ort als Sommerfrische für Diplomaten gegründet,
später residierte Landesvater Mao Tse-tung hier. Damals jedoch konnten auch
die Einheimischen dem älteren Herrn beim Morgenschwimmen zusehen, oder wenn
er sich die Sonne auf seinen stattlichen Bauch scheinen ließ. Längst jedoch
haben sich die Zeiten geändert: Präsident Xi Jinping residiert hinter hohen
Steinmauern und Stacheldraht, geschützt von Soldaten der
Volksbefreiungsarmee.
Die Sommerfrische in Beidaihe wird dabei natürlich nicht nur zur Erholung
genutzt. Der langgediente Peking-Korrespondent Johnny Erling, im letzten
Jahr in die deutsche Heimat zurückgekehrt, schrieb einst: „Es ist der
einzige Ort, an dem die innere Führung wichtige politische und
Personalentscheidungen informell ausfechten kann, bevor sie die Pläne von
den Parteigremien absegnen lässt.“
Auch dieses Jahr gibt es wohl viel zu debattieren: Allen voran spitzt sich
der Handelskrieg mit den USA zu. In Hongkong hat sich die Kommunistische
Partei durch ihren Unterdrückungskurs den Ärger der demokratischen
Staatenwelt zugezogen, und Südostasien ist ob Pekings Machtansprüchen im
Südchinesischen Meer erzürnt. Dass Xi Jinping auf die
Corona-Wirtschaftskrise vor allem mit einer Stärkung der Staatsunternehmen
statt auf Reformen setzt, dürfte hingegen auch bei vielen Parteikadern für
Unmut sorgen. All das wird wohl auch in Beidaihe debattiert. Aber das ist
natürlich nur eine Vermutung.
## Blauer Himmel und Sicherheitskräfte
Die Anziehungskraft des Orts ist sofort einleuchtend: Im Gegensatz zu
Peking ist der Himmel stets blau, der Geruch von Meerwasser liegt in der
Luft, alte Sowjetbauten und Kolonialvillen entlang von Kieferbäumen
gesäumten Alleen versprühen nostalgischen Charme. Junge Pärchen in
Hochzeitskleidern lassen sich vor der Postkartenidylle ablichten. Die
Polizisten, die an ausnahmslos jeder Straßenkreuzung stehen, scheinen sie
nicht zu stören. Die Sicherheitskräfte in Zivil, die ebenfalls am Trottoir
Ausschau halten, bekommen die meisten Sommerurlauber gar nicht mit.
Der Weg zum Strand offenbart auf wenigen hundert Metern das „Who’s who“ d…
chinesischen Staatsmacht: Petrochina, die größte Ölfirma des Landes mit
einem Umsatz von über 280 Milliarden US-Dollar, hat hier ein Ferienresort
für seine Mitarbeiter errichtet. Nur einen Steinwurf entfernt steht die
Anlage des Ministeriums für Wasserwirtschaft. Eine besonders pompöse Villa
an dem unscheinbaren Kieselweg wird von Stacheldraht abgeriegelt und ist
von außen unbeschriftet. Ein Blick auf die Karten-App weist den
Hauseigentümer als das Außenministerium aus.
Am Sandstrand herrscht Urlaubsidylle, wie sie in einem Land mit nur
einigen wenigen Dutzend Neuinfektionen pro Tag auch von Epidemiologen
gutgeheißen würde: Männer planschen im Wasser mit einer unschuldigen Freude
kleiner Jungs. Eine Gruppe von Frauen erfreut sich an ausgiebigen
Selfie-Fotosessions vor den Steinkluften am Meer. Dazwischen genießen
Familien mit Kleinkindern ihr Picknick unter Sonnenschirmen, die von einem
Geschäftsmann mit hartnäckigen Verhandlungsgeschick vermietet werden.
Vielleicht ist jene Szenerie eine treffende Metapher für den chinesischen
Status quo: Trotz totalitärer Überwachung und eines gesellschaftlichen
Klimas der Einschüchterung finden die Menschen ihre Nische zum privaten
Glück.
Nachdem die Sonne untergegangen ist, kehren die Besucher in den
Fischrestaurants entlang der Strandpromenade ein: Frisch gefangene Rochen,
riesige Krebse und jede Menge „Baijiu“-Schnaps werden aufgetischt.
## Strandverbot für den Reporter
Ob die ständigen Polizeikontrollen das Geschäft stören? Der Manager eines
Restaurants – Mitte 50, tief gebräunte Haut, grünes Camouflage-Shirt –
winkt gut gelaunt ab: „Die checken doch nur die Sicherheit, aber machen ja
nichts weiter. Sie sind deshalb so streng, weil Xi auch gerade hier ist“,
sagt er. Dann zeigt er hinaus auf das Meer: „Schauen Sie, dort wachen die
Schiffe der Marine.“ Tatsächlich leuchten nur wenige Kilometer vor der
Küste entfernt die Positionslichter einer Hand voll Boote in den
Nachthimmel.
Sehr gerne hätte man noch mehr Eindrücke von diesem idyllischen Küstenort
gesammelt. Doch am zweiten Morgen fangen zwei Polizisten den deutschen
Reporter noch am Strand ab, kontrollieren sämtliche Fotoaufnahmen des
Handys und sprechen ein Strandverbot aus. Ein Vergehen können die
Polizisten zwar nicht nennen. Doch wenn die Parteielite tagt, wird allein
schon die Anwesenheit eines westlichen Journalisten zur potenziellen
Bedrohung.
Die nächsten Stunden werden zu einer absurden Verfolgungsjagd mit den
omnipräsenten Sicherheitskräften, die den ausländischen Medienvertreter auf
Schritt und Tritt verfolgen – alle paar hundert Meter durch einen neuen
Beamten in Zivil. Selbst während der Eispause im Park riegeln zwei
Offiziere die Eingänge ab, während ein Zivilbeamter hinter einem Busch
hervorlugt.
Bloß weg hier, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass chinesische
Polizisten einen Journalisten wegen Spionagevorwürfen festhalten: Mit dem
Taxi geht es in Richtung Bahnhof. Doch zunächst führt die Route an riesigen
Villen vorbei. Ungefragt sagt der Fahrer fast ehrfürchtig: „In diesem Haus
residiert Xi.“ Die Anlage wird nicht nur von unzähligen Soldaten bewacht,
sondern grenzt offenbar an eine Kaserne.
12 Aug 2020
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
Schwerpunkt Überwachung
KP China
China
China
Schwerpunkt Pressefreiheit
Heiko Maas
Hongkong
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