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# taz.de -- Flucht nach Großbritannien: Über den Ärmelkanal
> Migrant*innen und Flüchtlinge kommen zunehmend per Schlauchboot aus
> Frankreich nach Großbritannien. Dieses Jahr waren es bereits über 4.000.
Bild: Samstag 8. August: Britische Grenzpolizei bringt aufgegriffene Flüchtlin…
London taz | In alten Tagen wurde die Kreideküste Kents von englischen
Seefahrern sehnsüchtig besungen. An hellen Tagen ist die markante weiße
Steilküste sogar von Frankreich aus zu sehen. Nur 34 Kilometer Ärmelkanal
liegen zwischen [1][Calais] und [2][Dover]. Die Strecke dazwischen ist das
meistbefahrene Gewässer der Welt.
Zunehmend finden sich dort nicht nur riesige Frachtschiffe, sondern
Menschen in überladenen Gummibooten und sogar auf Surfbrettern und Kajaks,
die die Routen der Frachter von Frankreich aus in Richtung der weißen
englischen Küste überqueren.
Eine große Zahl von Migrant*innen und Flüchtlingen hauptsächlich aus Irak,
Afghanistan und Syrien nutzte in den letzten Wochen das gute Wetter und die
ruhige See, um in übervollen Gummibooten über den Kanal nach England zu
fahren. Am vergangenen Donnerstag waren es 17 Boote mit 235 Menschen, ein
Rekord.
Im Juli allein kamen 1.100 Bootsflüchtlinge in Großbritannien an, seit
Januar nach Angaben des britischen Grenzschutzes etwa 4.000. Die meisten
werden von Schiffen der britischen Küstenwache gerettet.
Dass Menschen aus der EU-Zone lieber ins unabhängige Großbritannien ziehen
wollen, versteht die britische Regierung keineswegs als Kompliment.
Stattdessen gibt sie sich unnachgiebig. [3][Innenministerin Priti Patel]
griff am Freitag zu dem berühmt-berüchtigten Brexit-Slogan Dominic
Cummings, „Take back control“, mit Bezug auf die angeblich unkontrollierten
Grenzen und bezeichnete die Situation als eine „Schande“.
## Nigel Farage macht Druck auf die Regierung
Die Kontrolle der Grenzen, vor allem die Sicherung gegen unerwünschte
Einwanderung, war eines der Brexit-Argumente im rechten Milieu, und wurde
unter anderem von Nigel Farage oft erwähnt. Er macht seit Monaten auf die
Rekordzahlen von Bootsanlandungen in Kent aufmerksam, reist an die Küste
und bezichtigt die konservative Regierung der Untätigkeit. Vergangene Woche
sprach er von einer „Invasion“ mit Worten, die an den normannischen
Eroberungszug im Jahr 1066 erinnern.
Das Innenministerium will diese Überfahrten unrentabel machen, indem es die
Einreisemöglichkeiten erschwert. Aber Patel selbst wies darauf hin, dass es
hier nicht nur operative, sondern auch rechtliche Hürden gebe. Sobald sich
nämlich Menschen in Not in britischen Hoheitsgewässern befinden, müssen sie
nach internationalem und englischem Recht geborgen und gerettet werden.
Einfach zurückschicken geht nicht.
Neben einer stärkeren Marinepräsenz – die allerdings sogar zu mehr
Fluchtversuchen führen könnte, weil Flüchtlinge glauben könnten, dass die
Wahrscheinlichkeit ihrer Rettung damit steigt – setzt die britische
Regierung nun ihre Hoffnung auf Gespräche mit den französischen Partnern im
Laufe dieser Woche.
Großbritannien geht es dabei darum, dass die Migrant*innen schon in
französischen Gewässern abgefangen und nach Frankreich zurückgebracht
werden, so wie es auf dem Landweg längst bei versuchten Überquerungen auf
den Fähren aus Calais oder durch den Kanaltunnel geschieht.
## Migrantenverbände fordern legale Einreise
Es ist allerdings fraglich, ob derartige Maßnahmen wirklich etwas bringen
werden. Weder die [4][Verschärfung der Kontrollen in den letzten Jahren]
oder die Erhöhung der Grenzzäune in der Nähe des Eurotunnels noch der Abbau
des sogenannten Dschungel-Lagers für Flüchtlinge außerhalb von Calais noch
die erweiterten Grenzschutzpatrouillen auf hoher See oder die strengere
Kontrolle von Lkws weit im Hinterland führten zu einem Rückgang der
Einwanderungsversuche von Flüchtlingen, die lieber in Großbritannien als in
Frankreich ihr Glück versuchen wollen. Es änderte sich lediglich die Art
und Weise der Versuche, nach England zu gelangen.
Laut Sunday Telegraph fordert Frankreich, dass Großbritannien für
erweiterte Kontrollen auf französischer Seite Kosten in Höhe von 33
Millionen Euro deckt. Großbritannien hat seit 2015 bereits über 110
Millionen Euro für die genannten Maßnahmen in Frankreich und für britische
Grenzkontrollen in Calais gezahlt, gemäß einem bilateralen Abkommen, das
vom Brexit unberührt ist.
Auf britischer Seite sollen nun auch Drohnen, Schnellboote sowie
Suchflugzeuge und Helikopter der Luftwaffe verstärkt zum Einsatz kommen.
Bella Sankey, Direktorin der Flüchtlingshilfsorganisation Detention Action,
glaubt, dass andere Maßnahmen eher helfen würden. Viele der Menschen, die
sich in Frankreich aufhalten, hätten legitime Anrechte in Großbritannien,
etwa auf Familienzusammenführung. Statt verstärkter Kontrolle fordert sie
legale Einreiserouten. Dieser Forderung schließt sich auch Fizza Qureshi
vom Migrants’ Rights Network an, vom größten Netzwerk für Migrant*innen in
Großbritannien.
9 Aug 2020
## LINKS
[1] /Im-Schlauchboot-nach-Grossbritannien/!5563185/
[2] /Vor-der-Abstimmung-ueber-den-Brexit/!5289304/
[3] /Britische-Innenministerin-Priti-Patel/!5694795/
[4] /Fluechtlingspolitik-und-Brexit/!5478381/
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
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