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# taz.de -- Surfen Richtung Olympia: Eine Welle machen für Afghanistan
> Afridun Amu ist in Göttingen aufgewachsen und fühlt sich seinem
> Geburtsland Afghanistan verbunden. Dort ist er auch ohne Küsten ein Star.
Bild: Steht sicher auf der Welle: Afridun Amu beim Indoor-Surfen in Berlin
Ein Wackler, er stürzt, und die Welle verschluckt ihn. Das Surfbrett
spritzt hoch über das schäumende Wasser und landet knapp neben Afridun Amu,
der sich am seichten Ende des Beckens wieder auf die Beine kämpft. Ja, es
ist ein Becken, in dem er surft. Diese Brandung entspringt nicht der Natur.
Im Berliner Wellenwerk wird auf einer Breite von neun Metern eine
künstliche Welle erzeugt. Der Deutsch-Afghane Afridun Amu trainiert hier
für Olympia. Dieses Jahr sollte Wellenreiten zum ersten Mal olympisch sein,
nun verschiebt sich wegen der Coronapandemie die Surf-Premiere bei den
Spielen. [1][Bestenfalls auf 2021]. Amus großer Traum ist es, dabei zu sein
– für sein Geburtsland Afghanistan.
Der 33-Jährige trainiert zurzeit in Berlin mit der Profisurferin Valeska
Schneider. Abwechselnd gleiten sie im Wellenkanal hin und her und üben
kleine Tricks. „Am Anfang war eine stehende Welle ein Kampf für mich, ein
Kampf gegen Wassermassen, die versuchen, mich nach hinten zu schießen“,
erklärt Afridun Amu nach seiner Trainingseinheit in der Bar des
Wellenwerks. Er ist eigentlich [2][Ozeansurfer]. „Im Meer empfinde ich eine
Art Symbiose mit der Welle, sie treibt mich an, bringt mich nach vorne.“
Trotzdem habe er zunehmend Spaß auf der statischen Welle.
Afridun Amu ist in Kabul geboren und im Alter von fünf Jahren mit seiner
Familie nach Deutschland geflohen. Er ist in Göttingen aufgewachsen, hat
Jura und Kulturwissenschaften studiert. 2013 hat er den afghanischen
Surfdachverband mitgegründet, zwei Jahre später die ersten afghanischen
Surfmeisterschaften gewonnen, die in Portugal ausgetragen wurden und an der
ausschließlich Exil-Afghan*innen teilgenommen haben. Sein großes Ziel sind
die Olympischen Spiele.
Anfang des Jahres hat er noch intensiv für die Weltmeisterschaft und die
Olympia-Qualifikation trainiert. „Ich war in Indonesien und Hawaii und war
physisch, aber auch technisch wahrscheinlich auf meinem Höhepunkt“, sagt
er. Dann kam Corona. Afridun Amu musste nach Deutschland zurückkehren. Er
nutzte die Zwangspause intensiv für seine Hobbys: Instrumente lernen,
wandern. „Ich liebe deutsche Wälder“, sagt er und hebt die Faust mit
abgespreiztem Daumen und kleinem Finger, um einen Kumpel zu grüßen.
## Surfer in Vollzeit
Afridun Amu hat ein Stipendium vom Internationalen Olympischen Komitee und
einige Sponsorenverträge, um sich in Vollzeit auf seinen Olympia-Traum
vorbereiten zu können. Wegen der Pandemie ist es noch unklar, wann die
ersten Qualifikationswettkämpfe stattfinden. „Gerade wird spekuliert“, sagt
er. Im November möchte er an den Asian Beach Games und den asiatischen
Meisterschaften teilnehmen – vorausgesetzt, man darf nach China reisen.
„Ich würde mich freuen, wenn es klappt mit der Olympia-Quali. Und ich
glaube, es wäre auch für das gesamte afghanische Surfen eine schöne
Angelegenheit. Gerade für meine Landsmänner und -frauen wäre das ein super
Akt.“
Afridun Amu hat eine Mission. Er möchte Surfen in Afghanistan populär
machen. Es klingt verrückt – und ist es auch. Afghanistan ist ein
Gebirgsland ohne Küste. Die politische Situation ist permanent instabil,
immer wieder werden Menschen bei Anschlägen verletzt und getötet. Surfen
steht da vermutlich ganz hinten auf der Liste der Dinge, die das Land
braucht.
Aber genau das motiviert Afridun Amu: „In den Medien geht es fast nur um
Terror und Krieg, das ist definitiv ein Teil der Realität in Afghanistan.
Aber es ist eben nicht alles, was das Land auszeichnet. Das Afghanistan,
das ich kenne, das ich auch als Kind kennengelernt habe, ist ein sehr
schönes Afghanistan: wunderschöne Landschaften, interessante
Persönlichkeiten, eine unglaubliche Spiritualität. Und das ist ein
Afghanistan, das ich gerne repräsentieren und zeigen möchte.“
## Surfen in Afghanistan
Das ist ihm schon einmal gelungen. Gemeinsam mit zwei Flusssurfern und
einem Filmemacher hat er Afghanistan bereist, um einen Film über Surfen in
seiner Heimat zu machen. [3][„Unsurfed Afghanistan“], unbesurftes
Afghanistan, heißt die im vergangenen Jahr veröffentlichte halbstündige
Dokumentation, die auf dem Berlin Independent Film Festival sowie dem
Manchester Film Festival als „Best Short Documentary“ ausgezeichnet wurde.
Der Film ist ein beeindruckendes Dokument einer ungewöhnlichen Reise, ein
Road Movie, in dem drei junge Männer auf der Suche nach der perfekten Welle
in einem vom Krieg gezeichneten Land sind. Sie reisen ins Pandschir-Tal und
stürzen sich in den reißenden Fluss, um dort auf einer stehenden Welle zu
surfen.
„Die Einheimischen waren baff“, erzählt Amu. „Bevor wir ins Wasser stieg…
wussten die meisten gar nicht, was wir da eigentlich machen mit unseren
komischen Anzügen und Brettern. Aber spätestens als wir im Wasser waren,
haben sie sich mindestens genauso gefreut wie wir.“ Seit der Surf-Reise
nach Afghanistan überlegt Afridun Amu, wie afghanische Kinder schwimmen und
surfen lernen könnten.
„Ich hatte in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Olympischen Komitee und
einigen Finanziers geplant, zunächst in zwei Regionen in Afghanistan
Schwimmmöglichkeiten für Kinder zu bauen und Schwimmlehrer auszubilden.“
Außerdem träume er davon, eine stehende Welle in einem afghanischen Fluss
zu errichten. „Vielleicht kann Surfen einen Tropfen Lebensfreude nach
Afghanistan bringen“, sagt er. Wegen der Pandemie und der unsicheren
politischen Lage kann er seine Pläne zurzeit nicht umsetzen.
## Surftherapie für Jugendliche
Stattdessen engagiert sich Afridun Amu in der NGO „Wir machen Welle“, die
der Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner ins Leben gerufen hat und die
Surftherapie für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen anbietet. Diese
Erfahrungen will Amu nutzen und gemeinsam mit dem Verein „Yaar“, der sich
in Berlin für Geflüchtete aus Afghanistan einsetzt, diesen Geflüchteten
schwimmen und surfen beibringen. Wieder so eine abgefahrene Idee. „Beim
Surfen spielt Angst und die Überwindung der Angst eine große Rolle“,
erklärt Amu. „Wenn man lernt, mit dieser Angst umzugehen, kann das im Leben
auch weiterhelfen.“
Geflüchtete hätten zudem häufig auf ihrer Flucht traumatische Erfahrungen
im Zusammenhang mit Gewässern gemacht, sodass das Erlernen von Schwimmen
und Surfen helfen könne, diese zu verarbeiten. „Und beim Surfen kann man
abschalten, einfach den Moment genießen.“ Afridun Amu möchte schon bald
eine Gruppe Geflüchteter in Berlin begleiten, im Schwimmbad und im
Wellenwerk, auf ihrem Weg aufs Surfbrett. Am Ende steht eine gemeinsame
Reise nach Portugal ans Meer an.
Afridun Amu ist ein Sonnyboy voller Tatendrang und hochfliegender Pläne. Er
sagt selbst, dass er es okay findet, wenn er als cooler Exot auf dem
Surfbrett beschrieben wird, der zu Olympia möchte und gleichzeitig die Welt
besser machen will. Aber Amus Beweggründe sind ernst. Er ist deutscher
Staatsbürger, wurde in Deutschland sozialisiert – und dennoch immer wieder
mit Rassismus konfrontiert. „Ich bin in Göttingen groß geworden, einer
kleinen Stadt.
## Schwierigkeiten mit der neuen Heimat
Da ist mir immer der Stempel „Ausländer“ aufgedrückt worden. Mir ist es
auch oft passiert, dass ich zum Beispiel am Bahnhof von Polizisten
kontrolliert wurde.“ Wenn er nach dem Grund gefragt habe, hieß es: „Sie
sehen verdächtig aus.“ Und Afridun Amu betont: „Es ist dringend notwendig,
dass noch mehr über Rassismus gesprochen wird.“ Wer viel Ablehnung erlebt,
kann sich nicht so richtig mit einem Land identifizieren. „Bei mir ist
Afghanistan immer die Antwort nach meiner Herkunft, obwohl ich mich auch
deutsch fühle.“
Das erklärt die große Liebe zu seiner Heimat, die er früh verlassen musste.
Und seinen innigen Wunsch, ein lebenswerteres Afghanistan zu schaffen. Für
ihn gehört da nun mal das Surfen dazu. In seiner Heimat ist er mittlerweile
berühmt. Eine Olympia-Teilnahme wäre nicht nur die sportliche Krönung
seiner Bemühungen, sondern auch ein Geschenk an seine Landsleute. Amu sagt
selbst, dass es vermutlich die letzte Möglichkeit sein wird, sich für die
Spiele zu qualifizieren: „Ich bin vor Kurzem 33 geworden, und ich weiß,
dass ich so viele Olympia-Chancen wahrscheinlich nicht haben werde.“ Umso
ernster nimmt er nun die Vorbereitung. Ein paar Tage nach seinem Training
im Berliner Wellenwerk ist er auf die Azoren geflogen – um echte Wellen zu
surfen in einem echten Ozean.
17 Jul 2020
## LINKS
[1] /Verschobene-Sommerspiele-in-Tokio/!5670725
[2] /Extremes-Surfen/!5144192
[3] https://www.unsurfed.com/
## AUTOREN
Jutta Heess
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