# taz.de -- Surfen am Olympiastrand: Tränen am Beachi | |
> Leon Glatzer scheidet am ersten Tag der Surfpremiere am Strand von | |
> Tsurigasaki aus. Parallel präsentieren sich Japans Wellenreiter in | |
> Topform. | |
Bild: Äquilibristik auf dem Wellenkamm: der Surfer Leon Glatzer im Pazifik | |
Am Ende mischen sich Wasser und Tränen auf Leon Glatzers Gesicht. [1][Ein | |
Deutscher unter den besten 20 Surfern der Welt], Teil des exklusiven | |
Zirkels, der die Sportart bei ihrer Olympiapremiere in Tokio vertreten | |
darf, das war ja an sich schon sensationell. Aber da er nun mal hier war, | |
wollte der 24-Jährige auch brillieren. Er kämpfte verbissen um jede Welle, | |
und doch reichte es am Sonntag am Tsurigasaki Surfing Beach nicht. Mit | |
jeweils nur Zehntelpunkten Rückstand sowohl in der ersten als auch in der | |
zweiten Runde des Wettbewerbs schied Glatzer aus. | |
„Das ist sehr traurig“, sagt er, „ich habe so viel gearbeitet, das ganze | |
deutsche Team ist mit mir hier, alle meine Freunde und meine Familie, die | |
haben mir so viel Energie gegeben.“ Auf Instagram habe er jede Menge neuer | |
Fans, „ich bekomme so coole Nachrichten, ich wollte hier für mich und alle | |
eine gute Leistung zeigen“. | |
Am Morgen des Debüttages blickte manch einer noch sehnsüchtig hinaus auf | |
den Pazifik. Irgendwo da draußen stürmt ein Taifun vor sich hin, den | |
Olympiamachern bereitet sein Weg in Richtung Tokio Sorgen. Doch die Surfer | |
wünschten sich die Vorboten des Wirbelsturms herbei: Wellen. Schöne, hohe, | |
kräftige Wellen, um der Welt im olympischen Rampenlicht ein bisschen | |
Spektakel zu bieten. | |
## Medaillen am Mittwoch | |
Zunächst musste jedoch ganz schön geruckelt werden auf den Brettern, um sie | |
in Schwung zu bringen. Die Wellen gaben nicht so richtig viel her, vor | |
allem recht großen Surfern wie dem 1,83 Meter großen Glatzer bereitete das | |
Probleme. 20 Männer und 20 Frauen waren für die olympische Surfpremiere | |
qualifiziert, maximal zwei Athleten pro Nation. Jeweils 16 gehen nun am | |
Montag in die dritte Runde, Viertel- und Halbfinale findet am Dienstag | |
statt, Mittwoch geht’s um die Medaillen. | |
Es war ein schöner Tag am Tsurigasaki Surfing Beach. „Surfing Beachi“, | |
sagen die japanischen Volunteers, die ausländischen Gästen den Weg weisen. | |
Blauer Himmel mit dicken, weißen Schäfchenwolken, Sonne, dazu ein leichter | |
Wind und feiner dunkler Sand zwischen den Zehen. Im Hintergrund grüne | |
Buckel, das Boso-Hügelland der Präfektur Chiba. Der olympische Hotspot der | |
Surfer liegt rund 60 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, der Bus braucht | |
aus Tokios Innenstadt anderthalb Stunden bis hierher. | |
Die Gegend zu erkunden, erlauben die strengen Coronaauflagen nicht. So | |
fällt der Blick sehnsüchtig durch die Fensterscheiben des Busses auf | |
beschauliche bunte Häuschen, einladend wirkende Cafés und bunte | |
Surfgeschäfte. So nah an der Metropole Tokio, und doch der Gegenentwurf zum | |
betonierten Hochhausdschungel. Der Wettkampfbereich am Strand ist | |
abgesperrt, aber rechts und links tummeln sich die einheimischen Surfer im | |
Wasser. Kleine, fröhlich tanzende Punkte, die erahnen lassen, was hier | |
hätte los sein können ohne Pandemie. | |
## Party war gestern | |
Surfen gehört wie Skateboarden, Klettern oder 3x3-Basketball zu den hippen | |
Sportarten, die neu sind im olympischen Programm. Mit denen das IOC um | |
Anhänger in der jungen Generation wirbt. Und wer glaubt, die coolen | |
Surfprofis könnten es irgendwie doof finden, sich den gestrengen Statuten | |
der Ringeorganisation zu unterwerfen, der täuscht sich. Unisono beteuern | |
sie ihre Begeisterung. | |
Viele sagen, sie fühlten sich endlich als „echte Athleten“ wahrgenommen und | |
akzeptiert, und nicht länger als partymachendes Strandvolk abgestempelt, | |
das nebenbei ein bisschen auf seinen Brettern steht. Italo Ferreira, | |
Topfavorit aus Brasilien und mit seinen 13,67 Punkten aus der ersten Runde | |
Tagesbester, sagte: „Hier zu sein, ist ein Traum für mich. Wir schreiben | |
Surfgeschichte und ich bin glücklich, ein Teil davon zu ein.“ | |
Die Brasilianer haben zuletzt im Surfsport den Amerikanern ihre | |
Vormachtstellung abgenommen. [2][Der legendäre Kelly Slater], 49 Jahre alt, | |
hat sich nicht für die Spiele qualifiziert. Kolohe Andino und John John | |
Florence vertreten die USA in Tokio. In Runde eins meldeten aber nicht sie | |
Ansprüche an, die Brasilianer zu ärgern, sondern die Japaner. Kanoa | |
Igarashi drängte sich mit 12,77 Punkten zwischen Ferreira und seinen | |
Landsmann Gabriel Medina (12,23). Und auch Hiroto Ohhara zog mit 11,40 | |
Punkten problemlos direkt in die dritte Runde ein. | |
Olympia im eigenen Land ist eine gewichtige Motivation, den Leistungsstand | |
nach oben zu schrauben. Die Japaner haben 2016 ähnlich wie die Deutschen | |
ein bisschen an ihren Surfstrukturen geschraubt. Sie holten den | |
Südafrikaner Wade Sharp als Nationaltrainer. Er hat vorher mit den Surfern | |
aus Costa Rica gearbeitet und reihenweise Medaillen mit seinen Athleten | |
eingesammelt, weshalb Martin Walz, der Sportpsychologe des deutschen Teams, | |
Sharp als „Pep Guardiola des Surfens“ bezeichnet. | |
Der „Surfing Beachi“ der Japaner wird sich kaum zum Highlight der | |
internationalen Surfszene entwickeln, auch wenn die Wellen am Nachmittag | |
besser werden und noch immer alle hoffen, dass der Taifun am Montag so | |
richtig Spektakel heranspült. Aber Kanoa Igarashi ist trotzdem sehr angetan | |
davon, was Olympia geschafft hat: „Jeden Tag, wenn ich aufwache, kneife ich | |
mich. | |
Aber es scheint alles real zu sein.“ Sein Vater hat als Kind an diesem | |
Strand das Surfen gelernt. Mitte der 1990er Jahre zog er nach Kalifornien, | |
weil er seiner Familie ein besseres Surfumfeld bieten wollte. Nun ist der | |
Sohn zurück, um nach einer olympischen Medaille zu greifen, und sagt: „Hier | |
gab es immer nur eine unbefestigte Straße, und plötzlich haben wir hier | |
unser eigenes Olympisches Dorf für Surfer.“ | |
Als Leon Glatzers Tränen getrocknet sind, kommt auch seine Begeisterung | |
zurück. In der zweiten Runde lag er am Ende nur knapp hinter dem Australier | |
Julian Wilson, zwischenzeitlich hatte er sich sogar vor ihn geschoben. „Er | |
ist einer meiner Heroes“, sagt Glatzer, „mein ganzes Leben habe ich Videos | |
von ihm gesehen, von ihm habe ich gelernt.“ Und nun hätte er den | |
32-Jährigen beinahe aus dem olympischen Wettbewerb geworfen. | |
25 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wethecitizen.eu/community/leon-glatzer/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=kazCuBTUBiA | |
## AUTOREN | |
Susanne Rohlfing | |
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