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# taz.de -- Olympia-Premiere der Wellenreiter: Ein Surfer, reich im Herzen
> Leon Glatzer darf sich als Surfer Boy demnächst Olympionike nennen. Der
> Deutsche Wellenreiterverband musste sich auf Tokio erst einstellen.
Bild: Surfer Boy übt in Langenfeld für Olympia: Leon Glatzer
Ein Olympiaticket erobert zu haben, ist eine große Sache. Für jeden
Athleten. Immer. Und doch: Wer Leon Glatzer zuhört, wenn er über sein
Erlebnis Tokio-Qualifikation spricht, kann sich des Gefühls nicht erwehren,
dass hier jemand noch ein bisschen glücklicher und stolzer ist als andere:
„Ich habe so viel gekotzt, ich habe so viel geheult, und ich habe so viel
auch gelacht, als ich wusste, dass ich in Olympia bin.“
Leon Glatzer ist Surfer. Seine Sportart feiert bei den Spielen 2020/21
Olympia-Premiere. Er ist 24 Jahre alt, seine Eltern stammen aus Kassel,
aber er wurde auf Hawaii geboren und wuchs in Costa Rica auf. Deshalb
klingt sein Deutsch ein bisschen lustig, irgendwie international, nach
deutschen Großeltern und einem Leben auf der Surftour, wo mit den Kollegen
hauptsächlich Englisch und Spanisch gesprochen wird. Er sei „in Olympia“,
das sagt Glatzer immer wieder an diesem Nachmittag auf dem Dach des
Deutschen Sport- und Olympiamuseums in Köln. So als habe er dabei die
deutsche Redewendung „im siebten Himmel sein“ im Kopf.
Als derartigen Aufstieg stellt er seinen Weg in den Surf-Olymp zumindest
dar. Zwischen dem achten und vierzehnten Lebensjahr verdonnerten seine
Eltern ihn dazu, in Costa Ricas Hauptstadt San José weit weg vom geliebten
Meer die Schulbank zu drücken. Glatzer lebte für die Wochenend- und
Ferienausflüge zum Surfen und las dazwischen unermüdlich in einschlägigen
Magazinen. „Was soll das? Was liest du da? Du wirst sowieso kein Surfer“ –
das habe er sich dauernd anhören müssen von seinen Mitschülern, erzählt
Glatzer.
Doch dann kam der Tag, an dem seine Mutter auf ihr Herz hörte. Ihren Söhnen
habe sie immer gesagt: „Du hast nur ein Leben, such deinen Traum.“ Katja
Glatzer arbeitete einst als Model, heute lebt sie von den Mieterträgen aus
einigen kleinen Wohnungen, die sie in Kassel besitzt. Ihr Traum nach dem
Jetset-Leben sei gewesen: „Ein kleiner Ort mit einer schönen Welle, nicht
viele Leute, ein Garten mit ein bisschen Gemüse und Hühnern.“ So erzählt es
Leon Glatzer.
## Sin Pantalones in Pavones
Und an jenem Tag kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag also machte sich
Katja Glatzer auf, ihren Traum zu leben. In San José lud sie all ihr Hab
und Gut ins Auto, holte den völlig überrumpelten Leon aus dem Unterricht
heraus und fuhr ins gut 350 Kilometer von der Hauptstadt entfernt gelegene
Pavones.
Sie bekam ihre Hühner, Leon sein Surfen. Er und sein sieben Jahre jüngerer
Bruder Sean wurden fortan zu Hause privat unterrichtet. Und es dauerte
nicht lange, bis der Leon Glatzer dem Münchner Athletenmanager Quirin
Rohleder auffiel. Der deutsche Junge aus Pavones liebte es, beim Surfen zu
fliegen. Bis heute springt kaum ein Kollege mit seinem Brett so viel und so
hoch wie Glatzer, er gilt als Experte für die Airs – so nennen sie in
Surferkreisen die spektakulären Sprünge hoch in die Luft.
Es kursierten Videos von Glatzer bei Youtube, und ein Freund Rohleders
hatte den Nachwuchssurfer in Pavones live in Aktion gesehen und für gut
befunden. Also flog Rohleder nach Costa Rica, um sich selbst ein Bild zu
machen: Und fand „einen Rohdiamanten“, wie er sagt. „Gut, aber noch viel
Arbeit“, habe er damals gedacht, erzählt der Münchner: „Und dann war Leon
auch noch so wahnsinnig nett und lieb.“
Was nach einer guten Charaktereigenschaft klingt, ist beim Surfen nicht
immer hilfreich. „Wenn man mit drei Leuten im Wasser ist, braucht man
Ellenbogen, da muss man auch mal Arschloch sein“, erklärt Rohleder.
Psychologische Stärke spiele eine enorme Rolle. Kelly Slater etwa, lebende
Surflegende aus den USA, habe seine elf WM-Siege auch deshalb gefeiert,
weil er den Wettbewerb immer schon am Strand mit „Mind Tricks“ begann. Er
verunsicherte seine Gegner bereits vor dem ersten Kampf um eine Welle. In
Tokio wird der 47-Jährige allerdings nicht dabei sein, er scheiterte in der
Qualifikation.
## Freundlich und weltklasse
Leon Glatzer ist noch immer ein sehr freundlicher Mensch. Inzwischen aber
auch ein Weltklassesurfer. Nervenstark genug, um im Juni bei den World
Surfing Games in El Salvador, der inoffiziellen Weltmeisterschaft,
überraschend einen von nur 20 Olympiastartplätzen erobert zu haben. Und
doch weiterhin so sensibel, dass sein rebellierender Magen nach dem bislang
größten Erfolg seiner Karriere erst mal die Kontrolle übernahm. Und dann
wieder mit hinreichend Chuzpe ausgestattet, um beim Pressetermin in Köln,
wo der Deutsche Wellenreitverband (DWV) angesiedelt ist, folgenden Satz in
die Mikrofone zu diktieren: „Jetzt gewinne ich Gold in Tokio.“
Als Quirin Rohleder vor zehn Jahren in Pavones vor der Tür stand, um Leon
Glatzer unter Vertrag zu nehmen, überließ dieser das Verhandeln seiner
Mutter. Ihre Bedingung: Der Sohn sollte für Deutschland starten. Die
Verbundenheit nach Kassel und zur dortigen Familie ist groß, die Wahl der
Sportlernationalität für ihren in den USA geborenen und in Costa Rica
aufgewachsenen Sohn fiel Katja Glatzer daher nicht schwer. Für den DWV sind
junge Surfer wie Leon Glatzer ein Glücksfall. Sie haben deutsche Wurzeln
und einen deutschen Pass, leben und trainieren aber seit Kindertagen im
Ausland. Anders geht es kaum, denn hierzulande gibt es keine Welle, an der
ein Surfer Weltklasseformat erlangen kann.
„Da kommen natürlich viele Fragen“, sagt Glatzer: „Ist er echter Deutsch…
warum wohnt er nicht in Deutschland?“. Er sei „more German than a
Bratwurst“, sagt er dann gern. Deutscher als eine Bratwurst. „Ich bin
echter Deutscher. Mein Deutsch ist vielleicht nicht das beste, aber ich bin
auch zehn Monate im Jahr auf Reisen, da wird nicht so viel Deutsch
gesprochen.“ Und das seit er vierzehn Jahre alt ist. Denn nachdem Rohleder
das Management übernommen hatte, dauerte es nur zwei Wochen, und Glatzer
hatte bereits fünf Sponsoren. Er habe gedacht. „Cool, so gut bin ich? Das
wusste ich gar nicht.“
## Gutes Auskommen
Heute weiß er es. Leon Glatzer hat sein Auskommen als Surfprofi. Aber die
wirklich goldenen Zeiten habe er nicht mehr erlebt, erzählt sein Manager.
Anfang der 2000er Jahre habe die Surfindustrie nur so mit Geld um sich
geworfen. Auch ein Athlet aus der zweiten Liga konnte ein Jahresgehalt von
gut und gerne 250.000 Euro verdienen – wenn er ein interessanter, heißt
werbetauglicher Typ war. „Dann kam die Weltfinanzkrise 2008, und es zeigte
sich, dass viele Surfunternehmen sich übernommen hatten“, erklärt Rohleder.
Inzwischen sei die sportliche Leistung aber wichtiger denn je. Und das
Niveau habe enorm zugelegt, seit 2016 bekannt wurde, dass Surfen ins
Programm der Olympischen Spiele aufgenommen wird. „Am Anfang war es ein
bisschen komisch“, erzählt Glatzer. „In der Surfindustrie war man
unsicher, Olympia, was soll das?“ Für ihn war allerdings sofort klar:
„Olympia, hallo, das ist der Traum eines jeden Athleten, da will ich auf
jeden Fall hin.“
Teil des Programms der Sommerspiele zu sein, bedeutet für das Surfen, zum
ersten Mal Zugang zu den olympischen Sportstrukturen bekommen zu haben. Zu
Trainern, Psychologen, Physiotherapeuten, einer übergreifenden
Verbandsstruktur. Der Deutsche Wellenreitverband musste sich neu erfinden,
hatte dazu durch die Olympiaförderung aus öffentlicher Hand aber eben auch
die Gelegenheit.
## Reich
„Wir konnten zum ersten Mal trainieren wie richtige Athleten“, sagt
Glatzer, „viele Surfer weltweit sind jetzt so fit wie nie.“ Die Mädels und
Jungs vom Strand sind zu Spitzenathleten mit Medaillenambitionen geworden,
statt Lagerfeuer im Sand und ein kühles Bier gibt es nun Physiotherapie und
einen Ernährungsplan. Die Vorfreude auf die Olympiapremiere ist groß.
Glatzer kann nicht aufhören, immer wieder voller Ehrfurcht zu sagen: „Ich
bin in Olympia!“
Aber reich wird man davon nicht.
„Doch“, antwortet er. „Im Kopf und im Herzen wird man richtig reich.“
17 Jul 2021
## AUTOREN
Susanne Rohlfing
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Surfen
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Fischerei
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