# taz.de -- Gericht kippt Thüringer Paritätsgesetz: Mann, oh Mann, oh Mann | |
> Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kippt das Paritätsgesetz des | |
> Landtags. Es sei nicht mit dem Gleichstellungsgebot zu rechtfertigen. | |
Bild: Der Verfassungsgerichtshof in Weimar bei einer Verhandlung zur Paritätsr… | |
Das Thüringer Paritätsgesetz ist nichtig. Die Pflicht, Wahllisten zur | |
Landtagswahl abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen, verstößt gegen | |
die Thüringer Landesverfassung. Das entschied an diesem Mittwoch der | |
Thüringer Verfassungsgerichtshof. | |
Thüringen hatte im Juli 2019 als zweites Bundesland nach Brandenburg ein | |
Paritätsgesetz beschlossen. Ziel war es, den Frauenanteil im Thüringer | |
Landtag deutlich zu erhöhen. Derzeit sind nur 31 Prozent der Abgeordneten | |
Frauen. Die AfD hat fast nur männliche Abgeordnete. Auch in der CDU ist der | |
Männeranteil sehr hoch, allerdings vor allem wegen der vielen männlichen | |
Direktmandate. | |
Das Thüringer Paritätsgesetz sah für Landeslisten ein Reißverschlussprinzip | |
vor. Die Listen sollten abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden. | |
Personen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ sollten an jedem beliebigen | |
Platz der Liste kandidieren können. | |
Gegen das Thüringer Paritätsgesetz erhob die Thüringer AfD-Fraktion eine | |
abstrakte Normenkontrolle, über die jetzt der Thüringer | |
Verfassungsgerichtshof in Weimar entschied. Das Thüringer | |
Verfassungsgericht besteht aus neun RichterInnen, sieben Männern und zwei | |
Frauen. Eine Mehrheit von sechs Richtern (ausschließlich Männern) gab der | |
AfD nun recht. | |
## Gericht sah Chancengleichheit verletzt | |
Das Paritätsgesetz stelle einen Eingriff in mehrere Grundrechte und | |
Verfassungswerte dar, listete Stefan Kaufmann, der Präsident des Gerichts, | |
auf. Bürger könnten sich bei der Aufstellung der Landeslisten nicht mehr | |
auf jeden Platz bewerben, sondern nur noch auf jeden zweiten Platz. Das | |
beeinträchtige ihr passives Wahlrecht. | |
Parteien könnten ihr Anliegen nicht mehr durch einen besonders hohen | |
Frauen- oder Männeranteil unterstreichen, wenn der Staat paritätische | |
Listen vorschreibe, so Kaufmann. Dies beeinträchtige die Freiheit der | |
Parteien, ihr Personal frei zu wählen. | |
Außerdem sah das Gericht die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Ein | |
Partei könne gezwungen sein, „aus ihrer Sicht weniger gut geeignete | |
Kandidaten“ aufzustellen, wenn ein Geschlecht unter den Mitgliedern stark | |
unterrepräsentiert ist. | |
Die entscheidende Frage war aber, ob diese durch das Paritätsgesetz | |
verursachten Eingriffe durch andere Verfassungswerte gerechtfertigt werden | |
konnten. Die Landesregierung berief sich hier vor allem auf das | |
Gleichstellungsgebot der Thüringer Landesverfassung (Artikel 2). Danach ist | |
das Land verpflichtet, die „tatsächliche Gleichstellung von Männern und | |
Frauen“ in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu „sichern“. Die | |
Formulierung geht weiter als der entsprechende Passus im Grundgesetz, wo | |
der Staat die tatsächliche Gleichstellung nur „fördern“ muss. | |
## Richter beriefen sich auf Entstehung | |
Doch das Gericht hielt die Aussagekraft dieser Formulierung für „zu | |
gering“, um darauf die Rechtfertigung einer derartigen Quotenregelung zu | |
stützen. Paritätische Wahllisten seien in der Landesverfassung nicht | |
ausdrücklich erwähnt. | |
Die Richter beriefen sich dabei auch auf die Entstehung der | |
Landesverfassung im Jahr 1993. Damals hatten Grüne und PDS (Vorgängerin der | |
Linkspartei) beantragt, die paritätische Vertretung von Männern und Frauen | |
in Entscheidungsgremien ausdrücklich in der Verfassung zu erwähnen. Doch | |
die Anträge wurden damals abgelehnt. | |
Drei VerfassungsrichterInnen stimmten gegen dieses Urteil, darunter die | |
beiden einzigen weiblichen Mitglieder des Gerichts. In einem gemeinsamen | |
Minderheitsvotum erklärten die Richter Renate Licht und Jens Petermann, | |
dass das Gleichstellungsgebot der Verfassung auch quotierte Listen | |
rechtfertige. Der Wortlaut sei hier eindeutig. Die Entstehungsgeschichte | |
dürfe bei der Interpretation nicht überbewertet werden. Eine Verfassung | |
müsse vor allem nach Sinn und Zweck ausgelegt werden. | |
In einem weiteren Minderheitsvotum argumentierte die Richterin Elke | |
Heßelmann ähnlich. Allerdings hätte sie den Parteien noch mehr Zeit zur | |
Umstellung zugebilligt, sodass das Gesetz noch nicht bei der kommenden | |
vorzeitigen Landtagswahl im April 2021 anwendbar gewesen wäre. | |
## Reparatur kaum vorstellbar | |
Bei der kommenden Landtagswahl wird nun wieder das alte Wahlrecht – ohne | |
Pflicht zu paritätischen Listen – angewandt. Eine Reparatur des Gesetzes | |
ist kaum vorstellbar. Auch eine abgeschwächte Fassung des Paritätsgesetzes | |
könnte wohl nur mit einer Änderung der Thüringer Landesverfassung | |
beschlossen werden. Doch für eine Verfassungsänderung wäre eine | |
Zweidrittelmehrheit erforderlich, die angesichts der ablehnenden Haltung | |
von CDU, AFD und auch FDP illusorisch ist. | |
Der Thüringer Justizminister Dirk Adams (Grüne) sagte nach der | |
Urteilsverkündung, er sei zwar nicht glücklich über das Urteil, aber nun | |
bestehe zumindest Rechtssicherheit für die kommende Landtagswahl. | |
Bereits am 20. August wird das Brandenburger Verfassungsgericht über das | |
dortige Paritätsgesetz verhandeln. | |
(Az.: VerfGH 2/20) | |
15 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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