| # taz.de -- Jahresbericht UNHCR: Fast 80 Millionen auf der Flucht | |
| > 2019 wurden an jedem Tag rund 25.000 Menschen auf der Welt vertrieben. | |
| > Die UN verzeichnen so viele Geflüchtete wie noch nie. | |
| Bild: 3,6 Millionen Geflüchtete leben in der Türkei. Kein Land auf der Welt h… | |
| Berlin taz | Im vergangenen Jahr sind fast neun Millionen Menschen auf der | |
| Welt vertrieben worden. Das sind mehr als je zuvor. Das berichtet das | |
| UN-Flüchtlingswerk UNHCR in seinem neuen Jahresbericht, der zum | |
| Weltflüchtlingstag am 20. Juni vorgelegt wird. Demnach sind heute insgesamt | |
| 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als ein Prozent der | |
| Weltbevölkerung. Vor zehn Jahren waren es noch rund halb so viele. Wären | |
| alle Flüchtlinge BürgerInnen eines Landes, gäbe es nur 19 Staaten auf der | |
| Welt, die mehr Einwohner hätten. Rund 4,2 Millionen Menschen weltweit | |
| warten als Asylsuchende auf die Entscheidung über ihren Status. | |
| Die weitaus meisten Flüchtenden überqueren keine Grenze – sie fliehen | |
| innerhalb ihres eigenen Landes. Die Gruppe dieser sogenannten | |
| Binnenvertriebenen macht heute weltweit 45,7 Millionen Menschen aus. Der | |
| starke Anstieg ist hierbei vor allem auf die Konflikte in der | |
| Demokratischen Republik Kongo, der Sahelzone, im Jemen und in Syrien | |
| zurückzuführen. | |
| In Burkina Faso beispielsweise lebten Anfang 2019 rund 80.000 | |
| Binnenvertriebene. Heute sind es mehr als zehnmal so viele – fast 850.000. | |
| Sie flohen vor Angriffen dschihadistischer Milizen oder der staatlichen | |
| Armee in bestimmten Landesteilen. Das UNHCR rechnet damit, dass allein in | |
| Burkina Faso im Laufe des Jahres 2020 insgesamt 300.000 neue | |
| Binnenvertriebene registriert werden. | |
| Insgesamt 29,6 Millionen Menschen auf der Welt sind in ein anderes Land | |
| geflüchtet. Die größte Bewegung gab es dabei in der jüngeren Vergangenheit | |
| aus Venezuela: Über 3,6 Millionen Menschen flohen aus dem südamerikanischen | |
| Staat in ein Nachbarland. Mehr als zwei Drittel der internationalen | |
| Flüchtlinge stammt aus nur fünf Ländern: Neben Venezuela sind dies 6,6 | |
| Millionen Menschen aus Syrien, 2,7 Millionen aus Afghanistan, 2,2 Millionen | |
| aus dem Südsudan und 1,1 Millionen aus Myanmar. | |
| ## Die meisten kommen nicht weit | |
| Die internationalen Flüchtlinge ziehen meist nicht weit: 73 Prozent leben | |
| im direkten Nachbarland. Und so bleibt es weiterhin dabei, dass die | |
| übergroße Mehrheit – 85 Prozent – aller Flüchtenden in armen Ländern Sc… | |
| sucht. 80 Prozent aller Vertriebenen befinden sich in Regionen oder | |
| Ländern, die von Unterernährung betroffen sind. | |
| Der starke aktuelle Anstieg der globalen Flüchtlingszahlen geht dabei an | |
| Europa weitgehend vorbei. Die Maßnahmen zur Vorverlagerung des | |
| Grenzschutzes in Nachbarregionen dürften dazu beigetragen haben. Im April | |
| 2020 etwa war die Zahl der Asylanträge in der EU auf 8.730 gefallen – der | |
| tiefste Stand seit 2008. Insgesamt halten sich in Europa weniger als 10 | |
| Prozent der internationalen Flüchtlinge auf. Rechnet man die | |
| Binnenvertriebenen ein, sinkt dieser Anteil auf nur 3,24 Prozent. | |
| Und während die Flüchtlingszahlen in der Welt zuletzt so stark anstiegen | |
| wie noch nie, gingen sie in Deutschland zurück: Hier stellten 2019 etwa | |
| 140.000 Menschen einen ersten Asylantrag, rund 20.000 weniger als im | |
| Vorjahr. Allerdings hat Deutschland durch die Vorjahre insgesamt relativ | |
| viele Menschen aufgenommen: 2019 lebten hier rund 1,15 Millionen | |
| Flüchtlinge, rund 82.000 mehr als im Jahr zuvor. Dies geht vor allem auf | |
| Menschen zurück, die schon in Deutschland waren und deren Fälle nun vom | |
| Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet worden sind. Die Zahl | |
| der Asylsuchenden sank entsprechend um rund 60.000 auf etwa 309.000. | |
| Deutschland ist somit weiter das weltweit fünftgrößte Aufnahmeland für | |
| Flüchtlinge. Noch mehr internationale Flüchtlinge leben nur in der Türkei | |
| (3,6 Millionen), Kolumbien (1,8 Millionen) sowie Pakistan und Uganda | |
| (jeweils etwa 1,4 Millionen). | |
| ## Deutschlands relative Belastung ist gering | |
| Blickt man aber darauf, wie viele Flüchtlinge Staaten im Verhältnis ihrer | |
| Einwohnerzahl aufgenommen haben, ergibt sich ein anderes Bild: In | |
| Deutschland ist jeder 72. Einwohner geflüchtet, in der Türkei jeder 23., in | |
| Jordanien jeder 15. und im Libanon etwa jeder 7. Solche Staaten sind | |
| entsprechend stark belastet. | |
| Der UNHCR weist darauf hin, dass die Aussichten auf eine Rückkehr für | |
| Flüchtlinge schlechter werden. Konnten in den neunziger Jahren jedes Jahr | |
| noch durchschnittlich 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Hause zurückkehren, so | |
| ist diese Zahl in den letzten zehn Jahren auf rund 390.000 gesunken. | |
| „Wir beobachten eine veränderte Realität. Vertreibung betrifft aktuell | |
| nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und | |
| vorübergehendes Phänomen mehr“, sagte Filippo Grandi, Hoher Kommissar der | |
| Vereinten Nationen für Flüchtlinge. „Von den Betroffenen kann nicht | |
| erwartet werden, jahrelang in Ungewissheit zu leben, ohne die Chance auf | |
| eine Rückkehr und ohne Hoffnung auf eine Zukunft an ihrem Zufluchtsort. Wir | |
| brauchen eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die | |
| fliehen – gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte, die | |
| jahrelang andauern, zu lösen.“ | |
| Geflüchtete seien derzeit „mit einer gleich doppelten, unvorstellbar großen | |
| Notlage konfrontiert: Konflikt und Vertreibung sowie der Covid-19-Pandemie | |
| und der dadurch ausgelösten globalen Wirtschaftskrise“, sagte David | |
| Miliband, der Präsident des International Rescue Committee (IRC). Die | |
| Länder, in denen weltweit die meisten Geflüchteten und Binnenvertriebenen | |
| leben, bekämpften Covid-19 mit extrem begrenzten Ressourcen. „Die neuen | |
| Flüchtlingszahlen müssen deshalb für alle ein Alarmsignal sein.“ | |
| ## EU müsse mehr tun | |
| Die EU müsse für [1][zehntausende Menschen], die [2][unter schrecklichen | |
| Bedingungen in Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln festsitzen] oder | |
| vor dem eskalierenden Konflikt in Libyen fliehen, mehr tun, sagte Miliband. | |
| Der bevorstehende neue Pakt der EU zu Migration und Asyl müsse genutzt | |
| werden, „um ein humaneres, gerechteres und nachhaltigeres System für | |
| Geflüchtete, Asylbewerber*innen und Migrant*innen zu schaffen“, so | |
| Miliband. „Heute brauchen wir mehr denn je einen europäischen Ansatz, der | |
| nicht die Grenzen, sondern die Menschen in den Mittelpunkt der | |
| Migrationspolitik stellt.“ | |
| 18 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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