# taz.de -- Fahrradboom in Kolumbiens Hauptstadt: Corona-Radwege für immer | |
> Zu Beginn der Pandemie hat die Stadt Bogotá den Straßen Platz für | |
> Radler*innen abgezwackt. Diese temporären Wege sollen nun dauerhaft | |
> bleiben. | |
Bild: Kann weiter auf der extra Radspur fahren: Radler in Bogota | |
Bogotá taz | Kolumbiens Hauptstadt hat wegen der Corona-Pandemie | |
[1][provisorische Radwege] eingerichtet. Die sollen jetzt bleiben. Für den | |
Handel und die Radler*innen ein Glücksfall. Giovanny Martínez macht | |
gerade das Geschäft seines Lebens: „Uns gehen schon die Räder aus!“, sagt | |
der drahtige Mann, dessen Mimik sich hinter dem Mundschutz nur erahnen | |
lässt. Der 27-Jährige ist Inhaber von zwei Fahrradläden in Bogotá. | |
Besonders gefragt seien Trekkingräder und teurere Modelle als früher: „Die | |
Leute gehen davon aus, dass das hier länger dauern wird und investieren | |
deshalb.“ Verkaufte er vor Corona „drei, vier, wenn’s hochkommt zehn“ R… | |
am Tag, seien es jetzt mindestens zehn, am Wochenende sogar 40 bis 60 | |
Räder. Die Bogotaner*innen rennen Martínez und den Kollegen in den | |
Läden nebenan die Bude ein – soweit das mit Sicherheitsabstand in | |
Pandemie-Zeiten möglich ist. | |
Der Grund dafür befindet sich direkt vor Martínez Geschäft in der Calle 68: | |
Von den drei Spuren ist seit dem 25. März eine mit orangen Plastikbarrieren | |
für Radfahrer*innen abgetrennt und wird üppig genutzt. Bogotás | |
Bürgermeisterin Claudia López, selbst passionierte Radlerin, hat kurz nach | |
Beginn der landesweiten Quarantäne den Straßen der Hauptstadt 84 Kilometer | |
„temporäre Radwege“ abzwacken lassen. Ihre [2][Initiative wurde Modell für | |
Pop-Up-Radwege] in Budapest, [3][Berlin] und zahllosen anderen Großstädten | |
weltweit. | |
In Bogotá sollten nicht nur die Transmilenio-Busse auf die verlangten | |
maximal 35 Prozent Auslastung kommen, sondern sich auch die Luftqualität | |
verbessern. Die ist in der Weltstauhauptstadt Bogotá seit Jahren ein | |
Problem. Das Rad soll’s richten. Als nach der strengsten Phase der | |
Quarantäne einzelne Wirtschaftszweige wieder öffnen durften, waren die | |
Radgeschäfte und -werkstätten mit dabei. Und die Stadt hat schon begonnen, | |
alle temporären Radwege zu dauerhaften ausbauen. | |
## Wegen Corona haben sich viele ein Rad gekauft | |
„Buenísimo“, findet Julio Alfonso. Der 55-jährige Angestellte stieg vor | |
Corona nur am Wochenende aufs Rad. Jetzt fährt er täglich über den | |
Pandemie-Radweg auf der Carrera 7 in die Arbeit. Einfach 50 Minuten. Seine | |
Anfangszeit hat er um zehn Minuten verbessert, sagt Alfonso, er fühle sich | |
fitter. Im Monat spart er sich mindestens 100.000 Pesos für den Bus, etwa | |
25 Euro. Nur die Sicherheit macht ihm Sorgen: „Es werden viele Räder | |
gestohlen.“ | |
Ähnlich sieht es Yeraldin Macías (26). Sie hat sich wegen Corona ein Rad | |
gekauft, wie so viele vor allem, um die Ansteckungsgefahr im öffentlichen | |
Nahverkehr zu vermeiden. „Ich genieße es richtig. Das Rad ist praktisch und | |
meistens auch noch schneller.“ Als Frau fühle sie sich auf dem Rad sicherer | |
als zu Fuß. „Da sagen sie einem manchmal unangenehme Sachen.“ Die meisten | |
Nutzer der Radwege sind trotzdem Männer. | |
Fahrradverrückt waren die Kolumbianer*innen schon vor Corona – und | |
nicht erst seit den Erfolgen der Leistungssportler Nairo Quintana und | |
[4][Egan Bernal]. Zum Rennradfahren ist den begeisterten | |
Freizeitsportler*innen kein Andenberg zu hoch. Zum erklärten Ziel | |
„Weltfahrradhauptstadt“ ist es für Alltagsradfahrer*innen in Bogotá | |
noch weit. Zu den Herausforderungen gehören Schlaglöcher, blaue | |
Markierungen, die bei Nieselregen spiegelglatt werden und rabiate Auto- und | |
Busfahrer. | |
Allerdings verfügte Bogotá schon vor Corona mit 550 Kilometern über das | |
längste Radwegenetz Lateinamerikas und war in den 70ern die erste Stadt | |
weltweit, die an Sonntagen Straßen sperrte, um sie Fahrradfahrer*, | |
Jogger*innen und anderen Freizeitsportler*innen zu überlassen. Die | |
Idee schlief später etwas ein und wurde Mitte der 90er Jahre wiederbelebt. | |
Heute sporteln sonn- und feiertags auf den 121 Kilometern von 7 bis 14 Uhr | |
für die „ciclovía“ gesperrte Straße im Schnitt von 1,5 Millionen Bogotan… | |
– wegen Corona ist damit Pause. | |
## Die Zahl der Fahrzeuge auf Bogotás Straßen ging zurück | |
Dafür sollen nach Angaben der Stadtverwaltung mehr als 3,2 Millionen | |
Radler*innen während der Quarantäne die temporären Radwege genutzt haben | |
– täglich etwa 330.000 Fahrten. Vor Corona waren es über 880.000. Die Zahl | |
der Fahrzeuge auf Bogotás Straßen ist in derselben Zeit nur um 6 Prozent | |
zurückgegangen – auf 383.000. | |
Trotzdem geht auch Aran Said Aljure Oviedo davon aus, dass das Interesse am | |
Rad anhält. Er ist Manager bei „Cycling World“, einem Geschäft fünf | |
Filialen in Bogotá. Zum einen, weil der ÖPNV in Bogotá „grottenschlecht“ | |
sei. Zum anderen, weil immer mehr Firmen ihre Mitarbeiter*innen | |
anhielten, nicht mehr mit dem Bus in die Arbeit zu kommen. „Manche haben | |
bei uns sogar Räder gekauft, um sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung zu | |
stellen“, sagt Aljure. Um 30 Prozent seien bei ihm die Verkäufe gestiegen. | |
Oder wie Giovanny Martínez aus dem Nachbargeschäft sagt: „Wir haben ein | |
Virus gebraucht, damit die Leute ein Rad kaufen. | |
19 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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