# taz.de -- Musikwirtschaft soll mehr Platz bekommen: Ein Katzentisch für die … | |
> Hamburgs Veranstaltungszentrum Markthalle soll sich auf Kosten von | |
> Galerien und Kunsthaus verdoppeln. Das riecht nach einem Kampf der | |
> Kultur-Genres. | |
Bild: Belebt das Areal am Abend: Junges Publikum vor Hamburgs Markthalle | |
HAMBURG taz | Die Fläche einfach mal verdoppeln: der Traum für jeden | |
Kulturveranstalter. Real soll er für Hamburgs Veranstaltungszentrum | |
Markthalle werden, das im ersten Stock 1.000 Menschen fasst sowie 500 im | |
Dachgeschoss. Seit 1976 residiert die Markthalle, die vor allem Hardrock-, | |
Heavy-Metal- und Punk-Konzerte, aber auch Comedy oder Lesungen im Programm | |
hat, in dem denkmalgeschützten einstigen Blumen- und Gemüsemarkt. 1992 | |
kamen [1][Kunsthaus] und [2][Kunstverein] ins Erdgeschoss, später Galerien | |
und die heutige Barlach Halle K. | |
Alle Eingänge liegen ebenerdig am Klosterwall und zählen zur begeistert | |
vermarkteten „Kunstmeile“ zwischen Kunsthalle und Deichtorhallen. Das | |
Gebäude liegt prominent, aber laut zwischen den Gleisen des nahen | |
Hauptbahnhofs und der stark befahrenen Straße. Umso eifriger müht sich die | |
Stadt, das Areal hübsch zu machen. Kürzlich wurden nach viel Streit die | |
1958er-Hochhäuser des [3][Cityhofs] zugunsten des künftigen | |
„Johann-Kontors“ auf der gegenüber liegenden Straßenseite abgerissen. | |
Da war es nur eine Frage der Zeit, bis man auf die Idee verfiele, den 1913 | |
gebauten Markthallen-Komplex gegenüber aufzumöbeln, den Giebel durch den | |
Abriss zweier Gebäude freizulegen, mit einem kleinen Platz davor. Wozu der | |
dienen soll? Als Abgang zu Galerien und Kunsthaus, die von der Hausfront | |
weg in den Hinterhof sollen. | |
Und hier beginnt das Drama um zwei kulturelle Genres, die bislang | |
weitgehend friedlich koexistierten. Die Kunstgebäude profitieren vom | |
Laufpublikum aus Hafencity und nahem Hotelquartier, sind großteils | |
tagaktiv. Das Markthallen-Publikum belebt das Areal abends und nachts. | |
## Ende der Koexistenz in Sicht | |
Mit dieser Balance soll es bald vorbei sein. Gemäß den Plänen, die die | |
städtische Vermieterin Sprinkenhof GmbH im Mai 2020 präsentierte, soll die | |
Markthalle fast das gesamte Erdgeschoss dazubekommen. Konkret wären das die | |
Räume von Galeriehaus, Barlach Halle K und Kunsthaus. Die Markthalle würde | |
dann bis an den Kunstverein am Gebäude-Ende heranreichen. Die anderen | |
Kunst-Orte sollen ihre Tageslicht-Räume verlassen und ins schummrige | |
Untergeschoss auf der Rückseite des am Hang gelegenen Baus ziehen. Damit | |
verschwänden sie auch aus der Achse der „Kunstmeile“. | |
Dabei hatte Sprinkenhof den Mietern ursprünglich nur eine Sanierung | |
angekündigt. „Und die ist ja auch dringend notwendig“, sagt | |
Kunsthaus-Chefin Katja Schroeder. Dass das mit der Vergrößerung der | |
Markthalle einhergehen würde, zeigte sich erst im Sommer 2019. „Dass da | |
plötzlich Galerien und Barlach Halle ins Untergeschoss mussten, war schon | |
überraschend“, sagt Kerstin Hengevoss-Dürkop, eine der vier betroffenen | |
Galeristinnen. „Das fanden wir nicht gerechtfertigt, und das haben wir der | |
Kulturbehörde in einem Gespräch mitgeteilt.“ | |
Auch Kunsthaus-Chefin Katja Schroeder bat Sprinkenhof und Kulturbehörde um | |
einen runden Tisch mit allen Kulturmietern. Die Behörde lehnte ab. Und | |
Sprinkenhof legte, von Schroeders Bedenken unbeeindruckt, Anfang Mai 2020 | |
neue Pläne vor. Jetzt sollte auch das Kunsthaus – 1962 gegründete | |
Institution für den Berufsverband bildender Künstler und Hamburger Kunst | |
generell – ins Souterrain wandern, um der Markthalle zu weichen. | |
Warum der Nachtbetrieb Markthalle die Tageslicht-Räume der Kunst-Orte | |
bekommen und die – auf Tageslicht angewiesenen – Kunst-Institutionen in den | |
Keller ziehen sollen: Das beantwortete Vermieterin Sprinkenhof weder den | |
Kunst-Mietern noch der taz. „Das ist ein absolut unzureichendes | |
Beteiligungsverfahren“, sagt Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher | |
der Hamburger Linksfraktion, die dem Senat dazu eine Kleine Anfrage stellte | |
und das Thema in den Kulturausschuss bringen will. | |
## Bunds-Geld für den großen Wurf | |
Überhaupt ist unklar, warum sich die Pläne zwischen Sommer 2019 und Mai | |
2020 derart zu Ungunsten der Kunst veränderten. Wer einen möglichen | |
Auslöser sucht, findet dies: Im November 2019 wurde bekannt, dass der | |
Hamburger Bundestags-Abgeordnete Johannes Kahrs (SPD) in Berlin 22 | |
Millionen Euro für die Markthallen-Sanierung locker gemacht hatte – wenn | |
die Stadt dasselbe dazu gäbe. | |
Daran würde es nicht scheitern, und also gab es jetzt weit mehr Geld als | |
bisher; man konnte neu und größer planen. Wenn man außerdem bedenkt, dass | |
die Wahlparty der SPD im Februar 2020 in der Markthalle stattfand, könnte | |
man dahinter eine Lobby pro Musikwirtschaft vermuten. | |
Höchst eigenartig ist nämlich angesichts so gravierender Umgewichtungen, | |
dass die Bedürfnisse der Kunst-Mieter ignoriert wurden. „Sämtliche | |
Mieterinnen und Mieter wurden zu ihren aktuellen Nutzungsanforderungen per | |
Fragebogen befragt und hatten so Gelegenheit, Bedarfe und Wünsche zu | |
äußern“, antwortet die Kulturbehörde zwar auf die Anfrage der Linken. | |
Die Behörde unterschlägt aber, dass diese Bedarfe erst Ende Mai 2020 | |
erfolgten, zwei Wochen nach Präsentation der Pläne – vermutlich eine | |
Reaktion auf das Entsetzen der überrumpelten Kunst-Mieter. Wenig durchdacht | |
schien ihnen auch die Planung für den Hof, die künftige „Vorderfront“ von | |
Kunsthaus und Galerien. „Die Pläne, die uns bisher nicht schriftlich | |
vorgelegt wurden, sehen hier eine Verschönerung vor“, sagt Katja Schroeder. | |
## Bäume sollen Zuglärm löschen | |
Wenn man besagten Hinterhof betritt, sieht man allerdings sofort: Das | |
Mülltonnen-Gatter wird vielleicht verschwinden. Elektromast und die | |
dichten, ohrenbetäubend lauten Regio- und Fernzüge der nahen Bahngleise | |
nicht. Und wenn die Architekten planen, diesen Lärm durch „Begrünung“ zu | |
eliminieren, sind sie offensichtlich nie vor Ort gewesen. | |
Außerdem: Wo sollen die Markthallen-Tourenbusse parken, wo Lkw und | |
Lastenkräne für den Ausstellungsaufbau des Kunstvereins? „Die Architekten | |
konnten es nicht beantworten“, sagt Bettina Steinbrügge, Chefin des | |
Kunstvereins, eines Hauses für internationale experimentelle Kunst. „Falls | |
diese Pläne umgesetzt werden, sind wir existenzgefährdet – auch durch die | |
Lärmbelästigung.“ Schon jetzt sei die Schwingungsübertragung wegen des | |
durchgehenden Bodens ein Problem. | |
„Wenn die nachmittags probende und abends konzertierende Markthalle direkt | |
an unsere Wand reicht, ohne dass das entkoppelt wird, können wir hier weder | |
arbeiten noch Besucher empfangen oder Abendveranstaltungen machen.“ Sie | |
plädiere für ein architektonisches Projekt, das alle Bedürfnisse | |
berücksichtige. | |
Moderieren müsste einen solchen Prozess eigentlich die Kulturbehörde, doch | |
ihr Einfluss ist begrenzt: Formal ist Sprinkenhof der Finanzbehörde | |
unterstellt, die Kulturbehörde kann Vorschläge machen. Laut deren | |
Sprecherin Anja Bornhöft setzt sich die Behörde dafür ein, „dass die | |
Bedürfnisse aller vor Ort ansässigen Kultureinrichtungen in die Planungen | |
einbezogen und ihre Interessen angemessen berücksichtigt werden“. | |
## Dominanz der Markthalle bringt Verwerfungen | |
Angesichts der kulturpolitischen Signalwirkung, die diese Verdrängung der | |
Kunst zugunsten der Musikwirtschaft hat, ist das wenig. Aber auch innerhalb | |
der Klubszene könnte die neue Dominanz der Markthalle zu Verwerfungen | |
führen und unliebsame Konkurrenzen für Große Freiheit 36 und [4][Docks] | |
erzeugen – auch wenn das niemand laut sagen mag. | |
Markthallen-Geschäftsführer Mike Keller sagt, er habe in der Tat schon früh | |
erhöhten Flächenbedarf angemeldet, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und die | |
ebenerdigen Zugänge brauche er zwecks Barrierefreiheit. In Sachen | |
Lärmschutz sei eine Entkopplung geplant – und wie viel Tageslicht ein | |
Kunst-Ort brauche, wisse er nicht genau. „Das ist ja auch | |
Definitionssache“, findet Keller. | |
Das sieht Amelie Deuflhard, Chefin der Hamburger Experimentierbühne | |
[5][Kampnagel,] anders: „Natürlich brauchen Ausstellungsräume viel | |
Tageslicht.“ Die Bedarfe sämtlicher Mieter hätte man vor Planungsbeginn | |
abfragen müssen, wie bei Bauprojekten üblich. „In diesem Fall wurden die | |
Kunst-Mieter wohl nicht genügend einbezogen“, sagt Deuflhard. Das müsse – | |
auch im Interesse der Öffentlichkeit, um deren Geld es ja gehe – nachgeholt | |
werden. | |
Markthallen-Chef Keller glaubt, dass Sprinkenhof einen runden Tisch plant. | |
Sprinkenhof weiß davon nichts und äußert sich auf taz-Anfrage weder zur | |
Kommunikation noch zum avisierten Baustart. Der Planungsprozess laufe noch, | |
und man habe den Antworten auf besagte Anfrage der Linken nichts | |
hinzuzufügen, heißt es in einer knappen Mail. | |
17 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Libanesischer-Kuenstler-in-Hamburg/!5470877&s=petra+schellen+Kunsthaus+Ham… | |
[2] /Hamburgs-Kunstverein-wird-200-Jahre-alt/!5423036&s=petra+schellen+Hamburge… | |
[3] /Gutachter-geben-gruenes-Licht/!5579291&s=City+Hof/ | |
[4] /Archiv-Suche/!5696671&s=docks&SuchRahmen=Print/ | |
[5] /Archiv-Suche/!5687958&s=Kampnagel&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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