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# taz.de -- Die Wahrheit: Die letzten zwei Metal-Minuten
> Vor einem Jahr war das Festival, und so schnell werden alle Metaller
> nicht noch einmal ein Konzert und vor allem dessen Nachklang erleben.
Aufgewacht aus einem Traum. Genau vor einem Jahr: Der erste Tag des
vermutlich letzten Rock Hard Festivals der Welt geht langsam zu Ende. Das
Amphitheater hat sich geleert, Journalisten, Musiker und die anderen
Schmarotzer stehen noch eine Weile im VIP-Bereich herum und saufen sich in
Stimmung für die anschließende After-Show-Party. Ein DJ spielt die
Klassiker, aber gerade eben auch neumodischen Kram wie Greta Van Fleet. Ein
Publikumswunsch, das sieht man ihm an. Eine Indianerin in den besten Jahren
und im kleidsamen Schlangenlederimitat wirft ihm eine Kusshand zu. Da freut
er sich doch ein bisschen.
Zwei Bierzeltgarnituren sind noch besetzt. Alle schon ein bisschen aus dem
Leim, aber man hat noch nicht völlig aufgegeben. Der DJ bekommt auf einmal
dieses Grinsen. Etwas rastet ein bei ihm. Er spielt Iron Maiden. Und zwar
ausschließlich. Es geht ein Ruck durch unsere überalterte Gesellschaft.
Pocahontas in den Wechseljahren springt mit einem Panthersatz auf den
Tisch, „das Mittwochsyoga“, ruft sie triumphierend, und gibt eine sublime
Bruce-Dickinson-Persiflage.
„You’ll take my life but I’ll take yours too / You’ll fire your musket …
I’ll run you through.“
Graubärte stellen sich im Kreis auf, wringen und walken die Luft, zeigen
Teufelshörner, ziehen grausige Koboldgrimassen und ihre Kiefer zermalmen
eingebildete Maiskolben aus Stahl. Andere tanzen ihren Unterbauch polierend
über die Bretter und quieken wie frischgeworfene Ferkel den flinken
Leadgitarren hinterher. Die Thekenkräften gähnen. Sie wollen endlich
Feierabend machen, sagen aber nichts. Hier verabschiedet sich eine
Generation, quasi „Two Minutes To Midnight“, da muss man pietätvoll sein.
Pocahontas zieht mittlerweile radschlagend eine breite Schneise durch den
Pulk der sich duellierenden Luftgitarristen, und alle singen ihr Lied.
„Face up, make your stand / And realize you’re living in the golden years.�…
Ich muss kurz an die frische Luft. Nicht weil ich aus der Puste bin,
sondern weil mir mein Herz in der Brust vor Glück zerspringen will. Ein
wildfremder Silberrücken stellt sich neben mich und legt mir den Arm um die
Schulter. „Ich will dir mal eins sagen, Metalbrother“, er dreht sich kurz
zur Menge und grölt mehr aus Pflichtgefühl: „Six, six, six, the number of
the beast“, bevor er sich wieder mir zuwendet. Mit russischem Ernst.
„Was anderes bräuchte es für mich nicht zu geben“, sagt er mit feuchten
Augen. „Das reicht völlig!“ Er meint die Musik. Aber bevor ich noch etwas
antworten kann, fragen sie von drinnen. „Can I play with madness?“, und wir
antworten. „You're blind, too blind to see!“ Und dann gehen wir wieder rein
ins Zelt und machen uns weiter zum Affen vor dem Personal, das aus Angst
vor unserer drohenden Dehydrierung schon mal vorzapft. Vor allem aber
scheißen wir einen Brontosaurierhaufen auf die After-Show-Party, weil es
was anderes als das hier für uns nicht zu geben bräuchte.
7 Jul 2020
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Festival
Metal
Konzert
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Party
Heavy Metal
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