# taz.de -- Die Wahrheit: Kohortenkeulung gegen den Blues | |
> Beim Auftritt altgedienter Thrash-Metal-Helden vor altgedientem Publikum | |
> stellt sich Rührung ein – bis das musikalische Geballer losgeht. | |
Alte Metalheads kennen diesen Moment, wenn es eng wird im Hals, wenn das | |
Pathos den Blick verschleiert. Etwa, wenn Phil Lynott auf „Live and | |
Dangerous“ dem geneigten Publikum seinen Buddy vorstellt: „He’s our | |
candidate for the next president of the United States of America. On lead | |
guitar – Sssscott Gooorham on lead guitar!“ Funktioniert immer. | |
Neulich war es mal wieder so weit. Das Kufa-Haus, Braunschweigs neuer | |
Laden, der schon nach zwei, drei Konzerten seine Unentbehrlichkeit unter | |
Beweis gestellt hat, ist okay gefüllt mit alten Männern. Ein räudiger | |
Regentag im Winter bekommt mit der Metalband Exumer doch noch einen Sinn. | |
Mem von Stein am Mikro und Ray Mensh am Fliegenden V könnten die Waldorf | |
und Statler des bundesdeutschen Thrash sein, wenn sie so etwas wie Humor | |
besäßen. Die meisten hier haben ihr Debüt „Possessed by Fire“ von 1986 im | |
Original zu Hause stehen, wissen aber auch, ihre Gangsta-Rap-Blagen werden | |
es dermaleinst für zwei fünfzig dem nächsten Plattenhöker überlassen. | |
Die hübsche Kassenkraft begrüßt mich, als wäre ich der Mann von der | |
Hamburg-Mannheimer. „Aah, da kommt auch schon die Schnorrerfraktion!“ Die | |
anderen sind schon drin: Toby hat ein Magenband, aber das scheint wieder | |
aufgegangen zu sein. Stefan zählt die Tage bis zur Frühverrentung. Tim | |
trennt sich von seiner Frau und leidet wie ein Hund. Der Sohn will ihn | |
nicht sehen, weil ihm seine Mutter irgendeinen Scheiß einredet. Fünfzig | |
Leute mehr hätten schon noch reingepasst, so ist es ja immer. Aber es fehlt | |
keiner. | |
Dann tritt endlich die Band an den Bühnenrand, sieht sich um, nickt mit | |
ernster Miene, weil alle wissen, dass es ernst wird, und Mem von Stein, | |
dieser Weltweise aus Wiesbaden, kennt die Losung: „Ich weiß, es ist | |
Dienstag – aber ihr seid da – und das ist gut so.“ 123 Kehlköpfe peilen … | |
Größe von Medizinbällen an. Aber bevor sich alle schluchzend in den Armen | |
liegen, folgt die konzertierte Kohortenkeulung. Eine musikalische | |
Notschlachtung. Der einzige, der wahre Spaß für Thrash-Metal-Masochisten | |
wie uns. | |
Till, von der lokalen Muckerpolizei, steht neben mir. Immer, wenn er einen | |
Song erkennt, was bei jedem Song der Fall ist, schreit er: „Geht doch!“ Das | |
findet Mem schließlich auch, rührt ausladend mit dem Finger, und | |
tatsächlich dreht das Fähnlein Fieselschweif vor der Bühne nun seine Kreise | |
im Circle Pitch. Exumer gegen den Dienstagabend – Exumer haben gewonnen. | |
Wir sitzen danach noch eine Weile in der Cafeteria nebenan. Der Chef vom | |
Kufa-Haus, ein weißhaariger Sozialpädagoge, der immer noch Spaß am Job hat, | |
kommt zu uns. „Es ist noch Suppe da!“ Er zeigt auf Tim, dem der | |
Scheidungsblues im Gesicht steht. „Iss mal einen schönen Teller Soljanka, | |
dann geht es dir besser.“ Aber der winkt ab. „Nee, lass die mal noch ein | |
wenig einkochen, die wird immer besser – alter Suppentrick!“ | |
Der Weiße lächelt wissend in sich hinein an diesem Abend. Er ist da, und | |
das ist gut so. | |
22 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
## TAGS | |
Heavy Metal | |
Braunschweig | |
Musik | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Party | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Fans | |
Eltern | |
Eastbourne | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Teuer wie Metallica | |
Wer bei einem der relevanten deutschen Krachmaten-Labels aufkreuzt, der | |
muss sich auf was gefasst machen – auch auf hammerartige, drollige | |
Gesichter. | |
Die Wahrheit: Die Tartarus-Taktik | |
Endlich eine Party. Mit Freunden. Und allem Drum und Dran. Außer Musik. | |
Schließlich könnte die Feier in den Grölmodus hinüberschwappen … | |
Die Wahrheit: Die letzten zwei Metal-Minuten | |
Vor einem Jahr war das Festival, und so schnell werden alle Metaller nicht | |
noch einmal ein Konzert und vor allem dessen Nachklang erleben. | |
Die Wahrheit: Alt-Metal mit Herzensbildung | |
Silberrücken, Graubärte, Blaupillen und faltige Indianersquaws steuern die | |
ehernen Musikpaläste an, um es in den Ohren richtig scheppern zu lassen. | |
Die Wahrheit: Schmutziges Spiel | |
Was ist die Steigerung zum dreckigen Sieg? Richtig, die dreckige | |
Niederlage. Das erwartet Handball-Kids, wenn sie gegen die eigenen Eltern | |
antreten. | |
Die Wahrheit: Starr im Seebad | |
Bei einer Stippvisite im englischen Eastbourne schlägt der Blitz im | |
Ballroom eines Hotels ein. Es tritt auf – die unübertreffliche Jenny | |
Nightingale. |