| # taz.de -- Die Wahrheit: Live aus der Minikonzertarena | |
| > Mein Vater war nie der größte Fan meiner Musik. Wenn Metal aus den | |
| > Lautsprechern hämmerte, stand er gern in der Tür und hielt mich für | |
| > verrückt. | |
| Bild: Hübsch verziert ist gut fürs Geschäft: Nachttopf aus der DDR | |
| Bevor ich die heilige Scheiße aus meiner ersten Nippon-Stratocaster | |
| herausprügeln konnte, war ich bereits ein ganz passabler Gitarrenheld. Auf | |
| dem Tennisschläger. Van-Halen-Tapping-Arabesken, gefühlvolles | |
| Schenker-Melodiespiel, klassizistische Malmsteen-Skalen, das ging mir alles | |
| locker von der Hand und der große Ankleidespiegel war eine Art | |
| Durchgangstor zum ausverkauften Hammersmith Odeon. | |
| So schlang ich also nach der sechsten Stunde meinen Linseneintopf herunter, | |
| zog mich in meine Zwölfquadratmeterkonzertarena zurück, nahm die Kelle zur | |
| Hand und ließ meine Gesichtszüge entgleiten. Nach einer Weile riss mein | |
| Vater die Tür auf. Weil die Boxen ballerten, hatte ich sein Gebrüll aus dem | |
| unteren Flur nicht gehört, also war er wütend und mit pochender Halsader | |
| die Treppe hinaufgestratzt, aber dann sah er mich, und sein Blick wurde auf | |
| einmal ganz sanft: „Telefon … und mach leiser, das hält ja kein Mensch | |
| aus!“ | |
| Am nächsten Tag nahm mich meine Mutter zur Seite. „Es ist mittlerweile | |
| überhaupt keine Schande mehr, wenn man zum Nervenarzt geht“, sagte sie. | |
| „Nur mal zum Durchchecken.“ | |
| Es beruhigte die beiden einigermaßen, als wir den Partykeller meines Onkels | |
| mit Instrumenten und Verstärkern vollstellten und das Grimassieren | |
| plötzlich so etwas wie Sinn bekam. Mein Vater wurde nicht unbedingt ein | |
| Fan, aber als er eines Tages auf seinen kleinen Enkel aufpassen musste, | |
| machte er mit ihm einen Abstecher in unseren Übungsraum. Der Kleine fing | |
| sofort an zu weinen. Und mein Vater schüttelte den Kopf. „Kinder und | |
| Besoffene sagen die Wahrheit.“ | |
| Ein paar Monate später hatten wir einen Auftritt bei irgendeinem Jubiläum | |
| unseres Heimatdorfs. Meine Eltern stellten sich angemessene hundert Meter | |
| entfernt vor der Bühne auf und blieben volle drei Songs. Ein Liebesbeweis. | |
| Am nächsten Morgen sah mich mein Vater verkatert am Frühstückstisch sitzen. | |
| „Wie wisst ihr eigentlich bei dem ganzen Durcheinander, wann ein Lied | |
| vorbei ist?“, fragte er, ging nach unten in seine Werkstube und schnüffelte | |
| Kleber. Er war Schuhmacher. | |
| Ich sagte nichts, weil ich halbwegs glimpflich davongekommen war. Ein paar | |
| Songs später kam das Konzert nämlich zu einem unrühmlichen Ende. Zwei von | |
| uns waren im Überschwang von der Bühne gekippt. Die Hälse ihrer Gitarren | |
| steckten bis zum Korpus im Sandboden. Ihre blieben sauber. Es war episch. | |
| Und sprach sich bald rum im Dorf. „Wir haben wohl doch was verpasst“, sagte | |
| mein Vater ein paar Tage später mit fast respektvollem Gesicht. | |
| Als die Band schon lange Geschichte war, zog er mich immer noch gern auf | |
| mit unserer „Musik“. Er musste keine Häkchen in die Luft schnicken, er | |
| setzte Anführungszeichen durch Betonung. Als er gestorben war, suchte ich | |
| in seinen Papieren nach der Mappe, in der er heimlich alle | |
| Zeitungsausschnitte und Konzert-Flyer gesammelt hatte. Es gab keine. Er | |
| fand uns wirklich scheiße. Er fehlt mir. | |
| 21 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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