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# taz.de -- Emanzipativer westafrikanischer Pop: Der Sound der Unabhängigkeit
> Die Werke des nigerianischen Labels Tabansi werden neu veröffentlicht.
> Ihre stilistische Bandbreite reicht von Folk über Disco-Funk bis
> Afrobeat.
Bild: Die Tabansi Studio Band, Mitte der 1970er
Das Bimmeln und Klappern wird von einer ungewöhnlichen Perkussion erzeugt,
dazu erklingen die einfachen Melodien einer Oja-Flöte; der Rhythmus stammt
von mehreren Trommeln und einer Alou Ogene, wie die Kuhglocke der Igbo in
Nigeria heißt.
Es handelt sich um den Livemitschnitt der Amtseinführung eines
Eze-Nri-Königs der Igbo – und damit um rituelle Musik, die sich seit dem
Sesshaftwerden der Igbo um die Zeit von Christi Geburt oder noch früher
kaum geändert hat. Aufgenommen hat die Zeremonie ursprünglich die
nigerianische Plattenfirma Tabansi Records.
Die Wiederveröffentlichung von „Eze-Nri Royal Drummers Vol. I“ ist Teil
einer ambitionierten Serie des britischen Kultlabels BBE (Barely Breaking
Even). Eigentlich war es auf HipHop von [1][Künstlern wie J Dilla] und Pete
Rock spezialisiert.
Doch BBE-Mitgründer Peter Adarkwah ist schon lange ein Fan der
Tabansi-Alben, deren stilistische Bandbreite von Folk über Disco-Funk bis
Afrobeat reicht. Adarkwah reiste dafür nach Nigeria und vereinbarte mit Joe
Tabansi, dem Hüter des Familienschatzes, den gesamten Katalog des Labels –
rund 60 Alben – bei BBE neu zu lizenzieren.
## Erste Aufnahmen aus den 1920er Jahren
Die ersten Aufnahmen heimischer Musik wurden in Nigeria Ende der 1920er
Jahre gemacht. Zunächst wurden sie nach London geschickt, wo sie als
Schellackplatten gepresst und wieder zurück nach Westafrika verschifft
wurden. Plattenlabel wie die Gramophone Company, Decca und HMV wollten so
neue Absatzmärkte erschließen. Und spätestens mit dem Highlife-Boom der
1950er Jahre gelang das auch ziemlich erfolgreich.
Aufgrund des dezentralen Konzepts der britischen Kolonialherrschaft, die
auf Kooperation mit lokalen Führern setzte, entstanden in Nigeria, Ghana
und Kenia zunehmend auch eigene Labels, Studios und Presswerke. Die
Euphorie nach der Unabhängigkeit ab Anfang der 1960er befeuerte die
Entstehung eigener Popkulturen und Szenen zusätzlich, während sich die
ausländischen Majorlabels allmählich aus dem Geschäft zurückzogen.
Nach kurzer Blüte brach ab den 1970er Jahren die Musikindustrie in Ländern
wie Ghana und Nigeria wegen andauernder politischer und wirtschaftlicher
Krisen weitgehend zusammen – Tabansi Records zählt zu den wenigen Labels,
die diese Rezession überlebten.
Bereits Anfang der 1970er Jahre nahm „Chief“ G.A.D. Tabansi in der
nordnigerianischen Stadt Onitsha lokale Künstler auf, deren Alben er
zunächst in einem „Musikbus“ von Dorf zu Dorf verkaufte. Dann gründete er
Tabansi Records, eröffnete ein eigenes Studio und Presswerk und
veröffentlichte den psychedelischen Afrobeat des Ghanaers Pax Nicholas
ebenso wie den seichten Reggae des unlängst verstorbenen Nigerianers Majek
Fashek, dessen „Send Down The Rain“ (1988) zu den erfolgreichsten
afrikanischen Songs aller Zeiten gehört.
## Erstmals digital sowie in den Formaten Vinyl und CD
Seit 2019 veröffentlicht BBE die Tabansi-Alben als „Gold Series“ neu
gemastert, zum ersten Mal digital sowie in den Formaten Vinyl und CD, mit
Originalcovern und ausführlichen Liner Notes – und sorgt damit für Einblick
in den abwechslungsreichen Kosmos westafrikanischer Popmusik seit den
1970er Jahren.
Wobei die Qualität der Wiederveröffentlichungen durchaus variiert – zu den
besten gehört der betörende Soukous von Ondigui und Bota Tabansi
International auf „Ewondo Rhythm“. Trotzdem dürften nicht alle Werke den
Geschmack von Afro-Rare-Groove-Connaisseuren und -DJs treffen.
So ist „Ozobia Special“, das einzige Album von Nkem Njoku und den Ozzobia
Brothers von 1980, ein Keyboard-lastiges Highlife-Album mit Bläsern,
Soukous-Gitarren und Disco-Einschlag – Wohlfühlmusik im 6/8-Takt, was das
Tanzen dazu nicht unbedingt erleichtert. Wegen der Coronakrise wurde die
nächste Veröffentlichung der Tabansi-Serie – Old-School-Igbo-Highlife des
Sängers Victor Chukwu aus den späten 1970ern – auf November verschoben.
Jetzt aber ist zum Glück noch das Doppelalbum „Wakar Alhazai Kano / Mus’en
Sofoa“ der Tabansi Studio Band erschienen. Es firmiert zwar unter Afrobeat,
klingt aber völlig anders als etwa jener in Yoruba und Pidgin gesungene
[2][Afrobeat eines Fela Kuti]. Stattdessen legt die Tabansi-Hausband um die
sieben Martins Brothers acht je viertelstündige hypnotisch-raue Stücke vor,
die mal in der arabisch beeinflussten Hausa-Kultur wurzeln, mal in den
perkussiven Traditionen der Igbo.
## Ein Stück Neokolonialismus?
Man mag darüber streiten, ob in dem Drang westlicher Labels, vergessene
musikalische Schätze Afrikas zu heben, ein Stück Neokolonialismus steckt.
Man kann ihn im konkreten Fall aber auch als Chance begreifen, zum Teil
noch lebende westafrikanischen Musiker*innen der Post-Independent-Ära zu
würdigen.
Und am Ende kommt es neben den Bedingungen der Deals auch darauf an, „wer
sie macht“, wie Peter Adarkwah der taz sagt. Als Brite mit ghanaischen
Wurzeln habe er jedenfalls offene Türen eingerannt. Geld lasse sich damit
ohnehin nicht verdienen, es sei vielmehr ein Akt der Überzeugung: „Ich
empfinde es als Afrikaner äußerst wichtig, unsere eigenen Geschichten zu
erzählen.“
6 Jul 2020
## LINKS
[1] /Album-The-Diary-von-J-Dilla/!5297613
[2] /Erinnerung-an-Afrobeat-Begruender/!5476812
## AUTOREN
Ole Schulz
## TAGS
Afrikanische Musik
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