# taz.de -- Internierung zum Seuchenschutz: Seuchenhaus für Quarantänebrecher | |
> Stadt und Landkreis Osnabrück wollen Corona-Quarantäneverweigerer in | |
> einem bewachten Isolierhaus unterbringen. Akuter Handlungsbedarf besteht | |
> aber nicht. | |
Bild: Vor den Stadttoren weggeschlossen: das Amsterdamer Pesthaus im 17. Jahrhu… | |
OSNABRÜCK taz | Eigentlich denkt man ja, das Mittelalter ist vorbei. Aber | |
es gibt Momente, in denen beschleichen uns Zweifel. Denn Covid-19 beschert | |
uns die Rückkehr einer düsteren Institution: Manche Kommune von heute | |
entsinnt sich der Siechen- und Seuchenhäuser von einst, Isoliergefängnisse | |
gegen Krankheiten wie Pest und Lepra, und droht „Quarantänebrechern“ mit | |
der Unterbringung hinter Schloss und Riegel. | |
Auch Stadt und Landkreis Osnabrück haben Pläne dafür. Ihr Vorbild: Ein Haus | |
in der nahen Bauernschaft Westladbergen, angemietet vom NRW-Kreis | |
Steinfurt. Ein unscheinbar biederes, ehemaliges Lehrer-Wohnhaus, heute | |
umgeben von einem bedrohlichen Doppelring aus hohen Metall-Sperrzäunen. | |
Es ist ein Lager, aus dem niemand so schnell entweicht, errichtet für einen | |
Freiheitsentzug, für den Ordnungsämter und Polizei zusammenarbeiten. Im | |
Einsatzfall abpatrouilliert durch Sicherheitspersonal, stellt es eine | |
Drohkulisse dar, die Uneinsichtige, die sich ihrem zweiwöchigen | |
[1][Quarantäne]-Hausarrest entziehen, gefügig machen soll. Für Kranke ist | |
es nicht gedacht, nur für „Kontaktpersonen“ der Kategorie I, deren | |
„höheres“ Infektionsrisiko durch längere Nähe zu Coronabetroffenen | |
entsteht. | |
„Das war in unserem Krisenstab schon lange ein Thema“, sagt Sven Jürgensen, | |
Sprecher der Stadt Osnabrück. „Für eine solche Situation brauchen wir ja | |
Handlungsfähigkeit.“ Hat es in Osnabrück denn so viele hartnäckige | |
Quarantäneverweigerer gegeben? „Nein“, räumt Jürgensen ein, „nur sehr | |
vereinzelt“. „Aber natürlich müssen wir ein solches Szenario durchspielen, | |
um notfalls ‚vor der Lage‘ zu sein. Irgendwo müssten solche Leute ja hin, | |
damit sie keine Verbreitungsgefahr darstellen.“ | |
## Kommune zuständig für Absonderung | |
Mitte Juni hat sich die Stadt Osnabrück im Schulterschlusss mit dem | |
Landkreis deshalb an den Corona-Krisenstab der Hannoveraner Landesregierung | |
gewandt, parallel an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), | |
per Brief. „Unserer Auffassung nach“, so Jürgensen, „ist das eine | |
Landesaufgabe, keine der Kommune.“ | |
Die Landesregierung sieht das anders. Stadt und Landkreis liegt zwar noch | |
keine offizielle Antwort vor. Aber: „Die Anordnung einer Quarantäne erfolgt | |
immer durch das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises oder der | |
kreisfreien Stadt“, sagt Justina Lethen, Sprecherin des Ministeriums für | |
Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, auf taz-Anfrage. | |
Diese seien zuständig zu überwachen, „dass die Anordnungen zur Absonderung | |
seitens der Bürgerinnen und Bürger eingehalten werden“. Das umfasse auch | |
„eine zentrale Unterbringung in geeigneten Räumlichkeiten, wenn es in | |
Einzelfällen dazu kommen sollte, dass der Anordnung nicht Folge geleistet | |
wird“. Niedersachsen habe „die Aufgabe, für Unterbringung zu sorgen, | |
kommunalisiert“. | |
Handlungsdruck besteht in Stadt und Landkreis Osnabrück nicht. Aktuell ist | |
die Covid-19-Lage sehr entspannt. Das ist sie schon seit Wochen. Nur 16 | |
Infizierte gab es Ende der Woche, nur 154 Personen waren in Quarantäne. Die | |
Situation ist so undramatisch, dass der Osnabrücker Krisenstab schon seit | |
Mitte Juni aufgelöst ist. | |
Die meisten der rund 500 Stadtbediensteten, die in den Tagen steigender | |
Zahlen in Sachen Corona tätig waren, verrichten längst wieder ihre normalen | |
Jobs. „Aber wir müssen natürlich reagieren können, sollte es zu einer | |
zweiten Welle kommen“, sagt Jürgensen. „Rechtlich sind die Hürden dafür | |
natürlich ziemlich hoch.“ | |
„Es ist grundsätzlich zweifelhaft, dass Behörden einen solchen | |
Grundrechtseingriff überhaupt durchsetzen dürfen“, sagt der Hannoveraner | |
Rechtsanwalt Paulo Dias auf taz-Anfrage, seine Kanzlei „Recht-Durchsetzen“ | |
ist auf Asylrecht spezialisiert. „Es ist sehr fraglich, ob die | |
Ermächtigungsgrundlage das hergibt, denn sie ist keineswegs hinreichend | |
bestimmt. Das ist im Infektionsschutzgesetz viel zu vage formuliert. Meines | |
Erachtens ist das mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.“ | |
Es gelte zudem, so Dias, die Verhältnismäßigkeit zu beachten: „Das muss man | |
gegen das Grundgesetz abwägen, die Freiheit der Person, die körperliche | |
Unversehrtheit.“ | |
Hinzu kommt: Eine solche Unterbringung ist nicht nur eine juristische | |
Frage, auch eine politische. Aber eine politische Diskussion hat in Stadt | |
und Region Osnabrück dazu nicht stattgefunden. | |
Volker Bajus, Fraktion 90/Die Grünen, Mitglied im Rat der Stadt Osnabrück | |
und im Niedersächsischen Landtag Sprecher seiner Partei für Soziales und | |
Justizvollzug, sagt über „dieses Verwaltungsplanspiel“: „Mich irritiert … | |
Debatte. Das mag rechtlich erlaubt sein, aber das wäre ein erheblicher | |
[2][Eingriff in die Grundrechte]. Auch in Pandemiezeiten darf das nur | |
allerletztes Mittel sein.“ | |
## Internierungsplan nie öffentlich thematisiert | |
Bajus stört zudem, dass der Internierungsplan vor dem Brief nach Hannover | |
nie öffentlich thematisiert worden ist – und das, obwohl in Stadt und | |
Region keinerlei Gefahr im Verzug ist. „Wir sehen an den Infektionszahlen, | |
dass die meisten Leute vernünftig sind und sich an die Regeln halten“, sagt | |
Bajus. „Mir ist in Niedersachsen kein Fall bekannt, bei dem so ein | |
‚Corona-Arrest‘ bei Gericht beantragt oder gar umgesetzt wurde. | |
In den politischen Gremien war so eine Maßnahme daher auch nicht Thema.“ | |
Dass eine Kommune darüber nachdenkt, wie sie auf Quarantäneverweigerung | |
regiert, sei berechtigt. „Aber es gibt andere Möglichkeiten als ein solches | |
Haus.“ | |
Stadt und Landkreis teilen sich einen gemeinsamen Gesundheitsdienst. | |
Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) und Landrätin Anna | |
Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) müssen sich also eine gemeinsame Lösung | |
einfallen lassen. Das bedeutet nicht unbedingt ein eigenes Haus: „Denkbar | |
wäre ja auch eine Kooperation mit anderen Kommunen“, sagt Stadt-Sprecher | |
Jürgensen. Kommen also womöglich Osnabrücker nach Westladbergen? | |
„Jeglichen Zwang lehnen wir ab“, sagt Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende | |
der Linken Niedersachsen und Mitglied des Rats der Stadt Osnabrück. „Der | |
Fokus muss darauf liegen, den Menschen die Notwendigkeit der Maßnahmen zu | |
erklären und sie bei der Umsetzung zu unterstützen.“ Quarantäne-Häuser | |
seien sinnvoll, „wenn erkrankte Personen aus einer Wohngemeinschaft mit | |
ansonsten negativen Bewohnern in eine andere Unterkunft temporär umziehen | |
können. Auch eine solche Maßnahme muss jedoch freiwillig bleiben.“ | |
5 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Quarantaene-im-Hochhaus-in-Goettingen/!5693050 | |
[2] /Diskussion-Gefluechtete-und-Coronakrise/!5697719 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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