# taz.de -- Oliver Wille über Hitzacker-Musiktage: „Wir profitieren“ | |
> Wegen Corona fallen viele Sommerfestivals aus. Deshalb treten 2020 in | |
> Hitzacker viele hochkarätige Künstler*innen auf, die sonst keine Zeit | |
> hätten. | |
Bild: Konzerte, aber diesmal mit Abstand: „Musiktage Hitzacker“ | |
taz: Herr Wille, was bleibt 2020 von der kommunikativen Atmosphäre des | |
Festivals, bei dem Musiker auch mal im Publikum saßen? | |
Oliver Wille: Da bleibt eine ganze Menge. Sicher, das Chorsingen für alle | |
mussten wir absagen. Aber die Hörer-Akademien werden stattfinden und | |
außerdem mehr Konzerte – beides im großen Verdo-Konzertsaal. Der wird | |
gerade umgebaut, um den Abstandsregeln zu genügen: Die Bühne wird in der | |
Mitte sein, die Stühle drumherum positioniert. Gruppiert werden sie in | |
Zweiersitzen, die man allein oder zu zweit buchen kann, unter Angabe der | |
Kontaktdaten. | |
Erlaubt sind In- und Outdoor 250 Personen. Wie voll wird der Saal? | |
Von insgesamt 748 Plätzen werden wir 150 besetzen. Damit wir trotzdem viele | |
Menschen erreichen, werden die meisten Konzerte zweimal gespielt. Sie | |
dauern 40 bis 70 Minuten und haben meist keine Pause, um | |
Begegnungssituationen zu vermeiden. | |
Welche Musiker kommen? | |
Zum Beispiel die Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Eigentlich wollte sie | |
mit der Camerata Bern das Programm „Time & Eternity“ spielen. Da unsere | |
improvisierte Bühne aber zu klein ist, wird Kopatchinskaja allein kommen | |
und zwei Solo-Abende geben. Auch die Geigerin Isabelle Faust, die Cellistin | |
Tanja Tetzlaff und die Klarinettistin Sharon Kam reisen an. | |
So hochkarätig waren die Musiktage noch nie besetzt. | |
Es gab immer Prominenz, aber es stimmt, 2020 verzeichnen wir eine besondere | |
Dichte. Die Letztgenannten waren ursprünglich nicht vorgesehen. Ich | |
profitiere wohl davon, dass viele Sommerkonzerte wegen Corona ausfallen. | |
Deshalb haben auch sehr gefragte Musiker*innen Zeit und freuen sich über | |
Live-Konzerte. | |
Gibt es nur Indoor-Konzerte? | |
Nein. Wir werden im Kurpark eine weitere Bühne aufbauen und (fast) täglich | |
Open-Air-Konzerte geben. | |
Gibt es auch 2020 einen Schwerpunkt und Composer in Residence? | |
Ja, in abgewandelter Form. Zum 75. Geburtstag wollen wir Highlights der | |
Musiktage-Geschichte beleuchten und neu erfinden. Ich habe das Publikum | |
dazu befragt. Legendär war 1955 Monteverdis „Orpheus“. Auch Manfred | |
Trojahn, in den 1970ern Kompositionspreisträger, blieb in Erinnerung. Also | |
habe ich hierfür beides verknüpft und Trojahn gefragt, ob er für uns einen | |
„Orpheus“ komponiert. Er schrieb uns ein Melodram für Violine, Klavier und | |
Sprecher, die Uraufführung findet zum Festivalabschluss statt. | |
Und Komponist Helmut Lachenmann kommt persönlich. | |
Ja. Das lag mir sehr am Herzen, und er hat das Programm eines ganzen Tages | |
mit kuratiert. Es wird unter anderem eine Diskussion über die Definition | |
des Kunstbegriffs geben. Außerdem spielt Lachenmann am Klavier eigene | |
Werke. | |
Aber das Voktett Hannover entfällt. | |
Ja, das müssen wir auf 2022 verschieben. Es käme derzeit wahrscheinlich | |
psychologisch nicht so gut an, wenn in einem geschlossenen Raum relativ | |
nahe acht Leute auf das Publikum einsängen. | |
Zahlen Sie Ausfallhonorare? | |
Das können wir uns leider nicht leisten. Die Künstler*innen bekommen aber | |
einen verbindlichen Ersatztermin. Darüber war ich auch mit dem Voktett | |
immer im Gespräch und habe gesagt: Ich stehe zu meiner Einladung – aber es | |
kann sein, dass es letztlich nicht geht. Diese offene Kommunikation war mir | |
wichtig, weil die Musikerinnen und Musiker uns in Hitzacker in puncto | |
Honorar immer sehr entgegenkommen. | |
Und wie stehen die Musiktage derzeit finanziell da? | |
Ich hatte die Aufgabe – und den Ehrgeiz – über die bestehenden Zuwendungen | |
von Land und Förderern hinaus keine zusätzlichen Mittel zu benötigen. In | |
der Tat spare ich dadurch, dass keine Kammerorchester kommen, zum Beispiel | |
Hotelkosten. Auf der anderen Seite gibt es Mehrausgaben für | |
Hygienemaßnahmen. Da unser Foyer zu eng ist, werden wir unter anderem ein | |
Schwebezelt auf das Festivalgelände bauen. | |
Sie haben recht kurzfristig – sechs Wochen vor Festivalbeginn – von | |
Niedersachsens Landesregierung erfahren, dass Sie starten können. Kam das | |
überraschend? | |
Mental nicht, praktisch schon. Ich hatte natürlich immer gehofft und dafür | |
gekämpft, dass wir stattfinden können. Immer wieder haben wir den Menschen, | |
die bereits Karten gekauft hatten, kommuniziert: Wir halten durch. Wir | |
wollen, dass es stattfindet. Wir haben immer wieder überlegt, wie es | |
aussehen könnte und umgeplant. Mein größtes Problem war aber, dass seitens | |
der Landesregierung nicht kommuniziert wurde. | |
Gar nicht? | |
Nein. Ich hätte mir gewünscht, dass man unsere Briefe beantwortet, dass man | |
sich mit uns Festivalplanern zusammensetzt und sagt: So könnte es aussehen, | |
wenn die Coronazahlen so und so sind. Das fand leider nicht statt. | |
Zurück zur Praxis: Werden die Musiker auf Corona getestet? | |
Bisher ist das nicht geplant. Ich werde mich allerdings beim Landkreis | |
dafür stark machen, dass unser Team getestet wird. Das sind ja die, die | |
Künstler*innen vom Flughafen abholen, sie betreuen und mit allen Menschen | |
des Festivals in Kontakt kommen. Wenn einer dieser Mitarbeiter*innen | |
erkrankt, muss das ganze Team in Quarantäne, was eine Katastrophe wäre. | |
Deshalb müssen sie dringend getestet werden – und zwar mehrfach, weil jeder | |
Test nur eine Momentaufnahme ist. Diese Tests würden wir dann auch | |
bezahlen. | |
4 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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