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# taz.de -- Musiktagen in Hitzacker: "Man bekommt mehr Mut zur Archaik"
> Das Schweizer Stimmhorn-Duo tritt am Donnerstag mit dem tuvinischen
> Huun-Huur-Tu-Ensemble bei den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker auf.
Bild: Alphorn, Hirsch und Rentier: Jodler Christian Zehnder (l.) und Hornist Ba…
taz: Herr Zehnder, warum wird an Nord- und Ostsee eigentlich nicht
gejodelt?
Christian Zehnder: Das hat sicherlich etwas mit dem Echo zu tun. In der
Schweiz etwa singt und ruft man ja letztlich immer gegen die Berge an. Die
bieten einen akustischen Widerstand, wenn man gegen sie anjuchzt. Die Berge
werfen die Rufe des Menschen zurück - und das ist der Moment, in dem sich
die Stimme zu überschlagen beginnt, woraus wiederum der Jodel entsteht. Die
Entstehung dieser Gesangsform hängt also mit der alpinen Topographie
zusammen. Wenn man dagegen am Meer steht und ruft, kommt ja relativ wenig
zurück…
Erwächst das Jodeln also aus der puren Lust am Echo?
Nein. Die vielen Formen - auch das Juchzen und das Johlen etwa - sind
Ausdruck emotionaler Befindlichkeiten und dienten ursprünglich der
Kommunikation. Da wohnten zum Beispiel Familien auf beiden Seiten eines
Tales. Und um zum Gespräch nicht immer das Tal herunter und wieder hinauf
steigen zu müssen, hat man angefangen sich etwas zuzurufen.
Aber das Vokabular ist ja nicht sehr groß…
Nein. Das Jodeln ist aber auch keine Sprache im engeren Sinne, sondern eine
Ansammlung vorsprachlicher Laute, die emotionale Befindlichkeiten
ausdrücken. Da gibt es zum Beispiel den Freuden-Jodel. Eine andere Variante
ist das Juchzen, das die Käseherstellung begleitet - die "Jodelkehre": ein
wiederkehrender Reim, der den Käse besser machen soll. Man muss also
unterscheiden zwischen dem unmittelbar emotionalen Jodel und dem Jodel, der
bei rituellen Angelegenheiten eingesetzt wird.
Wie sind diese vorsprachlichen Laute entstanden?
Aus den menschlichen Gebärden. Wenn man zum Beispiel eine Anstrengung
unternimmt, keucht man ganz von selbst - "juch", "juch" oder "hio", "hio"
etwa. Beim Bergsteigen oder bei schwerer Arbeit falle ich automatisch in
diese Laute hinein.
Und aus diesen Lauten, garniert mit ein paar Obertönen, bestreiten Sie ihre
Konzerte?
Nicht ganz. Wir treten ja als Duo auf, wobei mein Partner, Balthasar
Streiff, Alphorn aber auch andere Tuten und Trompeten spielt. Er spielt sie
allerdings nicht auf traditionelle Weise, sondern versucht neue Techniken
zu entwickeln, indem er während des Hornspiels zusätzlich singt, sodass
Vielstimmigkeit entstehen kann. Was mich betrifft, nutze ich verschiedene
Gesangstechniken von der Klassik über den Jodel bis zum Obertongesang. Wir
spielen aber keine traditionellen Schweizer Musikstücke, sondern schaffen
moderne Eigenkompositionen. Wir wohnen ja auch in Basel und nicht in den
Bergen. Trotzdem haben wir natürlich Erinnerungen an Instrumente und
Techniken aus der alpinen Region.
Ihre Musik basiert also auch auf Kindheitserinnerungen?
Ja. Das sind Dinge, die einen prägen - ob man will oder nicht. Als Kind hat
man diese ganzen Jodelgeschichten und Alphörner eher von sich gewiesen. Wir
haben diese Dinge erst später wieder entdeckt. Denn ein Fundus im
Unterbewusstsein ist da natürlich schon: Als Schweizer verbringt man sehr
viel Zeit in den Bergen und hört dort auch diese Gesänge.
Basieren Ihre Kompositionen auf diesen traditionellen Melodien?
Nein, unsere Kompositionen sind modern. Es gibt aber immer wieder
Querverweise auf traditionelle Musik, aber auch auf Jazz und Klassik. Die
Grenzen sind fließend. Auch die Volksmusik selbst wurde ja immer
beeinflusst von anderen Stilen, auch das Jodeln selbst. Wenn die Bauern
etwa in die Kirche gingen, ließen sie sich von den dortigen Gesängen
beeindrucken und versuchten die später zuhause auf der Alb in Jodel
umzusetzen.
Sind Ihre Kompositionen atonal?
Nein. Aber wir arbeiten untemperiert, verwenden also die Naturtonreihe. Das
heißt, dass unsere Instrumente und Gesänge untereinander stimmig sind, aber
nicht mit einem Klavier zusammen spielen könnten. Das klänge schief, weil
die Instrumente verschieden gestimmt sind.
Ihre Konzerte sind also tief ernste Musikdarbietungen.
Nein, da ist immer auch ein bisschen Performance. Ich versuche jodelnd
Geschichten zu erzählen, und das bringt mich in eine schauspielerische
Gestik und Mimik hinein. Auch in Dialoge mit meinem Partner. Und die sind
oft sehr theatralisch. Wir lieben das Drama und spielen mit der
Unsicherheit, ob das jetzt lustig oder tragisch ist und ob man darüber
lachen darf.
Nehmen Sie die Schweizer traditionelle Musik überhaupt ernst?
Wir haben großen Respekt vor allen, die die Tradition bewahren wollen. Wir
vergleichen uns auch nicht mit den traditionellen Jodlern. In der Schweiz
wird unsere Musik nicht als Konkurrenz zur Volksmusik empfunden.
Warum ist es Ihnen so wichtig, moderne Musik auf traditionellen
Instrumenten zu spielen?
Da hat etwas mit der eigenen Verortung als Musiker zu tun. Denn es stellt
sich ja immer die Frage: Mit welchem Fundus arbeite ich, woher nehme ich
meine Inspiration? Wo ist mein Platz? Als Duo haben wir da eine gute Mixtur
gefunden: Mit unseren Instrumente und Techniken bleiben wir quasi zuhause,
mit unseren Kompositionen sind wir international.
Sie treten heute mit dem mongolischen Huun-Huur-Tu-Ensemble auf, das auch
mit Obertongesang arbeitet. Welchen Erkenntnisgewinn versprechen Sie sich
davon?
Das verbindende Element ist natürlich der Obertongesang. Ich singe
allerdings in einer - jüngeren - europäischen Technik, während Huun-Huur-Tu
den Kehlkopfgesang praktiziert. Außerdem sind ihre Stücke archaisch und
unsere frisch komponiert. Das erzeugt eine große Spannung.
Können Sie von den tuvinischen Musikern lernen?
Natürlich: einerseits technisch, aber auch aus der Konfrontation mit dieser
Tradition. Die mongolischen Musiker sind sehr stolz auf ihren Fundus
archaischer Musik. Unsereiner fällt bei solch einer Begegnung immer ein
bisschen auf sich selber zurück. Man wird bescheiden. Und man bekommt mehr
Mut zur Archaik.
30 Jul 2008
## AUTOREN
Petra Schellen
Petra Schellen
## TAGS
Musikfestival
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