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# taz.de -- Verfassungsreferendum in Russland: Sieg mit Beigeschmack
> Die Wähler*innen stimmen für eine Verlängerung der Amtszeit von Präsident
> Putin bis 2036. Wahlbeobachter registrieren über 2.000 Verstöße.
Bild: Putin bei der Stimmabgabe zur Verfassungsreform am 1. Juli in Moskau
Moskau taz | Russlands [1][Präsident Wladimir Putin] hat die
Volksabstimmung über die Verfassungsreform mit Bravour hinter sich
gebracht. 78 Prozent der Wähler*innen stimmten für die 206 Änderungen an
der Verfassung. 21 Prozent lehnten einen Eingriff in das Grundgesetz aus
dem Jahr 1993 ab.
Damit erhält Putin erneut die Möglichkeit, bei der Präsidentenwahl 2024
anzutreten und auch 2030 noch einmal einen Anlauf zu nehmen. 2036 am Ende
der Amtszeit wäre der Kremlchef dann 83 Jahre alt. Fast zwei Drittel der
Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung laut Zentraler Wahlkommission
teil.
Für Überraschungen sorgte der autonome Kreis der Nenzen in der Polarregion.
Das war die einzige Region, die mit 54 Prozent gegen die
Verfassungsänderungen stimmte.
Auch in dem Gebiet Komi im Norden waren die Wähler dem Kreml kritisch
gegenüber eingestellt. Mehr als 54 Prozent sprachen sich gegen die Reform
und 44 Prozent dafür aus. Dabei blieb es jedoch nicht lange: Kurze Zeit
später erschienen neue Zahlen, diesmal in umgedrehter Reihenfolge. 54
Prozent pro und 44 Prozent contra. Angeblich seien zuvor die Zeilen
verrutscht, hieß es in einer offiziellen Erklärung.
## Ziel verfehlt
Mit 65 Prozent Wahlbeteiligung und 78 Prozent Ja-Stimmen wurde auch die
50-Prozentmarke bei der Gesamtzustimmung erreicht. Um diesen Wert ging es
dem Kremlchef. Mit weniger als die Hälfte der Stimmen stünde der Präsident
als Verlierer da. Er hätte sein Ziel nicht erreicht.
Auch bei den Exit-Polls in Moskau und Sankt Petersburg stellten Aktivisten
angeblich fest, dass die Endergebnisse vertauscht waren: 65 Prozent
sprachen sich in der Hauptstadt in den Polls dagegen, 34 Prozent dafür aus.
Inwieweit auf die Wahl Einfluss genommen wurde, war von vornherein
umstritten. Grundsätzlich entsprach die Abstimmung nicht den Vorgaben, die
für eine verfassungsrechtliche Entscheidung erforderlich gewesen wären. So
wurden beispielsweise einige Zwischenergebnisse schon vor Schließung aller
Wahllokale bekannt gegeben. Auch Eingriffe in die Wahlen vor Ort waren
immens.
Tatsächlich waren es Wunsch und Wille des Kremlchefs, ein Placet für die
nächsten sechzehn Jahre im Kreml zu erhalten. Der Wähler nimmt juristische
Feinheiten auch nicht so genau. Ob Wladimir Putin mit diesem Zuspruch
ruhiger leben kann, bleibt jedoch fraglich.
## Riesiger Protest
Putin hatte auf den 1. Juli festgesetzt. Eine [2][Verschiebung] auf den
September hätte die Ergebnisse noch verändern können. Die Auswirkungen der
wirtschaftlichen Krise hätten noch weitere Kreise gezogen. Ein korrektiver
Eingriff in die Wahlergebnisse von oben wäre deutlich schwieriger und
gefährlicher geworden. Zur Erinnerung: Als der Kreml bei den Duma-Wahlen
Ende 2011 an den Resultaten herum manipulierte, brach erstmals riesiger
Protest aus.
Das sollte mit der eiligen Abstimmung, die am Mittwoch nach einer Woche
endete, verhindert werden. Auch die mögliche Ansteckungsgefahr mit Corona
spielte für offizielle Stellen allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Doch wie lange wird die Ruhe vorhalten? Grigori Melkonjanz von der
einheimischen Wahlbeobachter-Initiative „Golos“ sprach von 30 Millionen
Wählern, die mehrheitlich aggressiv genötigt worden seien, an der
Abstimmung teilzunehmen. Nicht zu übersehen sei auch die schwierige
ökonomische Lage im Umfeld. Insgesamt sind bei Golos etwas mehr als 2.000
Beschwerden eingegangen. Die Zentrale Wahlkommission geht jedoch davon aus,
dass die Beschwerden die Legitimität der Wahlen nicht in Frage stellen.
„Die Abstimmung war in der Tat beispiellos. Sie wird in die Geschichte des
Landes als Rechtsverletzung der Souveränität des Volkes eingehen“, hieß es
nach der Wahl auf Golos' Website.
2 Jul 2020
## LINKS
[1] /Volksabstimmung-in-Russland-endet/!5693377
[2] /Verfassungsreform-in-Russland/!5674297
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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Russland
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