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# taz.de -- Proteste in Russland: Rebellion im Fernen Osten
> In Sibirien sind Tausende auf die Straße gegangen, um gegen die Festnahme
> eines Gouverneurs zu protestieren. Er soll für Morde verantwortlich sein.
Bild: Unterstützer*innen von Sergej Furgal bei einer Kundgebung in Chabarowsk …
Moskau taz | Mehr als 30.000 Menschen sind am Wochenende in Chabarowsk auf
die Straße gegangen. Sie demonstrierten für die Freilassung des Gouverneurs
der Region. Sergej Furgal war am Donnerstag festgenommen und ins acht
Flugstunden entfernte Moskau verbracht worden.
Dort soll sich ein Gericht mit Vorwürfen wegen Mordes befassen – Taten, die
Frugal als Geschäftsmann in den nuller Jahren angeblich in Auftrag gegeben
haben soll. Zwei seiner Geschäftspartner seien dabei zu Tode gekommen.
Sergej Frugal wies die Schuld zurück.
Der Protest hat Moskau überrascht. Die Demonstrationen am Wochenende waren
die größten, die der Ferne Osten in den letzten 30 Jahren erlebt hatte.
Auch in der Rüstungsschmiede Komsomolsk am Amur und in Nikolajewsk
protestierten Tausende. Sie skandierten „Moskau, geh weg“, „Frugal nach
Hause“ und bekräftigten ihre Wahlentscheidung „Unsere Wahl, unser Frugal�…
2018 hatte der Gouverneur die Wahl gegen den Kandidaten der Kremlpartei
Wjatscheslaw Schport gewonnen. Bei drei weiteren Abstimmungen waren
Moskaus Kandidaten ebenfalls unterlegen. Die Ablehnung des Kremls im Fernen
Osten wächst seit Jahren.
## Beispielhafte Patrioten
Moskaus Auftreten als Kolonialherr im asiatischen Teil Russlands ist indes
nur ein Motiv. Die Anhänger der ultrarechten Partei LDPR verstehen sich
selbst als beispielhafte Patrioten. Bei den [1][Regionalwahlen 2019]
erhielt die Kremlpartei Vereinigtes Russland (VR) 13 Prozent. Um Chabarowsk
für das schlechte Abschneiden zu bestrafen, war im selben Jahr 2018 auch
die Gebietshauptstadt des Fernen Ostens nach Wladiwostok verlegt worden.
Für Verwunderung sorgt unter den Einwohnern auch, dass die vermeintlichen
Kapitalverbrechen erst nach 15 Jahren zur Anklage gelangen. Vermutlich will
sich Moskau für die Schlappe der eigenen Kandidaten rächen. Zudem finden
2021 Duma-Wahlen statt, bei denen die VR zurzeit nur wenig Aussichten auf
Erfolg hat.
Die Proteste hätten mit „grober Einmischung des Zentrums“ zu tun, meint
Grigorij Golosow von der Europäischen Universität in St. Petersburg.
Außerhalb Moskaus oder St. Petersburgs sei es seit Jahrzehnten in der
Provinz zu keinen vergleichbaren Übergriffen mehr gekommen.
Bei der Gouverneurswahl 2018 stimmten 66 Prozent für den Exarzt Furgal. Er
erhielt damit mehr Stimmen als Wladimir Putin ein halbes Jahr zuvor bei der
Präsidentschaftswahl. Furgal war jedoch vorsichtig. Noch 2018 schien er
bereit, den Posten des stellvertretenden Gouverneurs zu übernehmen.
## Mut zum Widerspruch
Furgal galt jedoch als einzige Stimme, die gelegentlich zu widersprechen
wagt. Das reichte den Wählern, um ihn zum Gouverneur zu machen. Die
Ablehnung Moskaus saß damals schon tief.
Diese bediente der Neue mit populistischen Maßnahmen: Er verbot den Beamten
die Business Class, verkaufte teure Dienstwagen und die Jacht des
Gouverneurs. Überdies verfügte er für sich und seine Mitarbeiter
Gehaltskürzungen. „Ein Gouverneur kann keine Million Rubel (12.500 Euro)
Gehalt erhalten“, so Furgal.
Inzwischen schickte der Kreml den Beauftragten für die Fernostregion, Juri
Trudnew, nach Chabarowsk. Er soll die explosive Lage entschärfen. Dem
64-Jährigen eilt ein fragwürdiger Leumund voraus. Er hätte nicht nur den
Ruf eines „Brandbeschleunigers“, ihm soll auch das Verständnis für den
Menschenschlag des Ostens fehlen, meinen Beobachter. Trudnew hatte die
Verlegung der Hauptstadt nach Wladiwostok umgesetzt.
Nach der [2][Verfassungsabstimmung am 1. Juli] schickte der Kreml seine
Handlanger vergangene Woche durch das ganze Land auf der Suche nach
Kritikern. Noch am Montag wurde die Anklage gegen den Exjournalisten und
Mitarbeiter der Kosmos-Behörde Roskosmos, Iwan Safronow, erwartet. Ihm
werden Spionage und Geheimnisverrat an ein Nato-Mitglied unterstellt.
## Zahlreiche Hausdurchsuchungen
Auch bei Mitarbeitern von Open Russia und MBK Media fanden
Hausdurchsuchungen zwischen Moskau und Tomsk statt. Angeblich sollen sie
sich am Vermögen der vom Staat einverleibten Öl-Firma Yukos bedient haben.
Tatsächlich dreht es sich wohl um Aktionen gegen die Volksabstimmung des
Kreml.
Pussy Riot Gründer, Petr Wersilow, beschwerte sich ebenfalls über Dutzende
Hausdurchsuchungen darunter auch beim oppositionellen Dienst Mediazona in
der vergangenen Woche. Wersilow wird das Verschweigen eines kanadischen
Passes vorgeworfen.
13 Jul 2020
## LINKS
[1] /Regionalwahlen-in-Russland/!5621117
[2] /Verfassungsreferendum-in-Russland/!5693604
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
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