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# taz.de -- Corona-Filmcollage aus Hannover: Was wir gerade so machen
> Der Produzent Andreas Barthel fragte nach Bildern aus der Isolation.
> Heraus kam die so erhellende wie unterhaltsame Collage „When We Stayed At
> Home“.
Bild: Kunstvoll komponiert – oder einfach Glück? Ein Mann liegt da und liest…
Hamburg taz | Ein Zauberer zaubert, eine Band spielt, eine Dichterin
rezitiert Gedichte, TänzerInnen tanzen: Zur Zeit sind das alles keine
Selbstverständlichkeiten, denn [1][die Coronakrise] trifft KünstlerInnen
besonders schwer, die ein Live-Publikum brauchen.
Für die Videocollage „When We Stayed At Home“ haben nun immerhin 43
Menschen Gelegenheit bekommen, sich künstlerisch auszudrücken – und sei es
virtuell. Nicht alle sind Profis, aber wenn eine Mutter mit ihren beiden
Kindern eine kleine Tanznummer einübt oder jemand einen – nicht sehr guten
– Witz erzählt, sind das ja auch kreative Leistungen.
Wenig zu tun hatte seit März auch Andreas Barthel mit seiner
[2][Filmproduktion „Independent Entertainment“] in Hannover. Wider den
unfreiwilligen Leerlauf initiierte er zusammen mit seinen KollegInnen Susi
Duhme und Markus Keese das Projekt: [3][Über die sozialen Medien] riefen
sie dazu auf, kurze selbstproduzierte Homevideos beizusteuern, die dann zu
einer Collage wurden. Geantwortet haben vor allem Bekannte und KollegInnen,
aber weil jedeR mitmachen konnte, gab es auch Einsendungen, bei denen
Barthel selbst nicht genau sagen kann, wer ihm da ein Video zugeschickt
hat.
An insgesamt 60 Tagen von März bis Mai gingen 43 Beiträge ein, zusammen
eine Stunde und sieben Minuten Material. Daraus ist ein 45 Minuten langes
Video geschnitten worden. Barthel versichert im Gespräch mit der taz, dass
dabei einzig Redundanz und Langatmigkeit vermieden wurden – aber keine
„Zensur“ ausgeübt.
## Vielfältige Beiträge
Umso erstaunlicher, wie unterhaltsam und erhellend das Ergebnis geraten
ist, wie beeindruckend vielfältig auch in Form und Inhalt. Da gibt es etwa
kleine Vorstellungen wie die des hannoverschen Zauberkünstlers Cody Stone.
Dann wieder spielt eine Querflötistin Beethovens 9. Sinfonie. Und der
Gitarrist Joachim Schütte führt vor, wie er sich in den ihm zuvor
unbekannten Stil der Countrygitarre hineinfuchst.
Eine Wohngemeinschaft wiederum hat ein Blödellied von Mike Krüger als
Sketch inszeniert – mindestens so komisch wie die Vorlage. Und dann die
Frau namens Astrid, die – zusammen mit ihrem „Brösel“ – „Lyrik zur N…
vor bunter Tapete“ vorträgt; „Brösel“ ist hier nicht der „Werner“-Z…
sondern Astrids mit Sonnenbrille nicht eben artgerecht präsentierter Hund.
Überhaupt treten in vielen Beiträgen Hunde auf: Einige führen eingeübte
Kunststücke vor, andere schlafen einfach nur auf der Couch. Eine Frau
stellt ihre Promenadenmischung beim Gassigehen wohl nur halb scherzhaft als
„meine große Liebe“ vor. Katze gibt es keine einzige zu sehen in der
Collage, dafür aber zwei Kanarienvögel, denen ihre Besitzerin das Sprechen
beizubringen versucht – mit nur geringem Erfolg.
Einige Videos zeigen einfach nur, wie ihre MacherInnen die erzwungene
Freizeit nutzen: fernsehen, aufräumen, spazieren gehen im Wald. Ein Kind
malt zusammen mit seiner Mutter die Wände seines Zimmers an. Da gelingen
immer wieder kleine, intime Momentaufnahmen. Bei einer ungeschnittenen
Einstellung ist schwer zu bestimmen, ob sie kunstvoll komponiert ist – oder
einfach nur so passiert: Im Vordergrund steht ein Tablett mit Frühstück
drauf, hinten liegt einer im Liegestuhl, und er liest in einer Zeitschrift
namens Carpe Diem. Nur einen Schnitt entfernt von dieser Idylle kommen dann
wieder rennende Beine auf einem Laufband beim Hometraining.
Die Qualität der Aufnahmen variiert. Einige entstanden mit professionellem
Digitalequipment, andere mit Smartphones – aber auch dieser ständige
Wechsel macht das Video so abwechslungsreich. Direkte Klagen über die
herrschenden Verhältnisse gibt es übrigens kaum, und wenn ein
Wrestling-Schiedsrichter in voller Montur dem Virus die rote Karte zeigt,
ist das eher komisch. Einzig der Hamburger Regisseur Berthold von Kamptz
trinkt deprimiert drein blickend seinen Schnaps und wirkt wie ein
larmoyanter Kontrapunkt zu all jenen, die sich bemühen, das Beste aus der
besonderen Situation zu machen.
## Stilmittel Splitscreen
Eine Tanzgruppe hat eine Choreografie zu einem Discosong eingeübt und
präsentiert sie als schnell geschnittenes Splitscreen-Video. Auf das
gleiche, auf Youtube beliebte Stilmittel setzte auch jene Handvoll
Hannoveraner MusikerInnen, die, jedeR allein zuhause, zusammen einen
Countrysong einspielen.
Es zeigt sich, dass die Kontakte der beteiligten über den norddeutschen
Tellerrand hinausführen: Der Fotograf Uwe Dillenberg etwa, vor Jahren von
Hannover nach Paraguay ausgewandert, schildert in seiner Videobotschaft,
wie „langweilig, doch entspannt“ er zurzeit in dem lateinamerikanischen
Land lebt. Aus Südafrika wiederum meldet sich die Sängerin Cindy Alter, mit
der Andreas Barthel an einem anderen Projekt arbeitet: Sie erzählt, wie es
war, als sie in Johannesburg einige Tage lang weder Wasser noch Strom
hatte.
Seit Dienstag ist „When We Stayed At Home“ in Hannovers Innenstadt zu
sehen: [4][in der Kröpcke-Uhr]. Dieses historische Wahrzeichen wurde als
Kulturraum restauriert, in dem die Collage nun als Loop in einer
Videoinstallation läuft. Wer mit dem Smartphone einen QR-Code abliest,
bekommt die Tonspur aufs eigene Gerät übertragen.
Am 1. Juli wird „When We Stayed At Home“ auch ins Netz gestellt: auf
[5][whenwestayedathome.de] sowie auf Youtube. Andreas Barthel hofft, dass
der Film später einmal als Zeitdokument in Schulen vorgeführt wird: Weil er
zeigt, was wir im Lockdown so gemacht haben.
25 Jun 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] https://www.independent-entertainment.de/ientertainment/ueber-uns/
[3] https://www.facebook.com/WhenWeStayedAtHome/
[4] https://whenwestayedathome.de/wp-content/uploads/2020/06/IMG_5322-scaled.jpg
[5] http://whenwestayedathome.de
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
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