# taz.de -- Ausbeutung im Libanon: Hausangestellte auf der Flucht | |
> Die Wirtschaftskrise im Libanon trifft migrantische Arbeiter:innen | |
> besonders hart. Immer mehr Äthiopierinnen wollen nur noch raus aus dem | |
> Land. | |
Bild: Ehemalige Hausangestellte vergangene Woche vor dem äthiopischen Konsulat… | |
BEIRUT taz | Nur ein kleiner Vorsprung an der Mauer des äthiopischen | |
Konsulats in Beirut spendet Schatten. Darunter sitzen mehrere Frauen auf | |
Pflastersteinen, als ein Mann aus einem Auto steigt und fragt: „Wer möchte | |
arbeiten? Bezahlung in Dollar.“ Die Frauen wehren ab. „Wir möchten hier | |
weg“, sagt eine. Ein Polizist schreitet ein: Es sei verboten, Angestellte | |
auf der Straße anzuheuern. | |
Die Frauen sind Äthiopierinnen, die bis vor Kurzem noch in libanesischen | |
Haushalten sauber gemacht oder die Kinder betreut haben, doch teilweise | |
seit Monaten nicht mehr bezahlt worden sind. Seit über einer Woche schlafen | |
deshalb knapp 30 Frauen, die das Land verlassen wollen, auf dem Gehweg. | |
„Sie behandeln uns wie Tiere“, sagt eine von ihnen, die 24-jährige Mamit | |
Hayilu Asebah, die noch ihr Schlafanzugs-Shirt trägt. Wie die anderen will | |
sie zurück zu ihrer Familie, doch das Flugticket kostet mehr als 500 | |
US-Dollar. | |
„Das Problem geht über die sichtbaren Frauen vor dem Konsulat hinaus“, | |
erklärt Zeina Ammar von der sogenannten „Anti-Rassistischen Bewegung“ im | |
Libanon. „Seit dem [1][Beginn der Wirtschaftskrise] werden migrantische | |
Arbeiter unterbezahlt, gar nicht bezahlt oder gefeuert.“ | |
Und wenn sie bezahlt würden, dann meist in der lokalen Währung, die in den | |
vergangenen Monaten rund 70 Prozent ihres Werts im Vergleich zum US-Dollar | |
verloren hat. | |
Der Servicesektor im Libanon ist auf die knapp 300.000 Migrant:innen | |
angewiesen, die Gebäude reinigen, den Müll abholen oder Autos betanken. | |
Meist werden sie von Vermittlungsagenturen rekrutiert. Das Versprechen: ein | |
Gehalt in US-Dollar, das sie an ihre Familien in der Heimat schicken | |
können. | |
Doch dahinter verbergen sich ausbeuterische Strukturen: In dem als | |
Kafala-System bekannten Verhältnis ist das Arbeitsvisum der Migrant:innen | |
mit dem Namen ihres oder ihrer Arbeitgeber:in verbunden, des sogenannten | |
Kafil (Sponsor). In vielen Fällen nehmen die Arbeitgeber:innen ihren | |
Arbeiter:innen sogar den Pass ab – auch wenn diese Praxis gegen das | |
Gesetz verstößt. | |
## Ohne Pass die Flucht ergriffen | |
So auch bei der 25-jährigen Ehiti Nasi Malasa, die ebenfalls vor dem | |
Konsulat ausharrt. „Die ersten drei Monate liefen gut“, erzählt sie der | |
taz. In dieser Zeit können Arbeiter:innen den Haushalt noch wechseln. Nach | |
Ablauf der Probezeit bleiben sie in der Regel bei ihrem Sponsor, | |
andernfalls halten sie sich undokumentiert im Land auf. | |
„Nachdem die Aufenthaltsgenehmigung auf den Namen der Madame lief, gab es | |
viele Probleme“, erinnert sich Malasa. „Sie wollte mich schlagen und ich | |
sollte in drei Haushalten arbeiten. Als ich mich an die Agentur gewandt | |
habe, hieß es, ich müsse zwei Jahre bleiben.“ | |
Für ihre Arbeit habe sie vor der Krise 150 US-Dollar erhalten. Als das Geld | |
dann ausblieb, habe ihr „die Madame“ gesagt: „Ich habe keins.“ Malasa s… | |
sie sei in der Nacht geflohen, ihren Pass habe die Arbeitgeberin behalten. | |
Die äthiopische Aktivist:innengruppe Egna Lebna sammelt Geldspenden für | |
Lebensmittel; ehrenamtliche Helferinnen verteilen Damenbinden. In einer | |
einmaligen Aktion ließ die libanesische Arbeitsministerin einige Frauen in | |
ein Hotel bringen, was das Problem aber nicht löste. Andere Frauen kamen | |
nach. | |
Die Lösung sei die Abschaffung des Kafala-Systems, sagt Aktivistin Ammar. | |
„Die Arbeitgeber müssen zur Rechenschaft gezogen und ausländische | |
Angestellte in das Arbeitsgesetz aufgenommen werden, um ihnen einen | |
Mindestlohn und das Recht zu garantieren, sich gewerkschaftlich zu | |
organisieren“, fordert sie. | |
Die philippinische Botschaft hat schon im Oktober einige undokumentierte | |
Arbeiter:innen aus dem Land ausgeflogen. Den Äthiopierinnen aber bleibt | |
nur die Hoffnung, dass ihre Vertretung einlenkt und sich um sie kümmert. | |
Das Konsulat war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. | |
14 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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