# taz.de -- Die Wahrheit: Piranhas gegen Spekulanten | |
> Der Immobilienboom boomt weiter, nicht erst seit Deutsche Wohnen neu im | |
> Dax baut. Auch die kleine Kneipe in unserer Straße ist bedroht. | |
Die beiden Typen standen am Zaun des Bolzplatzes und sahen sich um. „Ich | |
hab’s ja gesagt, dass sie kommen werden!“, flüsterte Raimund. Seit ein | |
amerikanischer Immobilientrust die Philippshöfe gekauft hatte, um sie in | |
hippe Lofts für hippe Familien umzubauen, prophezeite er, dass auch der | |
Goetheplatzkiez bald untergehen werde, wenn wir nichts unternähmen. Wir | |
fanden seinen Aktivismus eine Spur zu hysterisch, vor allem aber wussten | |
wir nicht, wie wir uns die Immobilienhaie vom Hals halten sollten. | |
„Was willst du tun?“, hatte Luis gefragt, „Spekulantenfallen ausheben? | |
Tiefe Gruben mit angespitzten Pfählen, die wir mit Palmwedeln tarnen?“ | |
Unterdessen hatten die beiden Typen einen der Jungs herbeigewinkt, die auf | |
dem Bolzplatz kickten. Sie hielten ihm ein Smartphone vor die Nase, und der | |
Pöks zeigte hierhin und dahin. | |
„Hey, was wollten die Männer?“, fragte Raimund den Kurzen, nachdem die | |
Typen abgezogen waren. „Keine Ahnung, sie haben kein Deutsch gesprochen.“ �… | |
„Und was haben sie dir gezeigt?“ – „Ein Foto von Petris, ich hab ihnen … | |
Weg zum Café Gum erklärt.“ | |
„Ha!“, rief Raimund. „Also ich finde nicht, dass sie wie Spekulanten | |
aussehen“, sagte ich, „sie tragen ja nicht mal Anzüge.“ – „Ja, glaub… | |
die wollen gleich erkannt werden? Und ist dir nicht aufgefallen, wie oft | |
Petris in letzter Zeit vom leichten Leben in seiner Heimat geschwärmt hat?“ | |
## Bolzplätze zu Massivhäusern | |
Tatsächlich hatte Petris, Gum-Wirt und Grieche, in Anbetracht des tristen | |
Wetters mehrfach davon gesprochen, dass er sich nicht vorstellen könne, den | |
Rest seines Lebens hierzubleiben. Ich hatte es darauf geschoben, dass er | |
das Gum wegen der blöden Seuche so lange nicht aufmachen durfte, doch | |
Raimund hatte gesagt, dass es im Augenblick bestimmt nicht schwierig wäre, | |
ihm das Gum abzukaufen und ein stylishes Chai-Latte-Café daraus zu machen. | |
„Was sind Spekulanten?“, fragte der Pöks. „Miese Kerle sind das“, sagte | |
ich. „… die den Bolzplatz betonieren wollen, um ein Haus drauf zu bauen“, | |
fiel Raimund ein. „Was?!“, keuchte der Knirps: „Das dürfen sie nicht!“… | |
„Die dürfen alles“, sagte Raimund und grinste. | |
„Nein“, schnaubte der Kleine. Dann wandte er sich an seine Kumpel. „Jungs, | |
die Knacker wollen uns den Platz wegnehmen! Auf sie!“, rief er, und schon | |
rannten sie los und stürzten sich wie ein Schwarm hungriger Piranhas auf | |
die Typen, bis die unter unserem Jubel flohen. | |
Am Abend, als wir das Gum betraten, saßen sie an der Theke. „Sie haben wohl | |
mitgekriegt, dass wir die Jungs angefeuert haben“, murmelte Raimund, denn | |
sie fixierten uns finster. Aber auch Petris schaute uns böse an, und als er | |
sagte: „Ihr könnt direkt wieder abhauen, für euch gibt’s hier kein Bier | |
mehr!“, und mir auffiel, dass er und die Typen trotz Mundschutz eine | |
frappierende Ähnlichkeit besaßen, erinnerte ich mich daran, dass er uns vor | |
der Seuche überschwänglich erzählt hatte, dass seine Brüder ihn endlich | |
besuchen wollten. | |
9 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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