# taz.de -- Die Wahrheit: Erde retten mit Europaletten | |
> Neues aus dem Gum: Um im Trend zu bleiben, kann man sich auch als | |
> Alte-Männer-Lokal hippe Dinge einfallen lassen. Bloß legal muss es sein. | |
Raimund stellte das Ding auf die Theke, und Petris, Wirt des Café Gum, | |
stöhnte. „Was ist das denn?“, seufzte er. „Na, was wohl?“, sagte Raimu… | |
„Ein Hocker natürlich! Damit deine Gäste die Füße hochlegen können!“ �… | |
Leute gehen nicht in eine Kneipe, um ihre Füße hochzulegen, sondern um Bier | |
zu trinken.“ Raimund ließ sich nicht entmutigen. „Außerdem“, fuhr er fo… | |
„kann man ihn benutzen, um auf den Sessel zu klettern.“ Der Sessel war ein | |
kolossales Trumm, das Raimund aus einer Tiefbaukabeltrommel zurechtgesägt | |
hatte. Nie saß jemand darauf, denn er war so hoch, dass man ihn ohne | |
Bergsteigerausrüstung gar nicht erklimmen konnte. | |
Die Bastelwut war am Ende des Corona-Lockdowns über ihn gekommen, als er | |
ein paar junge Menschen kennenlernte, die Fahrradanhänger aus alten Rohren | |
zusammenschweißten. Er war begeistert. „Die machen alles selber“, erzählte | |
er, „und zwar aus Schrott und Müll: T-Shirts aus alten Geschirrhandtüchern, | |
Tische aus abgefahrenen Autoreifen, Sofas aus Paletten. Upcycling ist das | |
Stichwort: Es ist öko, antikapitalistisch und rettet die Welt vorm | |
Untergang!“ | |
Auch Raimund besorgte sich alte Rohre und schweißte sich einen Anhänger | |
zusammen. „Perfekt zum Bierholen!“, strahlte er. Allerdings brach der | |
Hänger gleich auf der ersten Tour auseinander, sodass zwei Kisten Pils aufs | |
Pflaster krachten und der Goetheplatz tagelang nach Säuferbude roch. | |
Raimunds Eifer bremste das nicht. „Neue Möbel braucht das Gum!“, rief er | |
stattdessen, und fortan tauchte er fast täglich mit einem neuen Stuhl in | |
Petris’ Kneipe auf. Die Dinger waren aus alten Europaletten | |
zusammengeschraubt, denn Upcycler lieben Paletten. Blöderweise neigen | |
Paletten dazu, lange Splitter in die Hintern argloser Biertrinker zu | |
bohren. Obendrein sind sie nicht selten mit einem ausgemacht giftigen | |
Teufelszeug imprägniert, und das führte schließlich dazu, dass Igor, der | |
Gumkater, nach einem längeren Schlummer auf einem der Stühle einen | |
deutlichen Rechtsdrall hatte. | |
## Etwas anderes als Möbel | |
„Vielleicht machst du mal was anderes als Möbel“, seufzte Petris und nahm | |
den Hocker von der Theke. „Was anderes? Hm. Mal überlegen …“, sagte Raim… | |
und ging grübelnd heim. | |
Als er ein paar Tage später wieder auftauchte, hatte er einen Stapel | |
Umhängetaschen mit dem Logo des Gum dabei. „Nicht schlecht“, sagte Petris. | |
„Selbstgemacht?“ „Klar“, sagte Raimund, „aus Straßenbahnsitzbezügen… | |
kannst sie an Fans verkaufen.“ Petris nickte und hängte sie neben das | |
Flaschenregal hinter der Theke. Das hätte er vielleicht nicht getan, wenn | |
ihm klar gewesen wäre, dass die Bezüge nicht vom Straßenbahnfriedhof | |
stammten. So aber mussten erst drei kleiderschrankgroße Hünen auftauchen, | |
die im normalen Leben Fahrkartenkontrolleure waren, und sich auf die ihnen | |
eigene brummige Art erkundigen, wie er denn dazu käme, den Stoff für seine | |
Werbung heimlich aus Straßenbahnsitzen herauszuschneiden. | |
22 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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