# taz.de -- Die Wahrheit: König der Würstchen | |
> Das Glück der Liebe kann auch spät um die Ecke biegen. Aber dann sollte | |
> man es nicht allzu genau unter die Lupe nehmen – sonst … | |
Noch tags zuvor war Theo glücklich. Man sah ihn auf dem Goetheplatz, und er | |
lächelte sonnig. Man sah ihn im Botanischen Garten, und er lief fröhlich | |
summend über die Fischteichwiese. Man sah ihn auf dem Weg ins Kino, und | |
immer ging er Hand in Hand mit Nora, die er vor Kurzem auf einer riesigen | |
Party in der Südstadt kennengelernt hatte. | |
„Seit hundert Jahren sucht er die Frau fürs Leben, und jetzt, kurz bevor es | |
auf die Zielgerade geht, findet er sie“, sagte Raimund: „Das Schicksal ist | |
ein Komiker.“ | |
„Komisch, aber gerecht“, sagte Luis, „er hat es verdient.“ | |
Nur Rudi, der Blödmann, meinte: „Was ist denn daran gerecht? Ich suche viel | |
länger nach meiner Dulcinea!“ Er war und blieb halt ein Blödmann. | |
Plötzlich aber war es vorbei mit Lächeln und fröhlichem Summen. Stattdessen | |
saß Theo finster an der Theke des Café Gum und schüttete viel zu schnell | |
viel zu viel Bier in sich hinein. | |
„Was ist denn los, old boy?“, fragte Raimund. „Phh“, machte Theo | |
verächtlich: „Ich hab endlich kapiert, warum sie so ungern über ihre | |
Vergangenheit spricht.“ – „Und? Hat sie als Auftragskillerin für die | |
ostfriesische Mafia gearbeitet?“ – „Blödsinn! Aber ich weiß jetzt, wer … | |
bisherigen Lover waren: Es ist ein Panoptikum der Spinner und Heinis. Und | |
ich frage mich: Welche Reihe setze ich da fort? Bin ich der König der | |
Würstchen, oder was?“ | |
„Aber es kann dir doch wurscht sein, wenn …“ – „Wurscht?! Soll ich dir | |
meine Vorgänger mal vorstellen? Sie war mit Meinolf-the-Männergruppe | |
zusammen, mit Axel, dem letzten bekennenden DKPisten, und mit Bauwagen-Joe, | |
der seit Jahrzehnten die Pläne für eine herrschaftsfreie Bauwagensiedlung | |
ausarbeitet, aber noch immer bei seinen Eltern wohnt. Das soll mir wurscht | |
sein? Dass sie auf meschuggene Kasper steht?!“ – „Na ja, du … woher wei… | |
du das überhaupt?“ | |
In diesem Moment betrat Rudi, der Blödmann, das Gum. „Theo!“, sagte er | |
aufgekratzt: „Ich hab gerade erfahren, dass sie sogar mal in den krassen | |
Kalle verknallt war. Wahnsinn, oder?!“ | |
Der krasse Kalle war in der ganzen Stadt gefürchtet, da er unablässig | |
Adorno zitierte und sich mit Vorliebe auf die arglosen Gäste kleiner, | |
alternativer Cafés stürzte und ihnen erklärte, dass sie endlich aufhören | |
müssten, ihr Gewissen mit fair gehandeltem Kuschelkaffee zu beruhigen, da | |
es nämlich kein richtiges Leben im falschen gäbe. „Nur Kaffee, an dem das | |
Blut der Plantagenarbeiter klebt“, schrie er, „facht das Feuer der | |
Revolution an!“ | |
Das reichte. Am selben Abend noch machte Theo per SMS mit Nora Schluss, und | |
es wunderte niemand, dass sie zwei Tage später Hand in Hand mit Rudi über | |
den Goetheplatz ging. Uns nicht, denn Rudi war zwar ein Blödmann, aber | |
leider ein ziemlich schlauer Blödmann. Und Theo auch nicht, denn Rudi | |
setzte eisern die Reihe von Meinolf-the-Männergruppe, DKP-Axel, | |
Bauwagen-Joe und dem krassen Adorno-Kalle fort. | |
1 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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