# taz.de -- Rachel Maclean-Ausstellung in Kiel: Heldin, Antiheldin, Opfer | |
> Die schottische Künstlerin Rachel Maclean erschafft in Kiel einen | |
> surrealen Kosmos aus vermenschlichten Tieren, dem Brexit und sich selbst. | |
Bild: Stark verfremdete Selbstporträts der Künstlerin: Arbeit der schottische… | |
Kiel taz | Sagen wir mal: Brexit. Oder: Nigel Farage. Lassen wir den | |
feuerroten Bus von Boris Johnson durch unsere Erinnerungswelt fahren, den | |
Bus mit dem Aufdruck, dass Großbritannien der Europäischen Union Woche für | |
Woche 350 Millionen Pfund überweisen würde: [1][eine glatte Lüge], wie | |
schnell bekannt wurde, was den Erfolg des Abspaltungsreferendum mitnichten | |
minderte. | |
Dazu all die Sondersendungen, die eine sich auflösende und zugleich | |
polarisierende Gesellschaft zeigten, mit aufeinander einschreienden, | |
oftmals in den Nationalfarben verkleideten Menschen im Londoner | |
Parlamentsviertel. Oder wie der konservative Abgeordnete und | |
Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg sich flegelhaft auf einer der ledernen | |
Parlamentsbänke zum Schlafen legte – und schlagartig ist es wieder da: das | |
erst ungläubige Erstaunen, dass sich mitten in Europa die Unvernunft reckte | |
und streckte, um sich bald darauf in blankem Wahnsinn zu äußern. Kein | |
Mittel schien und scheint dagegen zu wirken. | |
Das alles und mehr ergreift einen mit verblüffender Wucht, betritt man die | |
dreiteilige Halle im Erdgeschoss der Kieler Kunsthalle, die in den | |
kommenden Monaten Rachel Maclean bespielt; eine schottische Künstlerin, das | |
ist nicht unwichtig. Zuallererst drapiert sie die Wände mit einem in | |
Streifen zerschnittenen Union Jack, ein Antimuster aus Blau und Rot. | |
Man weiß sofort, wo man ist, um was es geht, doch gleich führt die Schau | |
tiefer in die Feinheiten. Denn ihre einführende Arbeit „Native Animals“ | |
geleitet uns anhand von knapp zwei Dutzend Gemälden, bevölkert mit Tier-, | |
Märchen- und Fabelwesen aus Klassikern wie „Der Wind in den Weiden“ und | |
„Peter Rabbit“, hinter die Kulissen der britischen Klassengesellschaft. Und | |
die hat es ja immer schon verstanden, die in ihr liegende Brutalität als | |
harmlose Exzentrik zu tarnen. Man hat das allenfalls belächelnd zur | |
Kenntnis genommen – und nun ist es bis auf Weiteres zu spät. | |
## Digitale Welten | |
Aber von vorn. Die 1987 in Edinburgh geborene und im Zeitalter von MTV | |
aufgewachsene Rachel Maclean studiert zunächst Malerei, entdeckt aber | |
schnell das Green-Screen-Verfahren, das es einem ermöglicht, im kleinen, | |
handlichen Studio mittels digitaler Kniffe und Tricks vor einer grünen Wand | |
ganze Welten zu erschaffen. Maclean rückt sich hier selbst in den | |
Mittelpunkt und lernt diese neuen Möglichkeiten für so opulente wie präzise | |
Bilder- und Filminstallationen zu nutzen – ohne darüber allerdings ihre | |
malerische Grundausbildung zu vergessen. | |
Immer bleibt sie selbst als Person im Zentrum des Geschehens, ist Heldin | |
und Antiheldin, ist selbstbewusste Akteurin, wird zuweilen auch Opfer. So | |
schlüpft sie in die verschiedenen Rollen: mal tritt sie verkleidet auf und | |
technisch verfremdet, dann wieder voll als Person erkennbar. Auch die | |
Kostüme schneidert Maclean selbst, sie entwirft die Kulissen und bestimmt | |
das Setting, in das sie sich begibt. Lediglich eine Maskenbildnerin steht | |
ihr zuweilen unterstützend zur Seite. | |
Wie kunstfertig das alles gelingt, wie vielschichtig sich das Geschehen | |
aufbaut, zeigt sich im zweiten Teil von „Native Animals“, der ein auch | |
körperlich erfahrbares Kunsterlebnis bietet. Aus acht Bilder-Bildschirmen | |
schaut uns die Künstlerin erneut in Gestalt der bereits eingeführten | |
Tiermenschen oder Menschentiere an, etwa als der Fuchs, die Maus und die | |
Katze, als Dachs oder Kröterich, die uns zugleich zu taxieren scheinen. | |
Noch ist es still, aber bald ist von hier und da aus den sich bewegenden | |
Porträts heraus ein leises, unterdrücktes Kichern zu hören. Es wird zu | |
einem Glucksen, das sich nicht mehr zurückhalten lässt, das zuweilen ins | |
Lachen umschlägt, laut und immer lauter wird. | |
Doch wer lacht hier eigentlich? Wer wird ausgelacht? Oder lacht jemand | |
einfach nur mit, um nicht stumm aufzufallen? Dieses unbestimmte Gelächter | |
wächst weiter an, schlägt in einen wahren Lachsturm um, der nicht mehr | |
einzudämmen ist, der überschnappt, bis ein gebrülltes „Stop!“ ertönt, d… | |
ein wütenderes „Stop it!“ folgt. Gerufen wird das von einem in die | |
Nationalfarben gehüllten Schwein, das klingt, als fühle es sich ertappt. | |
Und dann ist erst mal Ruhe – wenn auch nicht lange. | |
Im oberen Bereich, auf der Galerie, warten diverse Filminstallationen auf | |
die BesucherInnen. Etwa: „Dr. Cute“, ein animierter Vortrag über das | |
Niedliche, das immer auch eine grauenerregende Seite hat. „Germs“ ist ein | |
gnadenloser Spot über die Angst vor Viren und Bakterien, adressiert an die | |
Frauen als vermeintlich zentraler Zielgruppe für Kosmetika und Putzmittel | |
aller Art. Oder „Feed me“, ein einstündiger Ausflug in die | |
glitzernd-klebrige und bald übersexualisierte Sphäre eines | |
Spielzeugherstellers namens Smile.inc, dem das Lachen noch vergehen wird. | |
Man kann das Rad ruhig eine Runde mehr drehen, denn so turbulent und bissig | |
besonders Macleans rasant ineinander verflochtenen Bilderzählungen auch | |
daherkommen, es gibt immer auch eine zweite Ebene, an der sich die | |
Künstlerin mit der ihr eigenen Konsequenz abarbeitet. Sie fragt, woraus | |
unsere sichtbare Welt besteht, wenn mit der Digitalisierung eine | |
Bearbeitbarkeit jeglichen bildliches Materials in jede nur mögliche | |
Richtung nicht nur per se möglich ist, sondern immer mehr zu Grund und | |
Boden unserer Darstellungswelt wird. Wenn sich Realfilm, Realbild und | |
Animation in naher Zukunft nicht länger voneinander unterscheiden lassen. | |
Und so enthalten Rachel Macleans Werke immer auch Verweise auf ihren | |
eigenen medialen Charakter, so wie auch in den vordergründig klassisch | |
gemalten Landidyllen die Fabelwesen ganz selbstverständlich Smartphones in | |
den Händen oder Klauen halten und in den Idyllen der leicht dahin | |
getuschten Countryside die Masten mit den Überwachungskameras herausragen. | |
Das sind Bilder, die überzeugend wie gemalt wirken, jedoch allesamt am | |
Computer generiert wurden. | |
2 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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