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# taz.de -- Ed Atkins im Berliner Gropiusbau: Dünndarm der Unterhaltungsindust…
> Die CGI-Installation „Old Food“ ist ein Aufruf zur Realitätsprüfung. Auf
> monumentalen Videowänden zeigt der Künstler lebensnahe Bilder.
Bild: Zuweilen unheimlich und unangenehm: Ed Atkins' Ausstellung „Old Food“…
In seiner aktuelle Ausstellung „Old Food“ („Altes Essen“) im Berliner
Martin-Gropius-Bau zeigt Ed Atkins auf monumentalen Videowänden lebensnahe,
computergenerierte Bilder. Die Räume sind mit Garderoben aus dem Archiv der
Deutschen Oper gefüllt. Und so schaut man zwischen den Kostümen von
Macbeth, Parsifal oder Aida auf die Monitore. Ein elektrischer Summton
durchwebt die Räume. Drei Protagonisten führen eine Art Nichthandlung in
unterschiedlichen Alltagsumgebungen durch, wie einer Blockhütte, einem
weißen Zimmer und einem Waldweg – Atkins’ Signatur ist der CGI-Raum, den
wir alle kennen, aber nicht verorten können.
Seit den 1990er Jahren ist Computer Generated Imaginery verfügbar und wurde
mit zunehmender Verbreitung auch für Heim-Computer angeboten. Daraus
entwickelte sich eine Subkultur von einzelnen Künstlern und kleineren
Firmen, die Filme, Spiele und Kunst im eigenen Schlafzimmer produzieren.
Die Entwicklung von CGI hat zur Entstehung einer virtuellen Kinematografie
geführt, deren visuelle Narration die Gesetze der Physik nicht
einschränken. „Old Food“ konfrontiert freilich die alten
Unterhaltungsformen des Theaters, der Oper und des Museums mit den neuen
Bildschirmwänden.
Zentrale Partitur in „Old Food“ ist ein einzelnes Klavierstück des
Komponisten Jürg Frey, das in jeder CGI-Umgebung auf einem Klavier gespielt
wird – von den drei Charakteren, die die Handlung bestreiten: ein
übergroßes, blauäugiges Baby, ein leicht verweichlichter, unbeholfener
Teenager und ein alter Mann mit abgenutzter, schwarzer Lederkapuze, alle
tragen sie mittelalterliche Kleidung. Jeder Charakter tritt in den vier
Räumen auf, flennt, schreit und spielt zeitweise das Stück. Es dauert 24
Noten lang und wird ungefähr dreimal gleichzeitig gespielt, wobei es die
Protagonisten in sämtlichen Räumen in einem Intervall von vielleicht
fünfzehn Minuten wiederholen.
Was zunächst wie die harmonische Komposition eines westlichen Klavierstücks
wirkt, klingt bald unheimlich und unangenehm – wie eine Uhr, die immer und
immer wieder zwölf schlägt. Die Wiederholungen, die langen, lustlosen
Pausen und die emotional aufgeladene Sprache sind Schlüsselmomente in
Atkins’ Poetik. Sie richtet sich gleichermaßen an das Publikum und seine
Protagonisten, wobei sie über beide und mit beiden spricht.
Daher wird man, sobald man seine Ausstellung betritt, mit einem Wandtext
konfrontiert. Per Laser in Holz gefräst ist da zu lesen: „Ihr Körper ist
wichtig für die Museen. Wenn Sie kein Ticket bekommen haben, werden
stattdessen fortgeschrittene, unsichtbare Methoden wie ein
Laser-Stolperdraht oder Kameras mit automatisierter Software verwendet, um
ihren Eintritt zu kontrollieren. Das klingt nach einem Scherz, aber das ist
es nicht.“ Weiter wird gesagt, die Ausstellung sei bloß ein Köder und man
selbst nur eine Nummer im Dünndarm der Unterhaltungsindustrie.
Zwei Schritte weiter wird man dann tatsächlich um sein Ticket gebeten. Über
die gesamte Ausstellung hinweg finden sich diese Wandtexte, die
herkömmlichen Museumstafeln gleichen und Fragen behandeln, wie der
menschliche Körper auf Leichenfett beziehungsweise Wachs reduziert werden
kann, oder wie viel Druck es braucht, um den Kot in öffentlichen Toiletten
wegzuspülen.
## CGI ist nicht progressiv
Im letzten Wandtext spricht Atkins dieser Form der Belehrung endgültig jede
Autorität ab, indem er die Wandtexte mit seinem Penis vergleicht. Er klagt,
dass über dieses Organ nie gesprochen würde, sondern immer nur darum herum,
und behauptet, Museumstexte thematisierten immer die Vorhaut, die Hoden und
die Harnröhre, aber niemals den „Schwanz“, die Erektion.
Wäre Atkins in seiner Erzählung nicht so polemisch und klänge sein Pathos
nicht so hohl, wäre diese Anrufung des Penis durch einen weißen, männlichen
Künstler problematisch. Besonders in Anbetracht der unbestreitbaren
Unterrepräsentation von Frauen in der Kunstgeschichte, von Transmenschen
und überhaupt des nichtweißen Phallus in den westlichen Museen.
Es scheint als würde Atkins’ Arbeit laut schreien: Seht her, da haben wir
das ganze High-Tech-Wunderland, das wir, die weißen Männer, immer wollten,
die Unterhaltung, die Kultur, die Besetzung des Raums, und immer noch sind
wir nicht zufrieden! Erfolgreich schafft es Atkins, seine eigene materielle
Praxis der Lächerlichkeit preiszugeben, seine eigene Männlichkeit und
seinen eigenen Ruhm und sein eigenes CGI-Animation-Toolkit und die
Geschichte des Museums – schwarzer Humor oder ein offener Aufruf zur
Realitätsprüfung?
Atkins siedelt „Old Food“ in einem fantastischen Mittelalter an, komplett
mit Kostümen; aber sobald die BetrachterInnen den letzten Raum erreicht
haben, also im letzten Akt angekommen sind, müssen sie sich umdrehen und
die gesamte Show zurück-, also noch einmal durchlaufen, bevor sie
hinausgehen können – ein letztes Bonmot von Atkins: Der berüchtigte
Uroboros, die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ist gar keine
Schleife, sondern lediglich ein Hin und Her, ein Sisyphusdilemma, das er
jetzt in Pixel getarnt hat.
Atkins scheint durch seine Arbeit den unglücklichen Umstand bemerkt zu
haben, dass CGI nicht progressiv ist und uns nicht näher an eine andere
Realität herangeführt hat. Tatsächlich bemerkt er in „Old Food“: „CGI …
unser jüngstes Kunstspielzeug geworden.“ Selbst in der Kunst, dem Bereich,
in dem wir unsere Freiheit verorten, sagt „Old Food“, haben wir noch viel
zu tun, bevor wir die Utopie sehen können.
24 Nov 2017
## AUTOREN
Penny Rafferty
## TAGS
Martin-Gropius-Bau
Kiel
Martin-Gropius-Bau
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