| # taz.de -- David LaChapelles Fotos in Hannover: Vergänglichkeit und Sakrokits… | |
| > Treffen christliche Bildwelten und Pop aufeinander, kommt meistens das | |
| > eine oder das andere schlecht weg dabei. Anders ist das bei David | |
| > LaChapelle: Seine Fotos feiern das Religiöse mit den Mitteln des Pop - | |
| > und werden dabei noch nicht mal peinlich. | |
| Bild: Jesus ins rechte Licht gerückt: David LaChapelles Arbeit "Intervention" … | |
| HANNOVER taz | Mit dem Heiligenschein stimmt was nicht. Auf keinem dieser | |
| Fotos des US-Amerikaners David LaChapelle, die derzeit in der | |
| Kestnergesellschaft in Hannover hängen: Immer kommt das Licht des | |
| Heiligenscheins von einer Lichtquelle, die sich deutlich hinter dem Kopf | |
| von Jesus befindet. | |
| Als würde er von hinten angestrahlt, anstatt selbst zu strahlen. Hat Jesus | |
| einen Hintermann? Und wer könnte das sein? Gott natürlich. Gottvater ist | |
| Jesu Hintermann und verantwortlich dafür, seinen Sohn in das rechte Licht | |
| zu rücken. Vermutlich hat das vor LaChapelle nie jemand in dieser | |
| Zuspitzung erkannt. Geschweige denn in einem Bild festgehalten. | |
| Das mit dem rechten Licht, in das wichtige Menschen zu rücken sind, hat | |
| David LaChapelle im Pop gelernt. LaChapelle, 48, hat Stars wie Madonna, | |
| Michael Jackson, Christina Aguilera, Paris Hilton und Courtney Love | |
| porträtiert. Seine Fotos erschienen in Zeitschriften wie der Vogue, Vanity | |
| Fair oder dem Rolling Stone. | |
| David LaChapelle ist Mode- und Magazinfotograf, er hat Dokumentarfilme über | |
| Pop-Phänomene gedreht. Zumindest war er das in seinem früheren Leben - ehe | |
| er zu Jesus fand. | |
| Die Serie "Jesus is My Homeboy" stammt aus dem Jahr 2003 und besteht aus | |
| biblischen Szenen, die LaChapelle im Stil der italienischen Kunst der | |
| Renaissance und des Barock nachgestellt hat. Er hat Menschen von der Straße | |
| engagiert und zeitgemäße Settings gewählt. Nur Jesus ist auf allen Bildern | |
| mit jenen Attributen dargestellt, mit denen er seit Jahrhunderten in der | |
| christlichen Ikonographie kenntlich gemacht wird. | |
| Gezeigt werden in Hannover LaChapelles Variante des letzten Abendmahls, mit | |
| Hamburgern und sehr farbigen Softdrinks auf einer Plastiktischdecke. Die | |
| wundersame Brotvermehrung findet vor einem neonbeleuchteten Imbiss statt, | |
| und für die "Fußwaschung durch die Sünderin" hat LaChapelle eine abgeranzte | |
| Wohnung gewählt, in der eine leicht bekleidete Blondine Jesu Füße liebkost. | |
| LaChapelles Fotos messen alle rund 1,8 mal 2,8 Meter, die Farben leuchten | |
| und es geht um eine unmittelbare Wirkung - nicht mehr und nicht weniger. | |
| Etwas über den zuckrig inszenierten Sakrokitsch hinaus geht allerdings das | |
| Foto "Intervention", Eingreifen: LaChapelle zeigt einen Jesus, der sich | |
| zwischen eine Prostituierte und zwei Polizisten stellt, die offenbar kurz | |
| davor sind, eine demütigende Leibesvisitation vorzunehmen. | |
| Das kann verstanden werden als Reminiszenz an die biblische Szene mit der | |
| Steinigung der Ehebrecherin. Sie verweist aber auch auf Gewaltmissbrauch | |
| durch die Polizei, in den USA ein sehr viel größeres Thema als hierzulande. | |
| Europäische Wurzeln wiederum hat das Motiv, das LaChapelle für den zweiten | |
| Teil der hannöverschen Ausstellung ausgeschlachtet hat: Blumen, dargebracht | |
| in der Form des Stilllebens. Anfang des 17. Jahrhunderts war es beliebt, | |
| lebensbejahende Objekte wie Früchte oder Blumen mit den Zeichen des | |
| Verfalls zu versehen: Da fangen die Blätter schon an zu welken und die Vase | |
| steht auf einer Marmorplatte, die bereits brüchig geworden ist. "Vanitas" | |
| ist das Stichwort: Der Mensch soll bedenken, dass alles Irdische | |
| vergänglich ist - auch er selbst. | |
| LaChapelle übernimmt die Lust an der Blütenpracht und kombiniert sie mit | |
| dem Müll der heutigen Konsum- und Wegwerfgesellschaft: Da liegen Handys | |
| unter den Vasen, Plastikflaschen, Zeitungen, Picknickteller, | |
| Zigarettenpapier. Noch expliziter an die Vergänglichkeit des Menschen | |
| erinnern Medikamentenschachteln und Schläuche wie aus dem Operationssaal. | |
| Die Bilder tragen Titel wie "Schlaffe Leidenschaft" oder "Früher Herbst". | |
| Eines heißt "Amerika" und zeigt zum Blumenstrauß eine brennende US-Fahne. | |
| Wie die Jesus-Fotos sind auch die modernen Stillleben Bilder großen | |
| Ausmaßes: Fast zwei Meter hoch und teils mehr als anderthalb Meter breit. | |
| Wieder will LaChapelle, dass seine Bilder die Blicke an sich ziehen, dass | |
| sie als opulent und schön wahrgenommen werden. Die Blumen und die Farben | |
| überstrahlen die Subversion, die im - ebenso farbenfrohen - Müll liegt. | |
| Entsprechend wenig ironisch ist der Titel zu interpretieren, den LaChapelle | |
| für diese Serie gewählt hat: "Earth Laughs in Flowers" - die Erde lacht in | |
| Blumen. | |
| Die Ausstellungsmacher flankieren die beiden Serien in einem Nebengang mit | |
| Beispielen jener Bildwelten, aus denen sich LaChapelle bedient hat. Erstens | |
| hängt da ein Ölgemälde namens "Blumenstrauß in einer Glasvase" von P. W. | |
| Windtraken aus dem 17. Jahrhundert. Zweitens gibt es einen "Christuskopf" | |
| von Erich Brunkal aus dem Jahr 1904. | |
| Dadurch wird LaChapelles Eklektizismus transparent - und das ist durchaus | |
| hilfreich. Auch ermöglichen die Verweise einen Erkenntnisgewinn zumindest | |
| auf einer lehrmeisterlichen Ebene. Die Fotos selbst sagen nämlich nicht | |
| viel. Außer, dass alte Motive neu arrangiert immer noch Kraft haben können, | |
| wenn die handwerkliche Umsetzung und die Art der Präsentation professionell | |
| sind. | |
| 22 Apr 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
| Klaus Irler | |
| ## TAGS | |
| Kiel | |
| Kunst | |
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