| # taz.de -- Deutsche Debatte um George Floyds Tod: Schwierige Analogien | |
| > Auch in Deutschland wird anhand US-amerikanischer Beispiele rassistische | |
| > Polizeigewalt diskutiert. Die Ausgangslage ist dabei sehr verschieden. | |
| Bild: Protest gegen Polizeigewalt in Minneapolis nach dem Tod George Floyds | |
| Die [1][brutale Ermordung eines schwarzen Mannes, George Floyd], durch | |
| zwei Polizisten in den USA hat viele Menschen veranlasst, Parallelen zu | |
| Deutschland zu ziehen. Die Namen von Brechmitteltoten wie [2][Laya Condé] | |
| aus Bremen und [3][Achidi John] in Hamburg wurden genannt. Erinnert wird | |
| auch an den 2019 gestorbenen Hamburger Psychiatriepatienten [4][William | |
| Tonou-Mbobda] aus Kamerun, an den 2018 in der JVA Kleve gestorbenen | |
| [5][Ahmet A.] aus Syrien, an den 2006 in Dortmund von der Polizei | |
| erschossenen Dominique Koumadio aus Kongo und weitere. | |
| Dabei sahen viele vor allem das Gleiche in all diesen Fällen. Doch wer sagt | |
| „Ihr braucht nicht mit dem Finger auf die USA zu zeigen, denkt nur an | |
| [6][Oury Jalloh]“, entlastet den US-amerikanischen Staat und die | |
| Gesellschaft von ihrer spezifischen Verantwortung für den Tod Floyds. Denn | |
| so erscheint rassistische Polizeigewalt als Universalismus, die in | |
| mehrheitlich weißen Gesellschaften überall gleich ist. | |
| Das ist sie aber nicht. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, die | |
| historische Genese des gesellschaftlichen Rassismus, die Stellung von | |
| AfroamerikanerInnen in den USA und der im Vergleich zu diesen viel | |
| heterogeneren nichtweißen Bevölkerung hier. Das festzustellen ist keine | |
| Hierarchisierung – böse USA, nicht ganz so böses Deutschland –, sondern | |
| Voraussetzung, um gegen rassistische Polizeigewalt in ihrer jeweils | |
| konkreten Gestalt vorgehen zu können. | |
| Kern rassistischer Ausgrenzung hier ist die Ansicht, Nichtweiße seien keine | |
| Deutschen, sie gehörten nicht hierher und sollen wieder dahin, wo sie | |
| hergekommen sind. Pass und Geburtsort sind dabei egal. Das ist heute die | |
| zentrale ideelle Grundlage – und vermeintliche Legitimation – für Angriffe | |
| auf Nichtweiße in diesem Land. In den USA funktioniert die Abwertung von | |
| schwarzen Menschen, die in der Polizeigewalt immer wieder ihre mörderische | |
| Konsequenz findet, anders. Dass sie AmerikanerInnen sind, wird in der | |
| Regel nicht infrage gestellt. Sie gelten zwar als BürgerInnen, aber eben | |
| als solche zweiter Klasse. | |
| ## Ähnliche Konsequenzen | |
| Die historischen Grundlagen für diesen Unterschied liegen noch nicht lang | |
| zurück: Als in den USA in den 1950er und 1960er Jahren die von der | |
| Sklavenhaltung übrig gebliebene, gesetzlich festgeschriebene | |
| Diskriminierung von schwarzen Menschen im Südosten des Landes bekämpft | |
| wurde, setzte in Deutschland die große, die heutige Migrationsgesellschaft | |
| prägende Zuwanderung gerade erst ein. Damit hängt zusammen, dass die | |
| Bewegung gegen die Diskriminierung schwarzer AmerikanerInnen sich bis heute | |
| vor allem als Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights) versteht, während | |
| rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung hier im Kontext von | |
| Migration verhandelt werden. | |
| Die praktischen Konsequenzen im Alltag sind in beiden Gesellschaften | |
| ähnlich: Nichtweiße werden öfter kontrolliert, öfter dabei misshandelt, | |
| können sich schlechter dagegen wehren und werden härter bestraft. | |
| Rassistische Polizeigewalt wird beschämend selten aufgeklärt und geahndet, | |
| hier wie dort. Es gibt dabei statistische Unterschiede. Hierarchisieren | |
| lassen diese sich aber nicht: Denn das Risiko für Nichtweiße, Opfer zu | |
| werden, ist zwar nicht überall gleich hoch, aber überall real. | |
| Trotzdem ist festzustellen, dass Art und Ausmaß der Polizeigewalt in den | |
| USA mit der obsessiven Fixierung auf einen autoritären, strafenden Staat | |
| dort zu tun haben. Die wiederum ist Folge des US-amerikanischen | |
| Sozialstaatsabbaus seit den 1970er Jahren. Dieser Abbau brachte eine | |
| einflussreiche, blühende private Knastindustrie hervor mit einem Weltrekord | |
| von 655 Gefangenen je 100.000 EinwohnerInnen (Deutschland: 77) – wobei | |
| schwarze Beschuldigte dort etwa fünfmal öfter in Haft kommen als Weiße. | |
| Daraus ergeben sich teils gleiche, teils unterschiedliche Ansatzpunkte für | |
| politische Kämpfe gegen Polizeigewalt. Gleich ist die Notwendigkeit, | |
| Corpsgeist zu durchbrechen und Haftbarkeit herzustellen, etwa durch die | |
| Einrichtung unabhängiger Instanzen, die Polizeigewalt wirksam ahnden | |
| können. In den USA ist eine wichtige Herausforderung die Zurückdrängung der | |
| Gefängnisindustrie mit ihrem Zero-Tolerance-Lobbyismus. In Deutschland aber | |
| kommt es vor allem darauf an, die Infragestellung der Zugehörigkeit | |
| Nichtweißer zur Gesellschaft zu beenden. Denn nur wenn die Zugehörigkeit | |
| allgemein akzeptiert ist, werden sich Rassismus im Alltag und durch | |
| staatliches Handeln eindämmen lassen. | |
| 28 May 2020 | |
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| [1] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5688834 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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