# taz.de -- Geschichte am BER: Diese Frau am Flughafen | |
> Nach Marga von Etzdorf ist am BER eine Straße benannt. Mit der | |
> Flughafenarchitektur teilt die 1907 geborenen Pilotin Verbindungen in den | |
> Faschismus. | |
Bild: Eine der ersten deutschen Pilotinnen: Marga von Etzdorf, um 1930 | |
BERLIN taz | Das Gefühl von Abheben mögen die Planenden der Zubringerstraße | |
im Sinn gehabt haben. Leicht steigt sie an und gibt – kurz bevor sie einen | |
großen Bogen nach rechts macht – einen erhebenden Blick frei. Auf die | |
gewaltige Flughafenhalle, auf den weit tiefer liegenden Willy-Brandt-Platz. | |
Mit neun langen Jahren Verspätung soll der BER im kommenden Oktober | |
tatsächlich eröffnen. Jetzt ermöglicht die Menschenleere noch eine genaue | |
Betrachtung gestalterischer Details am Schönefelder Hauptstadtflughafen. | |
Die Kolonnaden des preußischen Hofbaumeisters Karl Friedrich Schinkel | |
wollen den Architekt*innen als Referenz für die sogenannte Airport-City um | |
den Vorplatz herum gedient haben. Den Hotels und Bürogebäuden sollen sie | |
einen „ortsspezifischen Duktus“ verleihen. Ein ähnliches Ziel verfolgen | |
wohl auch die Namen Berliner und nationaler Größen der Luftfahrt, die sich | |
auf den Straßenschildern der Airport-City finden. Der Flugzeugingenieur | |
Hugo Junkers ist hier verewigt, auch die Pionierfliegerinnen Melli Beese | |
und Elly Beinhorn. | |
Gerade in Berlin ist das Bewusstsein für die politische Bedeutung von | |
Straßennamen in den letzten Jahren gewachsen. Woran knüpfen diese Namen | |
also wirklich an? Und woran die neoklassizistischen Reminiszenzen in der | |
Architektur? | |
„Sie knüpfen weniger an Schinkel als an die italienische rationalistische | |
Architektur an“, sagte der Berliner Philosoph Klaus Heinrich 2015 in einem | |
Interview. Schon in den siebziger Jahren versuchte er in seinen berühmten | |
Dahlemer Vorlesungen das kollektiv Verdrängte in der menschlichen | |
„Gattungsgeschichte“ – auch in der Architektur – zu Bewusstsein zu brin… | |
Der italienische Rationalismus, dessen Einfluss Heinrich nicht explixit am | |
BER, aber in der „Neuen Berlinischen Architektur“ ausmacht, ist die | |
Architektur des Mussolini-Faschismus. Auch wenn der Aufklärer Schinkel | |
gemeint war, sei der Faschist Speer in dieser Architektur präsent. Eine | |
solche Baukunst will Heinrich zufolge die „Wiederkehr einer fantasierten | |
Intaktheit, die es so wirklich nie gegeben hat“, will die Mehrdeutigkeit, | |
die Komplexität der Geschichte ausblenden. | |
Auch was die Straßennamen der noch unbelebten und doch schon in die Jahre | |
gekommenen Flughafenstadt betrifft, kann ein solcher Eindruck entstehen. | |
Ein nahezu intaktes Bild der deutschen Luftfahrtgeschichte wird hier | |
gezeichnet. Geradezu aufgeklärt wirkt die Geschlechterparität unter den mit | |
Straßen Geehrten. Für Mehrdeutigkeit aber ist kaum Platz auf den dünnen | |
Schildern. | |
Hugo Junkers etwa gründete nicht nur die Junkers Luftverkehr AG, die 1926 | |
mit dem Deutschen Aero Lloyd zur weltberühmten Luft Hansa fusionierte, | |
sondern kann als lupenreiner Demokrat gelten. Auch die Pilotinnen Melli | |
Beese und Elly Beinhorn sind zunächst der Kollaboration unverdächtig. Die | |
Johannisthaler Pionierin Beese starb bereits 1925, die „Weltfliegerin“ | |
Beinhorn gilt weithin als „unpolitisch“ und nicht durch eine | |
NSDAP-Mitgliedschaft kompromittiert. | |
Etwas verdrängt von der „Plaza“ mit dem unzweifelhaften Namen Willy Brandt, | |
zwischen einem Hotel und einem Flughafenparkhaus findet sich am BER der | |
Name einer Frau, die ebenfalls als unpolitische, als leidenschaftliche und | |
tragische Heldin der deutschen Fliegerei gilt. „1. Alleinflug einer Frau, | |
Berlin–Tokyo“ begründet das Straßenschild die Entscheidung für Margarethe | |
„Marga“ von Etzdorf. Zu ihrer Zeit war sie „das Fräulein“, das in der … | |
Luftkapriolen schlug. Doch intakt, eindeutig ist auch von Etzdorfs | |
Geschichte nicht. | |
Die 1907 in Spandau geborene, aus preußischem Adel stammende Etzdorf fliegt | |
mit 19 Jahren zum ersten Mal. Ein Bekannter hat einen Rundflug gewonnen und | |
schenkt ihn der jungen Frau. Marga ist fasziniert von dem Erlebnis und | |
bittet ihre Großeltern, bei denen sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern | |
aufwächst, um die Erlaubnis, einen Flugschein zu machen. Nach vier Monaten | |
in einer Flugschule in Staaken besteht sie 1927 die Prüfung. | |
Schon wenig später wird Marga von Etzdorf als erste Frau Kopilotin bei der | |
Deutschen Luft Hansa. Es folgen erste Langstreckenflüge mit ihrer eigenen | |
Junkers-Maschine, die sie knallgelb spritzen lässt und der sie den Namen | |
„Kiek in die Welt“ gibt. 1930 fliegt Etzdorf allein nach Istanbul, im | |
Herbst desselben Jahres auf die Kanaren. Dann schließlich, 1931, bricht sie | |
zu dem Flug in die japanische Hauptstadt auf, mit dem sie ihre britische | |
Konkurrentin Amy Johnson übertrumpfen wird. | |
„Ja, die Frau fiel aus dem Rahmen“, lässt Uwe Timm in seinem Etzdorf-Roman | |
„Halbschatten“ einen Protagonisten schwärmen. „Ganz selbstständig. Konn… | |
Zündkerzen auswechseln oder Kolben ausbauen. Reinigte Benzinleitungen. Und | |
vor allem – sie konnte fliegen.“ | |
„Halbschatten“, eine vielstimmig komponierte Biografie, belässt es aber | |
nicht beim intakten Bild der Etzdorf. Auch die Bruchlandungen, auch die | |
Stimmen der Nazis, die mit der jungen preußischen Fliegerin viel anfangen | |
konnten, kommen hier zu Wort. „Sie flog für Deutschland“, lässt Timm den | |
SA-Sturmführer Eberhard Maikowski sagen. „Schandvertrag von Versailles. Den | |
Unsrigen in Übersee Mut machen. Marga v. Etzdorf fliegt für Deutschland. | |
Graf Luckner segelt für Deutschland, Kapitän Kircheiss dito. Deutschland | |
am Boden. Kriegsschuld. Et cetera pp.“ | |
Auch die nationalistische Mythologie um von Etzdorfs frühen Suizid wird in | |
„Halbschatten“ mit der historischen Wirklichkeit konfrontiert. Die Nazis | |
wollten im Juli 1933 eine Heldin begraben, eine 25-Jährige, die für | |
Deutschland den ehrenhaften Freitod gewählt hatte. SS und SA halten | |
Ehrenwache an ihrem Sarg. Die Waffe aber, mit der sich Marga von Etzdorf | |
nach einer Bruchlandung in Syrien tötete, hätte sie niemals mit sich führen | |
dürfen. Sie verstieß damit gegen ein Verbot, das der Versailler Vertrag | |
Deutschen im Ausland auferlegte. | |
Ernst Heymann, Leiter der Rüstungsfirma Haenel und deren Kontaktmann zur | |
SS, hatte der Weltenbummlerin die Waffe und Waffenkataloge mit auf ihren | |
Langstreckenflug nach Australien gegeben. Illegale Waffengeschäfte sollte | |
sie anleiern und daran mitverdienen können. Von Etzdorf brauchte Geld für | |
ein neues Flugzeug, für Kerosin, Ersatzteile und Überflugpapiere. Ob die | |
Pionierin sich schließlich aus Scham oder aus Furcht, mit der Waffe | |
entdeckt zu werden, tötete, bleibt ungeklärt. | |
Nach Aufklärung im Sinne Klaus Heinrichs verlangen nicht nur die | |
Straßennamen am BER und in Gatow, wo es eine weitere | |
Marga-von-Etzdorf-Straße gibt, sondern viele Straßen und Plätze in der | |
Stadt. Das Verdrängte in der „Neuen Berlinischen Architektur“, die auch von | |
Etzdorfs Grab umgibt, ebenso. Gegenüber dem neuen Europaviertel zwischen | |
Moabit und Mitte liegt sie auf dem Invalidenfriedhof. Neben ihr Preußen, | |
Nazis, Militärs. Auf ihrem unbehauenen Grabstein steht der Satz: „Der Flug | |
ist das Leben wert“. | |
„Der Flug ist das Leben wert?“, heißt es am Ende von Uwe Timms Roman. | |
„Vielleicht. Ich denke, eher nicht. Wer weiß.“ Solche Mehrdeutigkeit macht | |
eine lesenswerte Geschichte aus. Auch in der neuen Berliner Architektur | |
wäre sie angebracht. Alles andere ist „Wiederkehr einer fantasierten | |
Intaktheit, die es so wirklich nie gegeben hat“, ist erhaben und abgehoben. | |
24 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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