# taz.de -- Ruandas Völkermord-Financier in Haft: Aus für Félicien Kabuga | |
> Auf der Liste weltweit gesuchter Täter des Völkermordes in Ruanda stand | |
> Félicien Kabuga ganz oben. Jetzt wurde der 84-Jährige nahe Paris | |
> geschnappt. | |
Bild: In diesem Wohnhaus im französischen Asnières-sur-Seine wurde Kabuga fes… | |
KIGALI taz | Es war am frühen Samstagmorgen gegen 6:30 Uhr, da schlugen die | |
Strafverfolgungsbehörden in einer koordinierten Aktion unter dem Codenamen | |
“955“ an verschiedenen Orten Europas gleichzeitig los. In einer Wohnung in | |
Asnières-sur-Seine nördlich von Paris wurden sie fündig: Sie verhafteten | |
den 84jährigen Ruander Felicien Kabuga. Er hielt sich dort seit mehreren | |
Jahren unter falscher Identität und unter “Komplizenschaft seiner Kinder“ | |
auf, so die Erklärung des französischen Justizministeriums. | |
Laut Angaben der Genozidtäter-Sucheinheit (GFTU) in Kabugas Heimat Ruanda | |
war der alte Mann zuletzt der “meistgesuchte auf der Liste“ aller | |
mutmaßlichen Völkermörder, die noch immer frei herumlaufen, 26 Jahre nach | |
dem Genozid an einer Million Tutsi im dem kleinen afrikanischen Land 1994. | |
“Sieben hochkarätige Taeter sind noch immer auf freiem Fuß“, so John Bosco | |
Siboyintore von der GFTU zur taz kurz nach Kabugas Festnahme in Frankreich. | |
Ruandas Staatsanwaltschaft habe in den vergangenen Jahrzehnten 1144 | |
Haftbefehle auf flüchtige Völkermordtäter in 33 Ländern in aller Welt | |
ausgestellt. | |
Das mittlerweile beendete UN-Völkermordtribunal für Ruanda (ICTR) mit Sitz | |
im tansanischen Arusha sucht Kabuga mit Haftbefehl bereits seit 1998 wegen | |
Völkermord, Mittäterschaft und Aufruf zum Voelkermord sowie Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit. Der Nachfolgemechanismus des ICTR sowie des | |
UN-Jugoslawientribunals ICTY hat den Haftbefehl aufrechterhalten und an | |
diesen Mechanismus – in Den Haag oder Arusha – soll Kabuga jetzt überstellt | |
werden, sofern die französische Justiz zustimmt. Am Sonntag bereits wurde | |
er einem Haftrichter vorgeführt. | |
Der reiche Geschäftsmann Kabuga war zur Zeit des Massenmordens in Ruanda | |
vom April bis Juli 1994 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsfonds, der | |
die Mordmilizen finanzierte, und schon seit 1993 Vorstandschef des | |
Radiosenders RTLM, der damals landesweit zum Mord an den Tutsi aufrief. In | |
jenen rund 100 Tagen schlachteten Hutu-Milizen und Soldaten der Hutu-Armee | |
rund eine Million Angehörige der Tutsi-Minderheit ab – meist mit Macheten, | |
die Kabuga eingekauft hatte. | |
## Fluchtorte Schweiz, Kongo, Kenia | |
Noch vor dem Sieg der Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) | |
über das Völkermordregime floh Kabuga außer Landes und lebte kurz in der | |
Schweiz, bevor er nach Zaire ausgewiesen wurde, die heutige Demokratische | |
Republik Kongo. Angeblich konnte er vor seiner Abreise noch Geld von seinem | |
Schweizer Konto abheben. Als 1995 das UN-Ruanda-Tribunal gegründet wurde | |
und Kabuga ins Visier der Ermittler geriet, lebte er direkt jenseits der | |
ruandischen Grenze,in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma, wo sich | |
zahlreiche Völkermörder tummelten. | |
Als Ruandas RPF-Armee 1996 dort einrückte, floh Kabuga weiter in die | |
Hauptstadt Kinshasa. Als die RPF auch dort einfiel, fand er ab 1997 [1][in | |
Kenias Hauptstadt Nairobi] Unterschlupf. Angeblich wohnte er in einer | |
Villa, die dem Neffen des damaligen kenianischen Präsidenten Daniel Arap | |
Moi gehörte. | |
In Nairobi spürten ihn Journalisten auf. Der kenianische Reporter William | |
Munuhe, der ihn interviewte und dann versuchte, seine Festnahme | |
einzufädeln, wurde später ermordet aufgefunden. Die Täter sind bis heute | |
unbekannt. Seit 2000 vermuteten internationale Ermittler Kabuga in Belgien, | |
wo auch seine Frau und Kinder lebten. 2002 setzten die USA in ihrer | |
großangelegten Kampagne “Belohnung fuer Gerechtigkeit“ [2][fünf Millionen | |
Dollar für Kabugas Verhaftung] aus. | |
“Niemand wusste seither genau, wo er sich aufhielt“, so der ruandische | |
Chefermittler Siboyintore zur taz. Er soll sich auch kurz in Deutschland | |
aufgehalten haben. An der „Operation 955“ am Samstag waren neben | |
französischen auch deutsche, belgische, österreichische, britische und | |
US-amerikanische Behörden involviert sowie Europol und Interpol. | |
## Frankreich handelte sehr spät | |
In Frankreich haben zahlreiche flüchtige Völkermordtäter Unterschlupf | |
gefunden. So auch der Ruander [3][Callixte Mbarushimana], der 1994 als | |
Leiter des lokalen Büros des UN-Entwicklungsprogramms UNDP in Kigali seine | |
eigenen Tutsi-Kollegen getötet haben soll und später jahrelang hoher | |
Funktionär der von flüchtigen Völkermordtätern gegründeten Rebellenarmee | |
FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) war. Er lebt bis heute | |
unbehelligt ebenfalls nahe von Paris. | |
Frankreichs Staatsanwälte zögerten lange mit Ermittlungen, die Beziehungen | |
zu Ruanda sind seit 1994 gestört, weil das damalige Völkermordregime | |
Frankreich nahestand. Nun aber hätten sich die französischen Behörden sehr | |
kooperativ gezeigt, so Siboyintore. “Wir sind sehr dankbar für diesen | |
großen Beitrag zur internationalen Gerechtigkeit“. | |
Auch Serge Brammertz, Chefankläger des Nachfolgemechanismus des ICTR, zeigt | |
sich zufrieden: Kabugas Verhaftung sei “eine Erinnerung daran, dass | |
diejenigen, die für den Völkermord verantwortlich sind, zur Rechenschaft | |
gezogen werden können, auch 26 Jahre nach den Verbrechen“. | |
17 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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