| # taz.de -- Ruandas Völkermord-Financier: Wer ist Félicien Kabuga? | |
| > Wie sich der in Frankreich festgenommene Financier des Völkermordes an | |
| > den Tutsi jahrzehntelang der Strafverfolgung entzog. | |
| Bild: Ein Passantragsfoto Félicien Kabugas | |
| Félicien Kabuga, der am 16. Mai [1][in einem Vorort von Paris festgenommen] | |
| wurde, war das Finanzgenie hinter Ruandas Völkermord. 1935 als Sohn von | |
| Hutu-Bauern in Muniga in der nordruandischen Präfektur Byumba geboren, | |
| arbeitete er sich im Einparteienstaat des seit 1973 regierenden | |
| Militärdiktators Juvénal Habyamirana zum Teeplantagenbesitzer hoch und | |
| wurde einer der reichsten Geschäftsleute des damals bitterarmen Ruanda. | |
| Kabuga war in der Spätzeit des Habyarimana-Regimes mit der politischen, | |
| wirtschaftlichen und militärischen Elite des Landes bestens vernetzt. Einer | |
| seiner Freunde seit Kindeszeiten, Augustin Bizimungu, wurde hoher | |
| Armeegeneral und später Stabschef. Durch strategische Heiraten seiner elf | |
| Kinder sicherte er sich Allianzen ganz oben; dass seine eigene Ehefrau eine | |
| Tutsi war, tat da nichts zur Sache. | |
| Im Juli 1989 heiratete eine von Kabugas Töchters einen Sohn des Präsidenten | |
| Habyrimana. Zu seinen Schwiegersöhnen zählte der spätere Planminister | |
| Augustin Ngirabatware, zuständig für Ruandas Entgegennahme von | |
| Entwicklungshilfe, und der in der Schweiz stationierte Diplomat Fabien | |
| Singaye, zuständig für das Ausspionieren der damaligen Exilruander, in | |
| deren Kreisen damals in den späten 1980er-Jahren die Tutsi-Guerilla RPF | |
| (Ruandische Patriotische Front) entstand, die im Oktober 1990 von Uganda | |
| aus in Kabugas Heimatregion einmarschierte. | |
| Der nachfolgende Bürgerkrieg zwischen Hutu-Armee und Tutsi-Guerilla mündete | |
| in den organisierten Völkermord an Ruandas Tutsi, mit dem hohe | |
| Hutu-Politiker und -Generäle 1994 eine unter internationalem Druck | |
| zugesagte Machtteilung mit den Tutsi der RPF überflüssig machen wollten, | |
| indem sie die Tutsi vernichteten. Kabuga spielte beim Aufbau des | |
| Völkermordapparates eine zentrale Rolle. | |
| ## Vorstandschef des Radiosenders „Mille Collines“ | |
| Wichtigster Einpeitscher der Massaker war der 1993 gegründete private | |
| Radiosender Radio-Télévision des Mille Collines (RTLM), der mit | |
| Anti-Tutsi-Hetze und lockerer Musik die Hutu-Jugend im stockkonservativen | |
| katholischen Ruanda begeisterte. Gründer und Vorstandsvorsitzender: | |
| Félicien Kabuga. „Auf einer öffentlichen Versammlung zur Geldsammlung für | |
| RTLM erklärte Kabuga, RTLM solle das Radio des ‚Hutu Power‘ sein“, heiß… | |
| in der ersten Anklageschrift des UN-Ruanda-Tribunals gegen Kabuga aus dem | |
| Jahr 1998. | |
| In einer zusätzlichen Anklageschrift aus dem Jahr 2011 wird präzisiert, | |
| dass Kabuga als „Präsident“ des Radiosenders „de facto und de jure | |
| Kontrolle über die Programme, Tätigkeiten und Finanzen von RTLM“ innehatte, | |
| einschließlich Dienstanweisungen an Journalisten und Auftritte im Namen des | |
| Senders. | |
| Parallel dazu organisierte die Jugendmiliz „Interahamwe“ der ruandischen | |
| Regierungspartei MRND die ruandische Hutu-Jugend zur kollektiven | |
| „Verteidigung“ gegen „die Tutsi“, die von den hohen Generälen kollekti… | |
| „Feind“ identifiziert worden waren. Geschäftsleute, Staatsbetriebe und | |
| Ministerien gaben für die Milizen Geld – auch Kabuga als Metallimporteur | |
| mit Geschäftsverbindungen nach China. | |
| „Ab 1992“, so die erste UN-Anklageschrift, „schritt Kabuga über seine Fi… | |
| ETS Kabuga zum massiven Ankauf von Macheten, Hacken und anderen | |
| landwirtschaftlichen Werkzeugen, im Wissen, dass sie als Waffe während der | |
| Massaker eingesetzt werden würden. Außerdem gab Kabuga den Interahamwe | |
| logistische Unterstützung, indem er ihnen Waffen und Uniformen ausgab und | |
| sie in seinen Firmenfahrzeugen transportierte.“ Sieben Importlizenzen | |
| Kabugas für über 25 Tonnen Macheten in den Monaten vor dem Völkermord sind | |
| dokumentiert. | |
| Am Abend des 6. April 1994, unmittelbar nach dem Abschuss des Flugzeuges | |
| von Präsident Habyarimana beim Landeanflug auf den Flughafen von Kigali bei | |
| der Rückkehr von einem Regionalgipfel, ergriffen die hohen Generäle die | |
| Macht in Ruanda und die gezielten Massaker begannen. | |
| Kabuga besorgte die Finanzen, auch als dem ruandischen Staat allmählich | |
| sämtliche regulären Einnahmequellen wegbrachen. Am 25. April entstand auf | |
| einem Treffen in Gisenyi ein „Nationaler Verteidigungsfonds“, der die | |
| Ausrüstung der Völkermordmilizen mitfinanzieren sollte. Vorsitzender und | |
| Zeichnungsberechtigter: Félicien Kabuga. | |
| Auf einer Veranstaltung zum Geldsammeln für den Fonds im Mai habe Kabuga | |
| „bekräftigt, dass alle Tutsi ausgelöscht werden müssen“, so die | |
| UN-Ankläger. Er organisierte demnach mehrere Treffen, bei denen Spenden für | |
| den Verteidigungsfonds gesammelt wurden, und verteilte unter anderem Geld, | |
| Kleidung und Essen an Interahamwe-Milizionäre in Gisenyi, über die er | |
| ebenso wie über eine Interahamwe-Gruppe in seinem Wohnviertel Kimironko in | |
| Kigali „Kontrolle ausgeübt“ habe, so die zweite UN-Anklageschrift. | |
| ## Ein Eilvisum für die Schweiz | |
| Noch vor dem Sieg der RPF über das Völkermordregime im Juli 1994 floh | |
| Kabuga außer Landes – zunächst in die Demokratische Republik Kongo, die | |
| damals noch Zaire hieß. Seine Familie war bereits im April vom | |
| französischen Militär aus Ruanda evakuiert worden. Kabuga selbst beantragte | |
| am 6. Juni 1994 in Kongos Hauptstadt Kinshasa ein Visum für die Schweiz – | |
| dort lebte ja sein Schwiegersohn als Diplomat. | |
| Nach nur drei Tagen erhielt Kabuga das Visum, von dem er aber erst am 22. | |
| Juni Gebrauch machte. Als seine Einreise dem Schweizer Außenministerium | |
| auffiel – die Schweizer Ausländerbehörde hatte zuvor Warnungen aus dem | |
| Ministerium ignoriert und nicht an die Grenzbehörden weitergeleitet – wurde | |
| er am 18. August mit Frau und sieben Kindern nach Kinshasa abgeschoben, im | |
| VIP-Stil: als freier Mann ohne Polizeibegleitung, auf Schweizer | |
| Staatskosten in Höhe von über 20.000 Schweizer Franken, nicht ohne vorher | |
| noch Geld von seinem Schweizer Konto abheben zu dürfen. | |
| Nicht nur [2][diese Schweizer Episode] zeigt, was Kabuga für mächtige | |
| Freunde hatte. Er hielt sich nach der Rückkehr in den Kongo in Kinshasa und | |
| auch in Goma auf, wo er praktischerweise immer noch Zugang zum Bankkonto | |
| des ruandischen „Nationalen Verteidigungsfonds“ von 1994 hatte. 1997 zog er | |
| weiter nach Kenia, wo zahlreiche Extremisten Unterschlupf gefunden hatten | |
| und Geld für die in den Kongo geflohene ruandische Hutu-Armee sammelten. | |
| Angeblich wohnte Kabuga in einer Villa, die dem Neffen des damaligen | |
| kenianischen Präsidenten Daniel Arap Moi gehörte. Er soll [3][in Kenia | |
| beträchtlichen Immobilien- und Firmenbesitz] erworben haben. | |
| 2002 setzten die USA fünf Millionen Dollar für Kabugas Verhaftung aus. Der | |
| junge kenianische Geschäftsmann [4][William Munuhe], der daraufhin Anfang | |
| 2003 versuchte, Kabugas Festnahme einzufädeln, wurde stattdessen tot im | |
| Bett gefunden, mit einer Kugel im Kopf. | |
| Kabuga soll danach in allen möglichen Ländern gesehen worden sein, auch in | |
| Deutschland. Als die deutsche Polizei 2007 in Frankfurt/Main den wegen | |
| Völkermordes gesuchten ehemaligen ruandischen Planungsminister Ngirabatware | |
| festnahm, Kabugas Schwiegersohn, befand sich Kabuga offenbar in dessen | |
| Wohnung – aber die Polizisten wussten nicht, wer der alte Mann war, und | |
| [5][ließen ihn in Ruhe]; als sie es später erfuhren, war es zu spät. | |
| Elitefahnder aus Ruanda und den USA waren noch 2012 in Kenia unterwegs, um | |
| Kabuga zu finden – vergeblich. | |
| Das UN-Tribunal war Kabuga da schon längst auf den Spuren. 1999 erwirkte es | |
| das Einfrieren seiner Bankkonten weltweit. Kabugas Familie ging dagegen | |
| jahrelang vor Gericht vor – ihr Anwalt war ein ehemaliger französischer | |
| Entwicklungsminister, Michel Aurillac. | |
| Kabugas Netzwerke erstreckten sich quer durch Afrika. Sein ehemals in der | |
| Schweiz als Diplomat stationierter Schwiegersohn Singaye tauchte später in | |
| der Zentralafrikanischen Republik wieder auf, als Berater des von | |
| Frankreich und Südafrika unterstützten Präsidenten Francois Bozizé in den | |
| Jahren vor seinem Sturz durch Rebellen 2013. Kabugas Tochter Winnie Kabuga | |
| war zugleich mit einem ruandischen Exilpolitiker verheiratet, der im in | |
| Südafrika entstandenen RNC (Ruandischer Nationalkongress) aktiv war, 2014 | |
| in Belgien aber eine eigene Gruppierung gründete. | |
| Diese Gruppierung suchte das Bündnis mit der im Kongo von flüchtigen | |
| Völkermordtätern gegründeten FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung | |
| Ruandas). Deren einstiger Exekutivsekretär [6][Callixte Mbarushimana], der | |
| während des Völkermordes als lokaler Büroleiter des | |
| UN-Entwicklungsprogramms UNDP seine Tutsi-Kollegen ermordet haben soll, | |
| lebt bis heute unbehelligt in Frankreich – in der Nähe von Paris, wie | |
| zuletzt Félicien Kabuga. | |
| 17 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ruandas-Voelkermord-Financier-in-Haft/!5683817 | |
| [2] https://www.letemps.ch/monde/1994-un-genocidaire-passe-suisse | |
| [3] https://www.nation.co.ke/lifestyle/1190-234748-g01ppqz/index.html | |
| [4] http://rwandatoday.africa/news/How-hit-squad-killed-man-who-laid-trap-for-K… | |
| [5] https://www.justiceinfo.net/en/hirondelle-news/24662-281112-tpirkabuga-germ… | |
| [6] /Kriegsverbrechen-im-Kongo/!5105134 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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