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# taz.de -- Völkermord in Ruanda: Der gedeckte Mörder
> Félicien Kabuga finanzierte den Radiosender, der zu dem Genozid an den
> Tutsi aufrief. In Kenia hat er nichts zu befürchten.
Bild: Gerichtszeichnung von Félicien Kabuga
ARUSHA/NAIROBI taz "Hier ist Radio Libre Mille Collines", ruft der
Moderator schwer atmend in sein Mikrofon. "Die Gräben sind erst zur Hälfte
mit Tutsi-Leichen gefüllt, helft mit, sie aufzufüllen!" Es ist Frühjahr
1994 in Ruanda, seit dem 7. April haben die Morde an Tutsi und moderaten
Hutu begonnen. Macheten, die schon vor Monaten lastwagenweise eingeführt
worden sind, werden an die Hutu-Bevölkerungsmehrheit verteilt. Angeheizt
wird die Stimmung von den Scharfmachern im Freien Radio der tausend Hügel,
die später sogar Musikstücke senden, die den Völkermord glorifizieren.
Später werden Medienwissenschaftler sagen, dass die Hasssendungen
maßgeblich dazu beigetragen haben, den Völkermord am Laufen zu halten.
Der Mann, der hinter Radio Libre Mille Collines steckt, ist derselbe, der
den Import von zehntausenden Macheten organisierte: Félicien Kabuga, einer
der reichsten Männer Ruandas und Hutu-Extremist, für dessen Ergreifung die
US-Regierung ein Lösegeld von 5 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat. Doch 15
Jahre nach Beginn des Genozids ist der inzwischen 74-Jährige immer noch auf
der Flucht. "Von den 97 Angeklagten haben wir 84 festnehmen können",
bilanziert Roland Amoussouga, Sprecher des Internationalen
Kriegsverbrechertribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. "Nur 13 sind
noch auf der Flucht."
Doch unter diesen 13 sind die vielleicht wichtigsten noch lebenden
Hintermänner des Genozids: der damalige Verteidigungsminister Augustin
Bizimana etwa, und Protais Mpiranya, Chef der besonders brutalen
Präsidialgarde. Und Kabuga, der als Finanzier des Völkermordes gilt. "Bei
vielen wissen wir ungefähr, wo sie sich aufhalten", sagt Hassan Jallow, der
Chefankläger des von den UN eingerichteten Tribunals. Doch das reicht zur
Festnahme nicht aus, denn das Tribunal hat keine Polizei. Wenn Jallow weiß,
wo sich ein Verdächtiger aufhält, dann muss er die Regierung des Landes um
Amtshilfe bitten. "Und nicht alle Regierungen sind so kooperativ, wie wir
uns das wünschen würden."
Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass sich Félicien Kabuga seit fast 15
Jahren meistens in Kenias Hauptstadt Nairobi aufhält. Am 3. September 1994
stempelten Einreisebeamte seinen Pass am internationalen Flughafen, seine
Frau und sechs Kinder folgten kurze Zeit später nach. Kenia war nicht
Kabugas erste Wahl: Weder die Schweiz noch das damalige Zaire war bereit,
den Völkermörder aufzunehmen.
In Kenia hingegen wurde Kabuga mit offenen Armen empfangen. "Der damalige
ruandische Botschafter Cyprien Habimana sorgte dafür, dass eine ganze Reihe
von Völkermördern Flüchtlingsstatus bekamen", erklärt ein damaliger
Mitarbeiter von Kenias Ausländerbehörde im Schutz der Anonymität. Erst im
Dezember wurde Habimana von der neuen Regierung nach Kigali zurückgerufen.
Da hatte Kabuga bereits seine erste Wohnung im schicken Gemina Court
bezogen, gleich neben der Witwe von Expräsident Juvénal Habyarimana. So
groß war der Andrang der Extremisten, dass im September 1994 in der All
Saints Basilica eine eigene Schule für 140 ihrer Kinder eröffnet wurde, in
der auf Kinyarwanda unterrichtet wurde. Auch die tutsifeindliche
Hetzschrift Kangura, die in kongolesischen Hutu-Flüchtlingslagern verteilt
wurde, wurde in Nairobi gedruckt.
Die Kenia-Connection der Hutu-Elite um den ermordeten Präsident Juvenal
Habyarimana, dessen Flugzeug am Vorabend des 7. April 1994 abgeschossen
wurde, hat Tradition. Habyarimana selbst war mit Kenias autokratischem
Präsidenten Daniel arap Moi gut befreundet und unterhielt mehrere Firmen in
Mombasa und an Kenias Küste. Auch Kabuga hatte Verbindungen. Sein wohl
nützlichster Beschützer soll der damalige Chef des gefürchteten
Geheimdienstes, Zakayo Cheruiyot, gewesen sein. Vieles spricht dafür, dass
es innerhalb von Bürokratie und Politik bis heute zahlreiche Männer gibt,
die ihre schützende Hand über Kabuga halten.
Selbst der sonst eher diplomatische Chefankläger des Völkermordtribunals
Jallow kritisiert Kenias Regierung mittlerweile öffentlich. "Im Kongo hat
die Regierung Probleme mit ihrer Kapazität und kann deshalb viele
Flüchtlinge nicht fassen", so Jallow. "In Kenia geht es nicht um Kapazität,
es geht um politischen Willen."
Eine von Jallow ins Leben gerufene Taskforce, der Vertreter des Tribunals
und der kenianischen Polizei angehören, legte vor nicht einmal einem Jahr
einen bestürzenden Bericht vor: Das Netzwerk, das Kabuga zu seinem Schutz
aufgebaut habe, umfasse den Expolizeipräsidenten des Landes, zwei
persönliche Referenten des Präsidenten, zwei Minister, Kenias obersten
Verwaltungschef und Heerscharen von Geschäftsleuten und Rechtsanwälten. Ein
Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Mois habe zudem mit der neuen
Regierung eine Vereinbarung darüber geschlossen, dass Kabuga weiterhin
geschützt werde. Die Regierung Kibaki, die bis heute im Amt ist, wies alle
Vorwürfe zurück. Der Bericht wurde nie veröffentlicht.
Wer den Fall Kabuga verfolgt, lebt gefährlich. Der kenianische Journalist
Cyrus Ombati, der die Spur Kabugas seit Jahren verfolgt, ist sich dessen
bewusst. Und dennoch will er nicht schweigen. "Die Regierung behauptet,
Kabuga sei nicht im Land, aber gleichzeitig hat sie ihn gerade wegen
Steuerhinterziehung angeklagt", weist er auf einen der vielen Widersprüche
hin. "Polizeibeamte geben im Vieraugengespräch offen zu, dass er sich in
Kenia frei bewegen kann", so Ombati. "Und gleichzeitig sagen sie dir: Pass
bloß auf, was du über ihn schreibst!"
Das kenianische Finanzimperium Kabugas umfasst Immobilien, Farmen, Hotels,
Transport- und ein Busunternehmen sowie eine Import-Export-Firma. Zwar hat
Kenias Regierung nach langem Zögern Konten und Besitztümer Kabugas
eingefroren, doch mindestens zwei Konten, die Jallows Taskforce im
vergangenen Jahr überprüfen wollte, scheinen noch intakt zu sein. "Weder
die Barclays Bank noch die Family Bank war bereit, uns bei der Aufklärung
zu unterstützen", sagt ein Insider. Auch die Konten von Geschäftspartnern
und Kabugas Schwiegersohn seien bis heute nicht gesperrt.
Einmal schien es, als seien die Verfolger kurz davor, Kabuga festzunehmen.
Der Geschäftsmann William Munuhe vereinbarte ein Treffen mit Kabuga, bei
dem die Polizei zugreifen sollte. Als Kabuga nicht wie vereinbart zum
Treffen erschien, wurde der Einsatzleiter ungeduldig. Weil Munuhe seinen
Telefonhörer nicht abnahm, brachen die Beamten die Tür auf. Sie fanden den
27-Jährigen tot in seinem Bett - er war mit einem Kopfschuss ermordet
worden.
Auch weil die Polizei den Tod Munuhes lange geheim hielt, gehen viele bis
heute davon aus, dass Polizei-Insider den Geschäftsmann verraten hatten.
Vor einem Jahr, Jallow hatte einen kritischen Bericht vor dem
UN-Sicherheitsrat angekündigt, meldete die Polizei auf einmal die Festnahme
Kabugas. Erst einige Tagen später, die Sicherheitsratssitzung war vorbei
und Jallow zurück in Arusha, stellte sich heraus: Der Verhaftete war nicht
Kabuga, sondern Charles Nyandwi, ein Mathematikdozent an Nairobis
Universität, der Kabuga überhaupt nicht ähnlich sieht.
Doch Jallow will nicht aufgeben. "Kabuga bleibt einer der wichtigsten
Flüchtlinge für uns, wir wollen ihn hier vor Gericht sehen, bevor wir Ende
des Jahres die Verhandlungen einstellen", so der Chefankläger. Und etwas
realistischer setzt er nach: "Diese Verbrechen verjähren nicht." Irgendwann
werde man Kabuga finden und festnehmen. "Er kann wegrennen, aber er kann
sich nie in Sicherheit wiegen."
6 Apr 2009
## AUTOREN
Marc Engelhardt
## TAGS
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
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