Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zoo in Corona-Zeiten: Nie wieder Ahs und Ohs vor Robben
> Der Berliner Zoo hat wieder auf. Und siehe da: Showfüttern fällt aus​ –
> und plötzlich werden bis dahin unscheinbare Tiere zur zoologischen
> Sensation.
Bild: Der Berliner Zoo nach der Öffnung: Die Elefanten sind auch noch da, wo s…
Ich fürchte, jetzt wird es kitschig.
Wir waren im Zoo, ich und die Kinder, einfach so, an einem Wochentag.
Nicht, weil ich jetzt ein den Feminismus verratendes Hausmütterchen
geworden bin, sondern weil es allen Beteiligten Spaß macht, mal wieder an
einen Ort zu dürfen, der Eintritt kostet. Denn Bezahlen-Müssen ist für
Kapitalismussozialisierte das Salz in der Suppe und die Rosskur der Seele.
Immer nur Gratis-Görli, das geht einfach nicht.
Online gibt es wieder Eintrittskarten zu kaufen, für einen bestimmten Tag
und ein bestimmtes Zeitfenster. Unter anderem werden so die landesweit
schon avisierten Notschlachtungen umgangen. Also: Masken auf, rein in den
fast leeren M29, go West.
Oben vorne alles frei, auf der Hin- und auf der Rückfahrt. Wahnsinn. Nicht
alle Mitreisenden halten sich ans Maskengebot. Interessant: [1][Man wundert
sich leise, aber die Empörung bleibt aus.] Sogar bei den Kindern. Wir sind
im Stadium der Coronamilde, wir wissen ja auch nicht mehr, ob Disziplin das
heilbringende Pandemie-Vademekum oder der Vorbote eines neuen Faschismus
ist. Oder ob Schweden es einfach richtig macht.
Im Zoo ist es paradiesisch. Es sind Leute da, aber nicht zu viele. Alle
verhalten sich gedämpft, niemand drängelt bei den Polarwölfen, die Scheibe
ist nicht von Patschhändchen verschmiert, nein, sie wird sogar gerade von
innen geputzt. Und einer der Wölfe reibt seinen Kopf an der Cargo-Hose der
Scheibenreinigungskraft.
## Showfüttern fällt aus
Bei den Humboldt-Pinguinen verfüttert der Tierpfleger silbrig glänzende
Makrelen. Da alles Showfüttern ausfällt, füttert er ganz inniglich, ins
traute Zwiegespräch mit den Tieren verstrickt, meist direkt in die
Schnäbel. Es ist Franz-von-Assisi-haft. Vielleicht wird nie wieder eine
sowieso schon gefangene Kreatur vor Publikum Mätzchen machen müssen, um an
ihr Mittagsmahl zu kommen.
Die Tierhäuser sind sämtlich geschlossen. Göttlich. Kein gestresstes
Abhaken der immer gleichen Highlight-Häuser (Raubtiere, Affen, Pandas),
kein boshaft tickender Fütterungszeiten-Schedule (Robben, 15 Uhr!). Einfach
nur gehen, schauen, entdecken.
Wie kleinteilig und überraschungsreich dieser Zoo ist. Wie viele Wege es
gibt. Manche führen über leise gluckernde Wasserläufe oder entlang kleiner,
vollständig von Entengrütze bedeckter Teiche. Wir waren ihnen prä-Corona
nie begegnet. Wie auch so manchem Tier nicht.
Dem Helm-Kasuar zum Beispiel, der von einnehmender Hässlichkeit mit seinem
Faltenhals in Knallblaurot und seinem verhornten Pseudo-Iro in einer
vergessenen Ecke am Landwehrkanal herumstakst. Oder der winzigkleinen,
samtbraun befederten Hottentotten-Ente mit ihren berückend karamellfarbenen
Äuglein.
Zum ersten Mal auch haben wir Fischotter gesehen, gleich zwei, die
possierlich ein Sandbad nahmen, direkt neben einer Bronzeskulptur von einem
possierlichen Fischotter, die unter einem blühenden Fliederbusch stand.
Im Zoo, diesem psychogeografischen Shangri-La, darf man feststellen, dass
sich der eigene Blick fürs Kleine, Unscheinbare und Oft-Übersehene in
wenigen Wochen geschärft hat. Eine Überfülle an Schönheit tut sich
plötzlich da auf, wo man bislang nur aufs Brüllen des Alphamännchens
geierte.
Und es ist sonnenklar: Nie wieder werden wir Spektakelwerte brauchen, nie
wieder wollen wir Ahs und Ohs ausstoßen vor Rittberger-Robben und
Apfel-Angel-Elefanten, nie wieder besuchen wir Könige der Tiere. Wir wissen
jetzt: watschelnde Enten, schlafende Biber, vor sich hin stierende
Kafue-Litschi-Moorantilopen sind wunderbar.
Nur die Kinder brauchen diesmal, nur diesmal noch zum Schluss den
Souvenirladen-Stopover und schleppen Snap-Armbänder in Pythonform und
plüschige Schneeleoparden zur Kasse, obwohl wir weder Schlangen noch
Raubtiere zu Gesicht bekommen haben. Geschenkt.
7 May 2020
## LINKS
[1] /Ueberwachung-von-Corona-Regeln/!5677198
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
## TAGS
Kolumne Berlin viral
Schwerpunkt Coronavirus
Zoo Berlin
Alltag
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
Kolumne Berlin viral
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gemeinschaft in Coronazeiten: Die Großeltern als Zaungäste
Man lernt dazu, unter den Bedingungen von Corona. Spielstraßen sichern,
Bäume bewässern, so entstehen neue Gemeinschaftsgefühle in
Berlin-Kreuzberg.
Rausgehen in Corona-Zeiten: Plötzlich so schön franzosenhousig
Raus aus der Wohnung, aber wohin? Selbst die Kanäle der Stadt sind
plötzlich voll. Ärger staut sich an. Entspannung zu finden, wird schwer.
Als der Corona-Geduldsfaden riss: In einem Aquarium voll Aspik
Endlich stand die Maschine mal still. Wann kam der Moment, als sich das
Kammerspiel der Konzentration in eine zähe Elegie auflöste?
Corona-Skeptiker in sozialen Netzwerken: Die Stunde der Hobbychecker
Viele Leute in den sozialen Netzwerken sind besser informiert als die
Experten. Was sind das auch für Experten, die sich oft nicht sicher sind?
Verschwörungstheoretiker demonstrieren: Dicke weiße Spucke-Bällchen fliegen
Unter den Hygiene-Demo-Teilnehmern finden sich ältere Menschen. Selbst die
wollen nichts von Solidarität wissen: „Diktatur, Diktatur.“
Glossar zu Covid-19: Das große Corona-ABC
Der durch ein Virus in Verruf geratene Name „Corona“ existiert schon lange
und hat viele Bedeutungen: ein Rehabilitations-Glossar.
Virtuelle Konzertbesuche: Herbert von Karajan weist den Weg
Die digitale Concert Hall der Berliner Philharmonie zeigt auch Filmdokus.
Da kann man sich anschauen, wie Herbert von Karajan glorifiziert wird.
In der Schlange vom DriveThru: Ohne Auto ist man nackt
Neue Lage, neue Sitten. Da bestellt eine ohne Auto im DriveThru. Ist das
überhaupt erlaubt? Oder sogar notwendig wegen Corona?​
Leben in Corona-Zeiten: Eine absurde Lotterie
Gesunde Menschen erkennt man daran, dass sie nicht viel über die
Ungleichheit der Corona-Betroffenheit nachdenken. Oder sind das
Soziopathen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.