| # taz.de -- Zoologe über Tiere im Krieg: „An das Geballer gewöhnen sie sich… | |
| > Gerhard Haszprunar ist Professor für Systematische Zoologie. Ihn | |
| > beschäftigt unter anderem, wie sich Krieg auf die Artenvielfalt auswirkt. | |
| Bild: Delphine unterstützen das US-Militär bei der Suche nach Minen | |
| taz: Herr Haszprunar, als Professor für Systematische Zoologie beschäftigen | |
| Sie sich mit Artenvielfalt und wie sie entstanden ist. Warum interessieren | |
| Sie sich so sehr für die Systematik der Tierwelt? | |
| Gerhard Haszprunar: Um die Tierwelt zu verstehen, muss man auch ihre | |
| Geschichte kennen – also die der Evolution. Mein Interesse hat auch damit | |
| zu tun, dass mein Vater als Forstwirt tätig war. Auch da ging es um die | |
| Bestandsaufnahme von Bäumen. Mit ihm war ich viel im Wald unterwegs. Und | |
| dann hab ich mit zwölf Jahren mein erstes Aquarium bekommen. | |
| Warum kennen Sie sich dann auch mit Tieren im Krieg aus? | |
| Ich leite ja seit über 25 Jahren die zoologische Staatssammlung und da | |
| bekomme ich im Laufe der Zeit alle möglichen Fragen gestellt, die irgendwas | |
| mit Tieren zu tun haben: „Ich hab da was Komisches gesehen in meinem | |
| Garten, muss ich mich fürchten?“ In den letzten Jahren habe ich mich dann | |
| auch mit der Rolle von Tieren im Krieg beschäftigt. | |
| Auf der ganzen Welt leiden Menschen unter kriegerischen | |
| Auseinandersetzungen, sind Flucht, Vertreibung und Tod ausgesetzt – warum | |
| interessieren Sie sich ausgerechnet für die Tiere? | |
| Uns zu allen Zeiten, also auch in Kriegszeiten für die Tiere zu | |
| interessieren, ist eine unserer Hauptaufgaben als vernunftbegabte Wesen. Je | |
| mehr wir über Tiere wissen – und wir wissen mittlerweile eine ganze Menge | |
| –, desto größer wird diese Verantwortung. | |
| Und was wissen wir über das Leid der Tiere? | |
| Man muss hier unterscheiden zwischen Tieren, die instinktgesteuert sind, | |
| wie die allermeisten Insekten, und Wirbel- oder Säugetieren, die bei einer | |
| Bedrohung tatsächlich Furcht empfinden und deren Empfinden unserem sehr | |
| ähnlich ist. Was für einen Affen oder Hund gilt, gilt eben nicht für den | |
| Regenwurm. Was den Menschen von Tieren jeglicher Art unterscheidet, ist | |
| allerdings, dass wir uns auch vor Geschehnissen in der Zukunft fürchten. | |
| Wie verändert sich denn das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in | |
| Kriegszeiten? | |
| In Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen steht das eigene Leben im | |
| Vordergrund. Wenn ich oder meine Gruppe Gefahr laufen, zu verhungern, werde | |
| ich das Tier schlachten. Auch wenn ich es lieb habe. | |
| Ist das tatsächlich ein verbreitetes Phänomen? | |
| Ja, denn in Kriegszeiten funktioniert oft die Lebensmittelproduktion nicht | |
| mehr richtig. Dann gehen die Menschen in den Wald und jagen und essen | |
| alles, was sich auftreiben lässt. Das gilt besonders für größere | |
| Säugetiere, Vögel und Fische. Insektenarten profitieren hingegen, weil | |
| durch die brachliegenden Felder wenige Pestizide eingesetzt werden. | |
| Wissen Sie dann auch, wie es den Tieren während der Weltkriege ging? | |
| Während der eigentlichen Schlachten waren die Auswirkungen gar nicht so | |
| stark. Durch Schusswaffen haben die Tiere erstaunlich wenig Schaden | |
| erlitten. Und an das Geballer gewöhnen sie sich schnell. Wenn nicht gezielt | |
| auf sie geschossen wird, bleiben die Verluste gering. Schlimmer war es nach | |
| den eigentlichen Kampfhandlungen. Durch Hungersnöte gab es viele Wilderer, | |
| die in die Wälder gingen. In späteren Kriegen kam noch der Einsatz von | |
| chemischen Kampfstoffen dazu. | |
| Kampfmittel wie „Agent Orange“ haben auch den Tieren geschadet? | |
| Dieses Entlaubungsmittel hat vor allem die Umwelt in Vietnam großflächig | |
| zerstört, bis heute sind die Auswirkungen spürbar. Lebensraumvernichtung | |
| ist für Insekten genauso verheerend wie für Menschen. Aber im Gegensatz zu | |
| Großtieren können Insekten ihre Verluste deutlich schneller ausgleichen, | |
| meist innerhalb weniger Jahre. | |
| Forscher*innen beschreiben [1][in einer Studie], dass die Artenvielfalt | |
| von Tieren durch die jahrelangen Bürgerkriege im Kongo zurückgeht. Lässt | |
| sich das so pauschal sagen? | |
| Nein. Wie Sie schon sagen, behandelt die Studie den Kongo, der sich als | |
| tropischer Regenwald nicht auf andere Regionen, schon gar nicht Europa, | |
| übertragen lässt. Außerdem wurden in der Arbeit nur größere Säugetiere wie | |
| Elefanten oder Löwen berücksichtigt, aber keine Kleintiere oder | |
| Mikroorganismen. Die Forscher haben lediglich eine Korrelation | |
| festgestellt, die nicht zwangsweise eine Ursache sein muss. So könnte für | |
| den Rückgang der Artenvielfalt auch eine Bande von Wilderern verantwortlich | |
| sein, die dort ihr Unwesen getrieben hat. | |
| Auf Truppenübungsplätzen üben Menschen den Krieg. Gerade dort soll die | |
| Artenvielfalt besonders groß sein, sagen Studien. Warum ist das so? | |
| Weil dort die Landwirtschaft ausgesperrt ist. Wir sehen das gleiche an der | |
| ehemaligen innerdeutschen Grenze. Das Entscheidende ist nicht das Geballer, | |
| sondern dass es keine Landwirtschaft gibt. Dadurch geht es den Tieren gut, | |
| vor allem den Insekten. | |
| Ein Bildband aus dem Jahr 2017 bildete alle möglichen Tiere ab, die [2][als | |
| Truppenteile in Kriegen eingesetzt wurden]. | |
| Bereits in der Antike wurden Kriegselefanten eingesetzt. [3][Brieftauben | |
| waren ebenfalls über Jahrhunderte eine beliebte Methode], um Nachrichten zu | |
| übermitteln. Kleine Zettel wurden zusammengerollt und am Bein befestigt. So | |
| konnten im Ersten Weltkrieg Nachrichten sehr schnell übermittelt werden, | |
| wenn Telegrafenmasten weggesprengt wurden oder das Feldtelefon nicht mehr | |
| funktionierte. | |
| Warum hat man die Brieftauben nicht abgeschossen? | |
| Weil sie sehr klein und schwer zu treffen sind. Daher hat man eher | |
| Wanderfalken benutzt, um die Tauben vom Himmel zu holen. | |
| Können Brieftauben heutzutage eine Geheimwaffe sein, wenn die digitale | |
| Kommunikation mal ausfällt? | |
| Es ist generell gut, analoge Alternativen in petto zu haben, wenn die | |
| Technik versagt. Noch besser als Brieftauben wäre das klassische Morsen | |
| [4][wie im Science-Fiction-Film „Independence Day“], in dem der | |
| Satellitenempfang durch die Aliens blockiert wird. | |
| [5][In besagtem Bildband] waren auch Delfine abgebildet: Sie können | |
| angeblich Bomben aufspüren. Was prädestiniert Delfine dafür? | |
| Ihr Sonarvermögen, also ihr Unterwasserradar mittels Schallwellen, und ihre | |
| enorme Lernfähigkeit. Minenspürhunde werden von ihren Ausbildern auf | |
| charakteristische Geruchsstoffe konditioniert. Delfine hingegen erkennen | |
| Seeminen einfach an ihrer Form, und das auch im trüben Wasser. | |
| Und was macht der Delfin, wenn er eine Mine entdeckt hat? | |
| [6][An seinen Körper sind Kameras oder kleine Bojen geklemmt], die er dann | |
| steigen lässt. Das Räumkommando weiß dann, wo sich die Mine befindet, um | |
| sie zu entschärfen. | |
| Manchen Forscher*innen in den USA reicht das alles nicht. Sie überlegen, | |
| wie man Haie mittels Elektroden zu Cyborg-Haien machen kann, um sie zu | |
| kontrollieren. Ist das reine Science-Fiction? | |
| Nein, das ist die Realität. Haie sind zwar strohdumm, haben aber einen | |
| Spezialsinn für elektromagnetische Wellen und damit auch für Metall. | |
| Deshalb finden sie Metall besonders lecker und erkennen es über große | |
| Distanzen. Mit Elektroden im Gehirn könnte man den Hai auf die Suche nach | |
| Metall im Meer programmieren und so Seeminen aufspüren. Einfacher ist es | |
| dagegen, dressierte Falken mit Kameras auszustatten, um Luftbilder zu | |
| schießen. | |
| [7][Otto Dix bildet in seinen Werken] zum Ersten Weltkrieg tote Pferde ab, | |
| auch in anderen Medien zirkulieren Bilder von verwundeten oder toten Tieren | |
| in Krisenregionen. Es scheint fast, als ob sie bei vielen mehr Mitleid | |
| hervorrufen als das Leid der Menschen. | |
| Das ist für mich immer wieder erstaunlich. Ich habe das Gefühl, das | |
| passiert häufig bei niedlichen Tieren mit hohem Kuschelfaktor. Ich finde | |
| nicht, dass Tierleid höher einzuschätzen ist als Menschenleid. Ich würde | |
| bedenkenlos ein Tier opfern, um einen Menschen zu retten. | |
| 4 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/fee.1433 | |
| [2] https://www.br.de/nachrichten/wissen/tiere-im-krieg,ReW4rAx | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-R01996,_Brieftaub… | |
| [4] /Film-Independence-Day-Wiederkehr/!5319119 | |
| [5] https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/die-anthropomorpha-tiere-im-krieg.… | |
| [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Delfine#/media/Datei:NMMP_dolphin_with_locato… | |
| [7] /Otto-Dix-Ausstellung-in-Colmar/!5346883 | |
| ## AUTOREN | |
| Denis Giessler | |
| Jana Lapper | |
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