| # taz.de -- Brände in Australien: Alternative Feuerregime | |
| > Die Aborigines haben Erfahrung mit Buschbränden und legen sie sogar | |
| > gezielt. Manche Pflanzenarten warten geradezu auf die Flammen. | |
| Bild: 10.10.2019, Rappville: Ein Rind steht auf einem abgebrannten Feld in New … | |
| Seit Jahren schon fallen im australischen Sommer Tausende von Flughunden | |
| tot von den Bäumen. In diesen europäischen Herbst- und Wintermonaten | |
| beginnen alljährlich auch die Brände, Rauchschwaden ziehen über das Land. | |
| Im Januar konnte man bisher den Beginn des Monsuns und Tornados erwarten. | |
| Aber noch [1][breiten sich die Buschfeuer weiter aus] und die | |
| Feuerwehrleute sind überfordert. Kriegsschiffe sollen helfen, vom Feuer | |
| Eingeschlossene zu retten. „Vielen bleibt nur noch die Flucht übers Meer“, | |
| titelte Die Welt. | |
| Mehr als 20 Menschen sind schon gestorben, eine halbe Milliarde [2][Tiere | |
| sind verbrannt, erstickt oder auf der Flucht in einem Stacheldraht | |
| verendet]. Diese Bilder werden weltweit verbreitet wie solche von | |
| Australiern, die verletzte Koalas und Kängurus retten. Überhaupt zeigen die | |
| Bilder von der Katastrophe, die einige Wissenschaftler bereits mit der von | |
| Tschernobyl vergleichen, vor allem halbverbrannte Tiere, die es nur in | |
| Australien gibt, daneben aber auch tote Rinder, Schafe und Wildpferde. | |
| Andere Experten halten die geschätzte Zahl der toten Tiere für übertrieben. | |
| Wieder andere haben anhand der knapper werdenden Wasserreserven des | |
| Kontinents errechnet, dass sich Australien bis zur Jahrhundertmitte in eine | |
| „Wüstenlandschaft“ verwandelt, wenn alles so weitergehe wie bisher (für d… | |
| Wachstum von zweieinhalb Avocados etwa braucht man 1.000 Liter Wasser). Die | |
| kanadische Wasseraktivistin Maude Barlow schreibt in ihrem Buch „Blaue | |
| Zukunft“ (2014): „Der weltweite Handel mit Nahrungsmitteln ist bei näherer | |
| Betrachtung ein Handel mit Wasser.“ | |
| Am „Mount Gulaga“ versammelten sich Mitte Dezember die vereinigten Stämme | |
| der Aborigines für eine große „Heilungszeremonie“. Als Westler darf man | |
| bezweifeln und hoffen, dass sie hilft. Ihre jahrtausendealte Erfahrung mit | |
| dem Legen von kontrollierten Buschfeuern überzeugt aber immer mehr, während | |
| die Klimaleugner immer kleinlauter werden. In Australien blieb es oft noch | |
| bis in die 1920er Jahre hinein straffrei, einen Aborigine zu töten. | |
| ## Kontrollierte Buschfeuer reduzieren die unkontrollierten | |
| Inzwischen jedoch ist Kooperation und Vernetzung angesagt. Während | |
| hierzulande das Fortdauern imperialistischer Machtverhältnisse in anderer | |
| Gestalt als „postkolonial“ kritisiert wird, deutet in Australien das | |
| „Postkoloniale“ auf etwas Überwundenes, auf einen glückhaft empfundenen | |
| Bruch hin. Und natürlich wissen alle, dass die Verbrennung zur Steigerung | |
| der Fruchtbarkeit des Bodens beiträgt, man muss das Feuer nur unter | |
| Kontrolle halten können. Kontrollierte Buschfeuer reduzieren die | |
| unkontrollierten! | |
| Es gibt Pflanzen, denen macht ein Buschbrand nichts, und andere, die | |
| brauchen Feuer sogar. „Schon 3 bis 4 Wochen nach dem Brand zeigen die | |
| ersten Bäume wie Messmates oder Mountain Grey Gums – Eukalyptusarten – | |
| wieder die ersten Lebenszeichen. Andere Bäume und Büsche, wie Silver | |
| Banksia, regenerieren sich dann aus unterirdischen Wurzeln, die Sprösslinge | |
| nach oben zum Licht schicken. Vor den neuen Blättern schicken die Bäume | |
| erst die Triebe mit den Blüten heraus, die jetzt konkurrenzlos blühen, | |
| fruchten und samen können. | |
| Die Samen von Akazien, deren Kapseln nach dem Feuer aufplatzten, beginnen | |
| zu keimen. „Das Aschebett bietet ideale Wachstumsbedingungen“, teilt ein | |
| Australier in einem Internetforum auf die Frage mit, welche Bäume das | |
| Buschfeuer brauchen, um sich zu vermehren. Berühmt ist auch der Grasbaum. | |
| Er benötigt „die Rauchgase in der Luft, um seine Samenkapseln öffnen zu | |
| können. Dann blüht er und wirft seine Samen auf den durch die Asche frisch | |
| gedüngten Boden, für die das Unterholz nun kein Konkurrent mehr ist“, | |
| [3][heißt es auf geo.de]. | |
| Auf der Internationalen Garten-Ausstellung (IGA) in Berlin 2017 stellten | |
| die australischen [4][Landschaftsgestalter Taylor, Cullity und Lethlean | |
| (T.C.L)] aus Melbourne einen Garten „Cultivated by Fire“ vor, in dem einige | |
| mit Buschfeuern lebende Pflanzen wuchsen. Bereits 2001 hatte Helen Verran, | |
| eine feministische Wissenschaftshistorikerin an der | |
| Charles-Darwin-Universität in der Küstenstadt Darwin im Norden der Northern | |
| Territories, die Yolngu Aborigines Community dazu bewegen können, einige | |
| Umweltwissenschaftler zu einem Workshop einzuladen, um über ihre | |
| unterschiedliche Erfahrung mit Buschbränden zu diskutieren. Da stießen zwei | |
| Vorgehensweisen, „zwei Wissenschaften“ würde Claude Lévy-Strauss sagen, | |
| aufeinander. | |
| ## Wege durchs Dickicht | |
| Und dann sollten die Umweltwissenschaftler und die Aborigines auch noch | |
| zusammenarbeiten. Erstere hatten bisher immer einen Quadratmeter große | |
| Versuchsfelder angelegt, die Pflanzen darin bestimmt und gezählt, dann die | |
| Quadrate verbrannt und anschließend wieder die Pflanzen, die dort neu | |
| hochgekommen waren, bestimmt, gezählt und so weiter. | |
| Sie stehen dabei in der Tradition unter anderem von Linné und Darwin und | |
| berufen sich genealogisch auch auf sie – beim Legen ihrer Buschbrände, | |
| schreibt [5][Helen Verran] in ihrem Aufsatz „Ein postkoloniales Moment in | |
| der Wissenschaftsforschung: Zwei Alternative Feuerregime von | |
| Umweltwissenschaftlerinnen und aboriginalen Landbesitzerinnen“ (in: | |
| „Science and Technology Studies“, 2017). | |
| Den Aborigines dient das Feuerlegen dazu, „um Wege durch Dickicht und | |
| stachliges Gehölz zu schaffen, vorhandene Nutzpflanzen zu fördern und neues | |
| Wachstum zu initiieren, Jagdmöglichkeiten zu schaffen und nützliche | |
| Pflanzen zum unmittelbaren Verzehr oder Kochen, zur Wärmegewinnung sowie | |
| auch für spirituelle Zwecke zu gewinnen. Die Nutzung des zweckgerichteten | |
| Feuers folgte bestimmten Regeln, die sich nach dem Vegetationsverlauf und | |
| dem Bedarf der Aborigines richteten,“ weiß Wikipedia. | |
| In der Diskussion begründeten die Aborigines ihr Vorgehen mit einer alten | |
| Verbindung ihres Territoriums mit der Clan- und Familiengeschichte, wobei | |
| sie unter dem Recht am Land kein Eigentum im Sinne des deutschen oder | |
| römischen Sachenrechts verstehen. Das australische Recht anerkennt | |
| inzwischen ihren „anderen“ rechtlichen Bezug zum Landeigentum. | |
| ## Gartenkünstler und Brandansatz | |
| 1,1 Millionen Quadratkilometer Land wurden von 1966 bis 1991 den Aborigines | |
| zugesprochen, was etwa 15 Prozent der Landfläche des australischen | |
| Kontinents sind. Die gelegten Feuer der Aborigines erstrecken sich in der | |
| Landschaft über den gesamten Jahresverlauf. Die meisten Brände sind von | |
| relativ geringer Intensität und verbrennen lediglich kleine Flächen, | |
| unkontrollierbare Buschfeuer in großem Umfang entstehen dadurch kaum. Dazu | |
| gehört, dass rings um den Brand alles gesammelt (Yamswurzeln), geerntet | |
| (Schnecken) und gejagt (Kängurus) wird. Anschließend wird dies gerecht | |
| unter allen Clanmitgliedern geteilt – abgemessen nach der Nähe | |
| beziehungsweise Entfernung im Verwandtschaftsgrad. Manchmal schnappt sich | |
| ein Greifvogel, auch Feuervogel genannt, einen brennenden Zweig, mit dem er | |
| woanders Feuer legt, um ebenfalls Beutetiere aufzuscheuchen. | |
| Den australischen Gartenkünstlern TCL ist der aboriginale Brandansatz, den | |
| sie „Fire Stick Farming“ nennen, verständlicher als den | |
| Naturwissenschaftlern, deren Analysegeräte allerdings auch nicht zu | |
| verachten sind. | |
| Die Biologin Margaret Lowman erforschte zum Beispiel das rätselhafte | |
| Sterben der australischen Eukalyptuswälder. Die dortigen Naturschützer | |
| machten die Umweltzerstörung der Landbesitzer dafür verantwortlich, | |
| umgekehrt gingen die Farmer von Pflanzenfressern aus, wobei sie wahlweise | |
| an Koalas und Käfer dachten. Schließlich wurde ein die Wurzeln der Bäume | |
| angreifender Algenpilz als Hauptursache entdeckt: „Er war mit der an | |
| Traktorrädern haftenden Erde von malaysischen Avokadofarmern unwissentlich | |
| nach Australien eingeschleppt worden“, schreibt Margaret Lowman in „Die | |
| Frau in den Bäumen“ (2000). | |
| 8 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Unkontrollierte-Buschfeuer-in-Australien/!5653527 | |
| [2] /Australische-Tierwelt-in-Gefahr/!5653594 | |
| [3] https://www.geo.de/geolino/natur-und-umwelt/5259-rtkl-feueroekologie-neues-… | |
| [4] https://tcl.net.au/ | |
| [5] https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2017/07/28/im-gruenen-bereichurban-gar… | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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