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# taz.de -- Corona als Chance für Berlin: Na also, es geht doch
> Pop-up-Bike-Lanes, weniger Auto- und Flugverkehr, gelebte Solidarität:
> Corona zeigt, dass ein besseres Leben möglich ist. Das sollten wir
> beibehalten.
Bild: Fehlen nur noch Pop-Up-Bike-Lanes: fast leerer Kreisverkehr an der Sieges…
Flacht die Kurve ab? Wird es besser? Oder weniger schlecht? Es ist der
Zeitpunkt, über „Berlin danach“ zu reden – aber nicht über das Wann,
sondern das Wie dieses Danachs. Sonst droht eine ganz andere Gefahr als die
gegenwärtige mit der Angst vor Erkrankung und vielen, vielen Toten. Es ist
die Gefahr des Roll-backs, eines Rückfalls in vorsolidarische Zeiten, wenn
es „danach“ darum gehen muss, mit der gerade entdeckten Solidarität die
viel dauerhaftere Bedrohung unserer Zeit zu bekämpfen: Gegen Corona wird
irgendwann eine Impfung schützen – gegen den Klimawandel hilft weiter
nichts außer einer solidarischen Verhaltensänderung.
Wenn Corona mal überstanden sein wird, wenn also, um Regierungschef Michael
Müller zu zitieren, Liebende wieder unbeschwert durch den Park flanieren
und andere erstmals nach langer Pause im Tiergarten Volleyball spielen,
dann wird nämlich absehbar ein Ruf laut werden: Jetzt aber mal Schluss mit
allen Einschränkungen. Nichts mehr mit Ge- und Verboten, jetzt einfach nur
noch genießen. Auf nach Tegel und Schönefeld, und jeden ausgefallenen
Flugkilometer doppelt nachholen. Und wieder überall hin mit dem Auto.
Dann könnte sie vorbei sein, jene Solidarität, die irgendwann dazu geführt
haben wird, die Coronakrise zu überwinden. Jene Solidarität, von der
zumindest zu hoffen ist, dass jenes Mitfühlen mit Älteren und Schwächeren
und nicht etwa die Angst vor Erkrankung oder Geldeinbußen uns durch diese
Tage der Ausgangsbeschränkungen führt. Jene Solidarität, die uns vor Augen
geführt hat, was wichtiger ist: der zeitweilige Verzicht auf den Kinobesuch
und das Bier in der Kneipe oder das Leben jener, die Corona ansonsten wie
in anderen Ländern in Massen dahinrafft.
Genau diese Solidarität braucht es nun weiter. Wenn es heute zu Recht als
unsolidarisch eingestuft wird und keine individuelle Entscheidung ist, die
Luft mit Coronaviren zu belasten – wieso soll es dann in Zukunft weiter
eine individuelle Entscheidung sein, Autoabgase in die Luft zu blasen?
Warum soll sich persönliche Freiheit weiter im Wochenend-Trip per Easyjet
nach Mallorca ausdrücken? Warum soll es bei der verbreiteten Toleranz
gegenüber 50-Rasern in Tempo-30-Zonen bleiben?
Radikale Jüngere haben am Anfang der Coronakrise auch in Berlin gefragt,
warum sie jetzt jene Älteren schützen sollten, die vorher nicht bereit
waren, sich durch verändertes Verhalten mit der Zukunft der Jüngeren zu
befassen. Gemäßigte sehen das weniger zynisch, haben die
Fridays-for-Future-Aktionen ins Netz verlagert und können aber trotzdem zu
Recht darauf verweisen, was in Berlin plötzlich alles möglich ist, was
vorher angeblich nicht ging.
Ein dringend nötiger Radstreifen, um erstens mehr Sicherheit zu bieten und
zweitens mehr Menschen vom Steuer weg in den Sattel zu bringen? Das galt
zuvor als nur schwer machbar, weil Autos zu viel Platz wegnehmen. Im
Zeichen der Krise vergingen bei einem neuen Radstreifen am Landwehrkanal
zwischen Idee und Ausführung nur wenige Tage, was ungefähr dem 500-fachen
des normalen Tempos entspreche, wie ein vom sonstigen
Geht-nicht-gibt’s-nicht genervter Tagesspiegel-Kollege feststellte.
Für mehr Umweltschutz und weniger Autoverkehr sorgende Umbauten sollten in
Vergangenheit manches Mal nicht möglich gewesen sein, weil angeblich nicht
bezahlbar. Hohe Kosten waren bei Linkspartei und Grünen etwa zentrales
Argument, um sich gegen eine U-Bahn-Verlängerung zu sträuben, die
Regierungschef Müller und seine SPD fordern. Und aus Kostengründen hieß es
auch eine Zeit lang, man könne nicht alle neuen Schulen mit Solardächern
ausstatten. Jetzt hat sich gezeigt: Die Millionen und Milliarden für den
Umbau lassen sich schon lockermachen, wenn man nur will.
Berlin hat in Solidarität das zentrale Prinzip schon gefunden und muss es
bloß aufrechterhalten. Was es dazu braucht, ist vor allem ein Senat, der
sich nicht vom öffentlichen Druck einschüchtern lässt. Der am „Zusammen
schaffen wir’s“ festhält, das derzeit so sehr in der Coronakrise hilft.
Einer, der auch eine künftige Boulevard-Schlagzeile „Schluss mit den
Verboten“ genauso aushält wie aktuelle Forderungen, die Einschränkungen zu
lockern oder vorzeitig aufzuheben.
Genauso gefragt ist aber eine Opposition, die sich nicht populistisch
Wählern anbiedert und verspricht, im Falle eines Wahlsiegs würden alle Ge-
und Verbote der Vergangenheit angehören – obwohl sie doch selbst aktuell
viel gravierendere Einschränkungen zur Gefahrenabwehr mitträgt.
Ausgerechnet AfD-Fraktionschef Georg Pazderski brachte es vor einigen
Wochen im Abgeordnetenhaus auf den Punkt: Der Staat habe gezeigt, dass er
könne, wenn er nur wolle. Den Umweltschutz meinte Pazderski allerdings
nicht – die dortigen großen Gefahren tat er gleich darauf als „Klimawahn“
ab.
30 Apr 2020
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
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