# taz.de -- Europa und die Coronakrise: Moral? Nein danke | |
> Der EU-Gipfel ist gescheitert, weil die reichen Staaten Ökonomie und | |
> Moral verwechseln. Die Deutschen verpassen damit das beste Geschäft ihres | |
> Lebens. | |
Bild: Ungleich verteilt in Europa: Anstehen zum Einkaufen oder für das Arbeits… | |
Die Dänen, Schweden und Niederländer sind kompromisslos klar, wenn es um | |
die Coronakrise geht: Sie haben selbst genug Probleme, da können sie | |
[1][nicht noch anderen EU-Ländern helfen]. Solidarität? Nein danke. | |
Kanzlerin Merkel äußert sich zwar weniger klar und typisch verschwurbelt, | |
aber auch sie will anderen Ländern nur sehr begrenzt und widerwillig Hilfe | |
gewähren. Ihr Ansatz ist politisch: Deutschland soll nicht gänzlich herzlos | |
wirken; also müssen ein paar Milliarden wohl fließen. | |
Der EU-Gipfel hat damit erneut gezeigt, [2][woran die Coronadebatte | |
krankt]: Statt rein ökonomisch zu denken, wird moralisch argumentiert. Es | |
geht um „Solidarität“, um „Hilfen“, um den Gegensatz von „Arm“ und… | |
Zudem werden Schulden schnell mit Schuld verwechselt: Wer Hilfskredite | |
benötigt, muss als Staat irgendwie gesündigt haben. Sonst bräuchte er ja | |
keine Hilfe. Die Gläubiger haben recht, weil sie den rechten Glauben | |
verkörpern. | |
Doch Moral führt völlig in die Irre, wenn es um Wirtschaft geht – wie als | |
Erster ausgerechnet der Moralphilosoph Adam Smith erkannte, der dann als | |
einer der größten Ökonomen aller Zeiten in die Geschichte einging. Smith | |
gilt heute als Urvater der Neoliberalen, aber das ist ein Missverständnis: | |
Smith war viel zu intelligent, als dass er sich auf die platten Rezepte der | |
Neoliberalen reduzieren ließe. | |
## Falsch verstandener Wettbewerb | |
Der Schotte Smith lebte im 18. Jahrhundert, und schon damals hingen viele | |
Briten der Idee an, dass die Nationen miteinander im „Wettbewerb“ stünden | |
und dass es den starken Ländern egal sein könne, ob ihre Nachbarn arm sind. | |
Smith hatte für diesen Unsinn nur beißenden Spott übrig: „Eine Nation, die | |
durch den Außenhandel reich werden will, kann dies am ehesten erreichen, | |
wenn auch ihre Nachbarn reiche und betriebsame Handelsnationen sind.“ Es | |
sei völlig unmöglich. zu exportieren, wenn man „auf allen Seiten von wilden | |
Nomaden und armen Barbaren umgeben“ sei. | |
Wer seine Nachbarn darben lässt – der darbt auch selbst. Dies ist keine | |
abstrakte Erkenntnis oder ein hübscher Spruch fürs Poesiealbum, sondern | |
bittere Realität, wie die Bundesrepublik in der Eurokrise erfahren musste. | |
2012 und 2013 wuchs die deutsche Wirtschaft nur um jeweils magere 0,4 | |
Prozent, weil der europäische Süden als Kunde ausfiel. Es rächte sich | |
bitter, auch für die Deutschen, dass sie darauf bestanden hatten, große | |
[3][Wirtschaftsnationen wie Italien oder Spanien] zu behandeln, als wären | |
sie potenzielle Pleitekandidaten. | |
## Fehler wie bei der Finanzkrise | |
Jetzt wird dieser Fehler wiederholt, obwohl 35 Prozent der deutschen | |
Exporte in den Euroraum gehen. Für die hiesige Wirtschaft dürfte es daher | |
demnächst sehr unerfreulich werden, wie der Rückblick zeigt: 2012 | |
schrumpfte die italienische Wirtschaft um „nur“ 2,8 Prozent, was aber | |
reichte, um auch Deutschland an der Rezession vorbeischrammen zu lassen. | |
Die Coronapandemie ist jedoch weitaus schlimmer als die Eurokrise. Die | |
italienische Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um mindestens 9 Prozent | |
einbrechen, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt. Die | |
deutschen Exporteure können sich also auf harte Zeiten einstellen. | |
Niederländer, Dänen, Finnen und Deutsche erzeugen gern den Eindruck, als | |
sei das Geld knapp. Der eigene Haushalt sei schon sehr angespannt, ließ die | |
dänische Ministerpräsidentin kühl wissen. Ein europäisches Hilfsprogramm | |
könne man sich daher nicht leisten. | |
Doch dieser Zwang zur Sparsamkeit ist reine Fiktion. Das nötige Geld ließe | |
sich mühelos mobilisieren, wenn die Europäer gemeinsame Kredite aufnehmen | |
würden. [4][Diese Coronabonds] würden auch gar nichts kosten, schon gar | |
kein Steuergeld. Denn die Zinsen lägen tendenziell bei null. Selbst | |
deutsche Neoliberale werben daher für Coronabonds. | |
Die Deutschen lassen sich gerade das Geschäft ihres Lebens entgehen: Wenn | |
sie dem Süden Europas „helfen“, helfen sie sich selbst. Und es wäre sogar | |
umsonst! | |
25 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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