# taz.de -- Spaniens politisches System in der Krise: Die Amigo-Regionen | |
> Die Corona-Krise zeigt, wie schlecht Spaniens System der autonomen | |
> Regionen funktioniert: Statt eines echten Föderalismus blüht die | |
> Klientelpolitik. | |
Bild: Madrid: Ein lokales Freiwilligen-Netzwerk desinfiziert und verteilt provi… | |
Die Coronakrise bringt alte Konflikte zu Tage. Spaniens dezentralisiertes | |
Gesundheitssystem und damit die politische Dezentralisierung des Staates | |
als solche stoßen – nach dem katalanischen Territorialkonflikt der letzten | |
Jahre – erneut an ihre Grenzen. Doch anders als im Streit über die | |
Unabhängigkeit Kataloniens zeigen sich aktuell [1][Risse überall im Land]. | |
Die 15 autonomen Regionen und zwei autonomen Städte, aus denen Spanien | |
besteht und die seit 1986 per Gesetz die Zuständigkeit für die | |
Gesundheitsversorgung innehaben, zeigen sich unsolidarisch. Jeder sucht | |
Material, wie und wo er nur kann. Es gibt kaum Verlegungen von Patienten | |
aus völlig überforderten Regionen in diejenigen, die von der Pandemie | |
weniger betroffen sind. | |
Und einige Regionen, allen voran die seit Jahrzehnten konservativ regierte | |
Region rund um die Hauptstadt Madrid unter Isabel Díaz Ayuso, [2][nutzen | |
die Krise], um Oppositionspolitik gegen die Linksregierung unter dem | |
Sozialisten Pedro Sánchez zu betreiben und gleichzeitig von ihrer eigenen | |
Schuld an der Schwächung des regionalen Gesundheitssystems durch | |
Privatisierung, Sparpolitik und Korruption abzulenken. | |
„Fast Föderal“ oder „so dezentralisiert wie nur wenige andere Länder in | |
Europa“ sind Definitionen, die spanische Politiker oft benutzen, wenn sie | |
von der Ordnung reden, die sich das Land nach dem Tod von Diktator | |
Francisco Franco 1975 gegeben hat. Die 17 neu geschaffenen autonomen | |
Regionen bekamen nach und nach vom Zentralstaat wichtige Kompetenzen | |
übertragen. | |
Schneller ging es für diejenigen, die sich als Nationen fühlten wie die | |
Basken, die Katalanen oder die Galicier sowie die Andalusier; die anderen | |
Regionen bekamen den Status mit einiger Verzögerung. Heute verwalten die | |
autonomen Regionen unter anderem ihr eigenes Bildungssystem und eben auch | |
das Gesundheitssystem. Basken und Katalanen verfügen zudem über eine eigene | |
Polizei. | |
## Mischung unterschiedlicher Staatskonzepte | |
Doch was auf den ersten Blick nach einem weitgehend föderalen Staat | |
aussieht, ist es nicht. Ein Blick in die Verfassung genügt, um das | |
festzustellen. Zum einen spricht die Magna Carta von der „unauflöslichen | |
Einheit Spaniens“, während sie gleichzeitig „das Recht auf Autonomie der | |
Nationalitäten und Regionen, die in Spanien integriert sind, sowie die | |
Solidarität unter ihnen“ garantiert. Die Verfassung von 1978 ist damit eine | |
Mischung unterschiedlicher Staatskonzepte und der Kompromiss | |
unterschiedlicher politischer Schulen; aus dem, was war – ein Zentralismus, | |
der dem Frankreichs ähnelt –, und dem, was sein sollte, eine Art | |
modifiziertes föderales System wie das in Deutschland. Und das Ganze – um | |
es noch etwas komplizierter zu machen – unter dem Schirm einer Monarchie, | |
die sich nie durch demokratische Toleranz ausgezeichnet hatte. | |
Am deutlichsten zeigen sich die Mängel der spanischen Dezentralisierung am | |
Steuersystem. Mit Ausnahme des Baskenlandes und Navarra wird der Großteil | |
der Abgaben zentral kassiert und dann von Madrid an die Regionen verteilt. | |
Eine klare Verteilungsformel gibt es nicht. Stattdessen gibt es immer | |
wieder Verhandlungen, um die Aufteilung zu reformieren. Diese erinnern nur | |
allzu oft an das Schachern auf einem Basar, der politische Loyalitäten und | |
Gefallen feilbietet. Und es sind nicht die Regionen, die untereinander | |
verhandeln, wenn es um Solidarität der Reichen mit den Ärmeren geht. Es ist | |
die Zentralregierung in Madrid, die durch Umverteilung für einen Ausgleich | |
sorgen muss. Vorwürfe wie „Madrid bestiehlt uns“ sind dann die Folge. | |
Föderalismus ist das nicht. Denn echter Föderalismus kommt von unten. Die | |
Länder geben dem Bund die Legitimität und nicht umgekehrt. Der Bund hat nur | |
die Kompetenzen, die die Länder nicht ausdrücklich ausführen können oder | |
wollen. Die Länder geben deshalb – wenn überhaupt – Kompetenzen an den Bu… | |
ab und nicht umgekehrt. Und: Die Länder nehmen einen Großteil der Steuern | |
ein und bezahlen den Bund und nicht umgekehrt. | |
Hinzu kommt das Fehlen einer föderalen Kultur. Auf der Rechten bestimmten | |
und bestimmen die Nostalgiker eines einheitlichen und großen Spaniens das | |
Bild. Weite Teile der Linken waren, als der Staat der Autonomien entstand, | |
vom Jakobinismus geprägt. Und die Nationalisten in den „historischen | |
Nationen“ Baskenland, Galicien und Katalonien wollte erneut Sonderrechte, | |
wie sie sie in der Republik der 1930er Jahre, die im Bürgerkrieg endete, | |
erstritten hatten. | |
## Kein echtes regionales Bewusstsein | |
Außerdem fehlt es in den nicht historisch gewachsenen autonomen Regionen | |
weitgehend an einer parteiübegreifenden regionalen Identität. Während | |
Basken und Katalanen ihr eigenes Land aufbauen, gibt sich so manche der | |
neuen Regionalregierungen, ob links oder rechts, als Verteidiger des | |
wahren, monolithischen Spaniens. Das bringt Stimmen. | |
Klientelwirtschaft macht fehlendes regionales Bewusstsein wett. Die beiden | |
großen Parteien, die sozialistische PSOE und die konservative Partido | |
Popular (PP), nutzen die regionale Macht nur allzu gern als Rückzugsgebiet, | |
wenn sie in Madrid in die Opposition geraten. Gleichzeitig haben sie | |
Gefallen an den Regionalverwaltungen gefunden. Denn mit ihrer Hilfe können | |
sie ihre eigenen Eliten pflegen – je mehr Kompetenzen und je größer der | |
Haushalt, umso größer ist der finanzielle Spielraum dafür. Oft endete dies | |
mit weit verzweigten Korruptionsnetzwerken, wie etwa mit der PSOE in | |
Andalusien oder der PP in Valencia und Madrid. | |
Wobei wir wieder beim Thema Coronavirus und Gesundheitssystem wären. In der | |
Region Madrid haben die Konservativen privatisiert, wo es nur ging. | |
Natürlich wurden dabei die eigenen „Amigos“ bevorteilt. Die | |
Gesundheitsausgaben stiegen, da private Dienste teurer sind als | |
öffentliche. Die Qualität des öffentlichen, für alle zugänglichen | |
Gesundheitssystems nahm ab. Die Folge: [3][Es gibt weniger Betten] und | |
weniger Personal. Die Partei soll im Privatisierungsprozess, so die | |
Ermittler, Millionen aus dem Gesundheits- und auch aus dem Bildungssystem | |
in die eigene Kasse umgeleitet haben. | |
Jetzt, wo die Krise zeigt, wohin diese neoliberale Politik geführt hat, | |
macht nicht nur in Madrid die Regionalregierung die Zentralregierung für | |
Material- und Ressourcenmangel verantwortlich. Was sie dabei verschweigen: | |
Das spanische Gesundheitsministerium hatte vor der Ausrufung des | |
Alarmzustandes Mitte März so gut wie keine Befugnisse. Alles lag bei den | |
Regionen. | |
Sobald das Virus bezwungen ist, wird Spanien wohl kaum um eine Debatte über | |
das Gesundheitssystem und um die Rolle der Regionen herumkommen. | |
Dezentralisierung ist nicht dazu da, um unter Blitzlichtgewitter Brücken | |
einzuweihen und Freunde zu bevorteilen, sie verlangt vielmehr nach | |
Verantwortung in guten wie in schlechten Zeiten. | |
14 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Wirtschaftshilfen-in-Corona-Krise/!5674589 | |
[2] /Spanien-streitet-um-Corona-Massnahmen/!5673547 | |
[3] /Virus-in-Spanien-schon-seit-Februar/!5669492 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Spanien | |
Katalonien | |
Madrid | |
Spanien | |
Spanien | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Bedingungsloses Grundeinkommen | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuwahlen in Spaniens Hauptstadtregion: Madrid muss im Mai an die Urnen | |
Die Regionalchefin wollte mit der Parlamentsauflösung einem | |
Misstrauensantrag zuvorkommen. Den Ciudadanos droht der Absturz. | |
Einkommen in Spanien: Knapp unter dem Mindestlohn | |
Die Corona-Pandemie verschärft die Armut in Spanien. Die Regierung will | |
gegensteuern – und diese Woche ein Mindesteinkommen beschließen. | |
Spaniens Politiker Julio Anguita: Der rote Kalif ist tot | |
Der Politiker Julio Anguita hat die spanische Linke jenseits der | |
Sozialdemokratie geprägt. Der 78-Jährige erlag den Folgen eines | |
Herzinfarkts. | |
Mindesteinkommen in Spanien: Bis zu 500 Euro Stütze | |
Erstmals gibt es in Spanien eine Sicherung für finanziell Schwache. Drei | |
Millionen Menschen könnten davon profitieren. | |
Spanien plant Grundeinkommen: Lebenslang Geld für jeden | |
Die Corona-Pandemie könnte es möglich machen: In Spanien plant die | |
Regierung Sánchez ein lebenslanges Grundeinkommen für alle. | |
Spanien streitet um Corona-Maßnahmen: Nichts als Polemik | |
Erst forderte Spaniens Rechte massiv Ausgangssperren. Seit sie da sind, | |
wittern sie eine kommunistische Diktatur mit Ministerpräsident Pedro | |
Sánchez. | |
Covid-19-Epidemie in Spanien: In Krankheit zerstritten | |
Spanien verlängert die Ausgangssperre. Parteien machen sich gegenseitig für | |
die hohe Fallzahl verantwortlich. 1.300 Tote allein in Altersheimen. |