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# taz.de -- Die steile These: Lasst die Geisterspiele beginnen!
> Beim Fußball geht es um Emotionen, aber vor allem um Profit.
> Geisterspiele, ohne Zuschauer*innen sind da nur konsequent.
Bild: Statt Jubelrufe und Bierdusche nur gähnende Leere im Rudolf-Harbig-Stadi…
Wer in den vergangenen Wochen an Fußballentzug litt, konnte sich zumindest
damit behelfen, einige Fragen aus dem sportlichen Gestern zu klären: Hat
sich die Libero-Taktik tatsächlich überholt? Hätte auch Uwe Seeler schon
ein Millionengehalt verdient gehabt? Und natürlich: Welcher WM-Triumph der
„Mannschaft“ war denn nun wirklich am schönsten? Viele Onlineangebote
stellten aus Mangel an aktuellen Spielen Historisches als „re-live“-Stream
oder Retro-Fußballticker bereit – vorzugsweise Spiele mit deutscher
Beteiligung, die WM 1970, die EM 1996 oder die WM 2014.
Dieses Recycling zeigte aber vor allem eins: wie groß der Wunsch ist, dass
es endlich weitergeht.
Wie es mit dem Profifußball weitergehen könnte, ist für viele eine Frage,
die in ihrer Dringlichkeit fast mit der Relevanz deutscher
Spargeldiskussionen konkurriert. Nachdem Bund und Länder am Mittwoch
entschieden hatten, Großveranstaltungen bis Ende August zu untersagen, hat
die Debatte über [1][Geisterspiele] neues Futter gekriegt: Sollen die
Spiele auch ohne Fans gespielt werden oder ist das für die Volkssportart
Nummer eins unzumutbar?
Dabei ist klar: Zuschauer*innen wären immer dabei – zumindest vor den
Empfangsgeräten. Wie die vergangenen Wochen zeigten, sind diese sogar
bereit, sich Spiele anzusehen, deren Ergebnis sie bereits kennen. Natürlich
können und sollen Geisterspiele deshalb stattfinden, sofern dies
gesundheitlich vertretbar ist. Vor dem Fernseher können alle zuschauen, und
auch die Medien hätten mal wieder andere Themen als Virologen-Scharmützel
und Mundschutzpflicht. Also lasst die Geisterspiele beginnen! Und dann
macht am besten gleich eine dauerhafte Einrichtung daraus.
## Fußball ist eine Unterhaltung, die es zu verkaufen gilt
Die Gegner*innen von diesem Konzept sehen das natürlich anders: Fans
machten doch schließlich den Sport aus. Auf den Fußball, kann man sagen,
trifft das in besonderem Maße zu: Ganze Innenstadtbereiche werden
abgeriegelt, damit sich diese und jene Fangruppe nicht in die Quere kommen.
Polizeihundertschaften dürfen ihre Wochenenden damit verbringen, die
wenigen Fußball-Atheist*innen zu schützen und dafür zu sorgen, dass die
U-Bahn auch am folgenden Montag noch benutzbare Sitzbänke hat.
Aber hey, geht nicht auch Papa mit der elfjährigen Tochter ins Stadion, um
die Liebe zu dem unverwechselbaren Gemisch aus Bratwurstaroma und
Bierduschen an den Nachwuchs weiterzugeben? Auf die Familienfreundlichkeit
der deutschen Bundesliga verweisen gern jene, die meinen, dass gemeinsames
Fußballgucken als gesellschaftliches Ereignis zu verstehen sei. Und: Das
Spiel sei mehr als ein Wettkampf, die Emotionen beim Sport ermöglichten der
heutigen Gesellschaft gar ein kathartisches Erlebnis.
Versucht man, sich einmal aus dem emotionalen Strudel zu befreien und etwas
nüchterner darauf zu blicken, wird klar: Die Fans gehören im modernen
Fußball längst zum Produkt selbst: Sie werten es auf, steigern dessen
Verkaufssumme, schaffen einen Resonanzraum. Die spektakulären Choreografien
und lautstarken Fangesänge aus den Ultra-Blöcken mögen für ihre
Urheber*innen übergeordneten Wert besitzen. Deren Bedeutung für die
Sportler*innen sollte man aber nicht überschätzen. Wichtiger sind sie
für den Verkauf der Fernsehbilder – die „einzigartige Atmosphäre“, die …
den Kommentator*innen am Spielfeldrand beschworen wird, erhöht den
Marktwert. Und doch sind die Fans vor Ort dabei nicht mehr als ein Zusatz,
der nicht vom eigentlichen Zweck des Geschehens auf dem Rasen ablenken
sollte: der Unterhaltung, die es zu verkaufen gilt.
Lange blieb in der Öffentlichkeit aber nahezu unbemerkt, wie fragil das
wirtschaftliche System ist, das der Profifußball sich da aufgebaut hat. Wer
nur auf die millionenschweren Fantasiesummen blickt, übersieht dabei oft
die Abhängigkeit der Clubs. Finanziert wird das System der schnellen
Gewinne und großen Ausgaben über Fernsehabos und Werbung. Eine kurzlebige
Methode, wie sich jetzt zeigt. Wie sonst ist es zu verstehen, dass
Fußballclubs, die mit vielen Millionen Euro Umsatz wirtschaften, nach
wenigen Wochen Spielpause bereits vor der Insolvenz zittern?
Im Gegensatz dazu haben die Amateurvereine keine hochdotierten TV-Verträge,
sie finanzieren sich über die Menschen, die ins Stadion kommen. Wie
übrigens auch die Sportarten auf den weiteren Rängen: Auch Handball,
Basketball oder Volleyball treffen die Einschränkungen zu Coronazeiten vor
allem wegen ausbleibender Ticketeinnahmen.
Dieser Unterschied zeigt: Fans sind nicht überall gleich bedeutend. Während
die einen das Überleben ihres Vereins durch ihr Eintrittsgeld direkt
sichern, werden die anderen nahezu vollständig von diesem entkoppelt.
Natürlich, auch sie ermöglichen dem Verein – optimistisch gedacht – etwas:
tolle Bilder und wertvolle Werbung für das zu verkaufende Produkt.
Zugespitzt könnte man sie aber auch als bessere Angestellte der
Fernsehanstalten bezeichnen – hilfreich und gewinnbringend, aber zur Not
geht es auch ohne. Gespielt wird für das Livebild.
Wenn die Proficlubs ihre Partien demnächst als Geisterspiele allein für das
Fernsehen austragen, ist das also nur konsequent: Solange das Geld fließt,
rollt der Ball. Diese einfache Erkenntnis ermöglicht es, den Profifußball
als das zu sehen, was er ist: ein mediales Spektakel mit gelegentlichem
Soap-Faktor. Mehr noch: Geisterspiele, oder nennen wir sie besser
„TV-Spiele“, sind die Reinform des kapitalisierten Profisportgeschäfts.
Es könnte also wirklich ganz einfach sein: Über die TV-Einnahmen und somit
die Abonnements, die so viele bereitwillig abschließen, ließen sich die
oberen Prozent des Fußballs finanzieren: jene Form des Ballspiels, die es
wert scheint, im Fernsehen übertragen zu werden.
## Geisterspiele sind keine Bedrohung, sondern eine Chance
Diese Erkenntnis anzunehmen hätte einige Vorteile. Natürlich, ein paar
Stadien dürften dann wohl zu groß sein, böten aber immerhin eine
hübsch-melancholische Kulisse. Die Deutsche Bundesliga müsste sich fortan
aber nicht mehr mit Landesbehörden streiten, wer denn nun die Kosten für
die immensen Polizeieinsätze trüge. Und – auch das sollte nicht
unterschlagen werden – die viel gelobten Emotionen, die Fußball-Großevents
bereiten, rufen bei Weitem nicht bei allen freudige Erwartungen hervor: Auf
Lärm, Gewalt, Diskriminierung, Schlägereien und Besäufnisse könnte man auch
verzichten.
Und auch das gemeinsame Fußballgucken wäre weiterhin möglich – vor dem
Bildschirm. Derzeit zwar nicht in der Fußballkneipe, wo der Mindestabstand
spätestens nach ein paar Bier nicht mehr einzuhalten ist. Aber
stimmungstechnisch lässt sich dieses Setting auch mit weniger Leuten im
Wohnzimmer oder der Gartenlaube nachstellen.
Geisterspiele sind also keine Bedrohung, wie der gruselerregende Name
vermuten lässt, sondern vielmehr eine Chance: Sie markieren die Quintessenz
des modernen Fußballs – geben wir ihm doch die Gelegenheit zur
vollständigen Entfaltung. Geisterspiele forever!
18 Apr 2020
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## AUTOREN
Felix Lorber
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