# taz.de -- Verbrechen unter Pinochet in Chile: Der Folter-Offizier von nebenan | |
> Vier Jahre lebt Walther Klug Rivera in einem kleinen Ort am Rhein. Dann | |
> kommt heraus: Er folterte und tötete einst in Chile für das | |
> Pinochet-Regime. | |
Bild: Gedenken an die während des Pinochet-Regimes politisch Verfolgten und Ve… | |
Vallendar ist ein idyllischer Ort. Die rheinland-pfälzische Kleinstadt | |
liegt unweit von Koblenz direkt am Rhein, das Ortsbild ist geprägt von | |
kleinen Fachwerkhäusern, großen Kirchen und verwinkelten Gassen. Vier Jahre | |
lebte hier unbehelligt ein Mann, der in Chile wegen mehrfachen Mordes | |
während der Pinochet-Diktatur verurteilt ist: Walther Klug Rivera. | |
Erst bei einer Reise nach Italien wurde der über Interpol gesuchte | |
Deutsch-Chilene im Sommer 2019 verhaftet. Anfang Februar hat Italien den | |
69-jährigen Offizier a.D. nach Chile ausgeliefert. Dort steht er jetzt | |
wieder vor Gericht. | |
In den ersten Tagen nach dem 11. September 1973, als General Pinochet sich | |
in Chile an die Macht putschte, richtete Walther Klug Rivera in den | |
Pferdeställen des 3. Infanterieregiment Los Ángeles im Süden Chiles ein | |
Gefangenen- und Folterlager ein. Nach [1][Berichten von | |
Menschenrechtsorganisationen] leitete der damals 23-jährige Oberleutnant | |
Klug dieses Lager, in dem Hunderte Gefangene [2][gefoltert und viele von | |
ihnen ermordet wurden]. | |
Überlebende Gefangene beschreiben Klug als besonders brutal und sadistisch. | |
Die chilenische Menschenrechtsanwältin Patricia Parra, die | |
Familienangehörige von mutmaßlichen Opfern gegen Klug vertritt, bezeichnet | |
ihn als einen der Hauptverantwortlichen für Folter und Mord in diesem | |
Militärstützpunkt. | |
Dennoch konnte Klug seine Karriere auch nach dem Ende der Diktatur 1990 | |
fortsetzen und stieg bis zum Oberst auf. Erst im Oktober 2014, kurz nach | |
seiner Pensionierung, verurteilte Chiles oberster Gerichtshof ihn | |
rechtskräftig zu einer Haftstrafe von zehn Jahren. Die Richter sahen es als | |
erwiesen an, dass Klug am Mord von sieben und dem Verschwindenlassen von | |
vierzehn weiteren Arbeitern 1973 beteiligt war, die in zwei | |
Wasserkraftwerken in der Nähe der Stadt Los Ángeles tätig waren. | |
## Die Miete? Kam immer pünktlich | |
Doch Klug entzog sich der Justiz. Im November 2014 erhielt er – dessen | |
Großvater aus Deutschland stammte – in der deutschen Botschaft in Santiago | |
einen deutschen Pass und floh kurz darauf aus Chile. Hätte die Botschaft | |
Klug die Ausgabe des Reisepasses verweigern können oder sogar müssen? | |
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, die Auslandsvertretungen prüften, | |
“ob der Antragsteller im deutschen Fahndungsbuch gelistet ist“, da das | |
einen Hinderungsgrund für die Ausstellung oder Ausgabe eines Passes | |
darstellen könne. Mit Fahndungslisten der Gastländer finde kein Abgleich | |
statt. | |
Da auch die chilenischen Behörden Klugs Flucht nicht verhinderten, kam er | |
Ende 2014 nach Deutschland und lebte seitdem über vier Jahre unbehelligt in | |
Vallendar. Das bestätigt die Vermieterin der Wohnung, in der er lebte, | |
gegenüber der taz. Sie beschreibt ihn als korrekt auftretenden Menschen, | |
der kein Deutsch sprach und es auch im Laufe der Jahre nicht gelernt habe. | |
Seine Miete habe er immer pünktlich in bar bezahlt – wenn er wegfuhr, auch | |
mal für ein paar Monate im Voraus. | |
## Pension trotz aller Verbrechen | |
Um Geld musste sich Klug nicht sorgen. Denn der chilenische Staat zahlte | |
ihm als pensioniertem Offizier jeden Monat eine Pension. Die Rechtsanwältin | |
Parra kritisiert die in Chile übliche Praxis, dass auch verurteilte | |
Militärs solche Privilegien genössen. Seinem Dienstgrad entsprechend erhält | |
Klug demnach bis heute ein Basisentgelt von umgerechnet rund 1.500 Euro | |
monatlich – etwa das Dreifache eines mittleren chilenischen Einkommens – | |
plus diverse Zulagen. | |
Warum Klug 2014 ausgerechnet in den 9.000-Seelen-Ort Vallendar kam? Ganz | |
klar ist das nicht. Zumindest aber hatte er in der Kleinstadt Kontakt zur | |
katholischen Schönstattbewegung, die im gleichnamigen Ortsteil ihren | |
Hauptsitz hat und als international aufgestellte Institution auch religiöse | |
Einrichtungen und Privatschulen in Chile unterhält. Im Umfeld der Bewegung | |
gab es schon einmal einen prominenten Chilenen: Der Erzbischof | |
[3][Francisco Cox], der in seiner Heimat des sexuellen Missbrauchs | |
beschuldigt war, hatte ab 2002 jahrelang in Vallendar Unterschlupf | |
gefunden. | |
Klug selbst war im März 2015 in der Marienschule, dem ortsansässigen | |
Mädchengymnasium der Schönstattbewegung, zu Gast im Spanischunterricht. Als | |
“Insider“, so [4][berichtete] das örtliche Lokalblatt Blick aktuell, habe | |
er den Schülerinnen seine Sicht auf Chile “näher“ gebracht, und “herrli… | |
Bilder“ bei ihnen hinterlassen. Die aktuelle Schulleitung bedauert im | |
Nachhinein, “dass dieser Verbrecher bei uns im Haus gewesen ist“. | |
Sie verweist darauf, dass die damalige Schulleiterin, die Lehrkraft und die | |
Schülerinnen inzwischen nicht mehr an der Schule seien. Vermutlich habe | |
niemand Klugs wahre Geschichte gekannt, heißt es in einer Stellungnahme der | |
Schule gegenüber der taz, “ansonsten wäre es nie zu diesem Besuch | |
gekommen“. | |
## Zehn Jahre Haft – bisher | |
Ein Schönstatt-Sprecher sagte der taz, dass nach seinem Kenntnisstand | |
“zwischen Herrn Walther Klug und Schönstätter Einrichtungen in Deutschland | |
und in Chile keine Beziehungen bestanden haben oder bestehen“. Nur an | |
spanischsprachigen Gottesdiensten in Schönstatt habe Klug teilgenommen. | |
Andere chilenische Gottesdienstbesucher hätten ihn erkannt und dem | |
chilenischen Konsulat gemeldet. Dort heißt es aber, es lägen keine | |
entsprechenden Berichte vor. | |
Gut vier Jahre verbrachte Klug im Rheinland. Erst als er Anfang Juni 2019 | |
mit seiner Partnerin nach Italien reiste, flog er auf. In einem Hotel in | |
Parma wurde er verhaftet. Grundlage dafür war ein 2015 erlassener | |
internationaler Haftbefehl aufgrund eines weiteren Verfahrens in Chile, das | |
bis heute läuft. | |
Dabei geht es um Klugs mutmaßliche Beteiligung an der Entführung und dem | |
Verschwindenlassen des 23-jährigen Studentenführers Luis Cornejo Fernández, | |
dessen Spur sich 1973 ebenfalls im 3. Infanterieregiment Los Ángeles | |
verlor. Für die rechtskräftige Verurteilung wegen der Morde an den | |
Arbeitern der Wasserkraftwerke hatte Chile bis dahin nicht über Interpol | |
nach Klug gesucht. | |
Anfang Februar wurde Klug schließlich von Italien nach Chile ausgeliefert. | |
Er sitzt dort in Untersuchungshaft und wurde im Verfahren um den | |
verschwundenen Studentenführer Luis Cornejo Fernández bereits dem Richter | |
vorgestellt. | |
Auch seine bereits rechtskräftige Haftstrafe von zehn Jahren für die | |
Ermordnung und das Verschwindenlassen der Arbeiter wird Klug in Chile | |
verbüßen müssen. Weitere Verfahren könnten folgen. | |
## Deutschland bleibt Antworten schuldig | |
Offen bleiben Fragen an die deutsche Justiz. Aus der Antwort auf eine | |
Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Jan Korte (Linkspartei) geht | |
hervor, dass der Bundesregierung und dem Bundeskriminalamt bereits seit | |
2015 ein Interpol-Fahndungsersuchen gegen Klug vorlag. Allerdings, so heißt | |
es da, wurde “in Deutschland wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des | |
Verfolgten“ nicht nach Klug gefahndet. Dabei wird auf Artikel 16 Absatz 2 | |
des Grundgesetzes verwiesen, wonach deutsche Staatsangehörige nicht an | |
Staaten außerhalb der EU ausgeliefert werden. | |
Eigenständige strafrechtliche Ermittlungen seitens der deutschen Justiz | |
gegen Klug wären jedoch möglich gewesen – und nach Kortes Ansicht “das | |
Mindeste, was man (…) hätte erwarten können“. | |
Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz im März 2016 die Aufnahme | |
von eigenständigen strafrechtlichen Ermittlungen gegen Klug geprüft – diese | |
aber verworfen. Laut Oberstaatsanwalt Rolf Wissen stand in dem damals | |
vorliegenden Interpol-Festnahmeersuchen für den Fall des verschwundenen | |
Studentenführers, “dass der Gesuchte 1973 in Chile ein Lager geleitet haben | |
soll, in das eine Person verbracht worden sei, die danach nicht | |
wiederaufgetaucht sei“. | |
Diese Tatvorwürfe seien nach deutschem Recht verjährt. Nur ein Mordvorwurf | |
wäre noch nicht verjährt gewesen. Dafür habe es jedoch keine ausreichenden | |
Anhaltspunkte gegeben, “da nicht klar ist, ob, wo, wie und durch wen die in | |
Chile verschwundene Person umgebracht worden ist“. | |
## Kein Einzelfall | |
Der Menschenrechtsaktivist Andreas Schüller vom European Center for | |
Constitutional and Human Rights meint dagegen: Nach so vielen Jahren ohne | |
Lebenszeichen von dem Studentenführer müsse man einen Mord in Erwägung | |
ziehen. Diese Prüfung sollte ein Generalstaatsanwalt vornehmen und von dem | |
könne man erwarten, “dass er weiß, dass in den 1970er Jahren unter anderem | |
in Chile Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden und dass er | |
Hinweise auf Taten in diesem Zeitraum und Kontext auch entsprechend | |
einordnen kann“. Schließlich gehe es nicht um Bagatelldelikte, sondern um | |
schwerste Menschenrechtsverletzungen und Staatsverbrechen. | |
Laut der 2010 in Kraft getretenen [5][“UN-Konvention gegen das | |
Verschwindenlassen“] stellt die systematische Praxis des | |
Verschwindenlassens ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. | |
Deutschland ist als Vertragsstaat angehalten, in solchen Fällen zu | |
ermitteln und einen entsprechenden Straftatbestand mit ausreichend langer | |
Verjährungsfrist ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. | |
Bis zum 28. März 2020 muss Deutschland der UNO einen Bericht über die | |
Fortschritte auf diesem Gebiet vorlegen. Der Linken-Abgeordnete Korte sagt: | |
Zumindest für die Zukunft müsse die Bundesregierung sicherstellen, “dass | |
Deutschland kein Safe Haven für flüchtige deutsche Diktatur-Verbrecher | |
ist“. | |
Denn Klug ist kein Einzelfall. So wurden auch in der Colonia Dignidad, der | |
deutschen Sekte im Süden Chiles, Oppositionelle gefoltert und ermordet. | |
Strafrechtliche Schritte zur Aufklärung sind in Deutschland im Sande | |
verlaufen. Über eine Wiederaufnahme der Ermittlungen unter anderem gegen | |
den ehemaligen Sektenarzt Hartmut Hopp, der in Deutschland lebt und als | |
Verbindungsmann zum chilenischen Geheimdienst galt, hat derzeit [6][die | |
Generalstaatsanwaltschaft Düssseldorf zu entscheiden]. Zuvor waren auch die | |
Ermittlungen zu diesem Fall eingestellt worden. | |
“Es fehlt der politische Wille. Auch wenn alle diese Taten schon länger her | |
sind, muss man da einen anderen Fokus darauf legen“, sagt der | |
Menschenrechtsaktivist Schüller. “Das einfach zeitlich auslaufen zu lassen, | |
das geht nicht.“ | |
26 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.memoriaviva.com/criminales/criminales_k/klug_walter.htm | |
[2] /Zum-30-Jahrestag-des-Abtritts-Pinochets/!5670432 | |
[3] /Kindesmissbrauch-in-Chile/!5540411 | |
[4] https://www.blick-aktuell.de/Vallendar/Insider-brachte-das-Land-Chile-naehe… | |
[5] https://www.verschwindenlassen.de/internationales-uebereinkommen-zum-schutz… | |
[6] /Anwaeltin-ueber-die-Colonia-Dignidad/!5655242 | |
## AUTOREN | |
Ute Löhning | |
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