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# taz.de -- Psychotherapeut über Telefontherapie: „Gespräche können stabil…
> Was Therapie jetzt bringt und was Menschen tun können, um psychisch
> gesund zu bleiben, erklärt Christoph Sülz von der Psychotherapeutenkammer
> Bremen.
Bild: Auf dem Spaziergang Fremde anlächeln, rät der Psychologe
taz: Herr Sülz, wie arbeiten Sie gerade?
Christoph Sülz: Sehr eingeschränkt. Meine Frau und ich stellen gerade
unsere Praxen auf Videobehandlung um und nebenbei betreuen wir unsere
Kinder. Den letzten Patienten habe ich am Freitag gesehen, das war der
einzige in der Woche. Am selben Tag hatte ich auch meine erste
Videobehandlung.
Wie lief die?
Erstaunlich gut. Wir hatten Probleme mit der Tonübertragung und mussten
parallel telefonieren, aber wir fanden beide, dass es funktioniert hat, wir
konnten sogar konkret etwas erarbeiten, nämlich, wie der Patient jetzt mit
seinen Ängsten umgeht. Er hat sich auch einfach gefreut, dass wir uns
sprechen konnten. Diese Rückmeldung habe ich auch von anderen bekommen. Sie
sind froh, dass es überhaupt weitergeht.
Das ist aber nicht per Skype, oder?
Um Gottes Willen, nein. Es gibt zertifizierte Anbieter mit hohen
Sicherheitsstandards, auch wenn ein Restrisiko bleibt, dass jemand gehackt
wird.
Was ist mit denen, die keine Möglichkeit der Video-Telefonie haben?
Es braucht dafür eigentlich nicht viel, einen Computer und eine Webcam. Die
Psychotherapeutenkammern setzen sich aber gerade sehr dafür ein, dass auch
Telefonate abgerechnet werden können. Bisher ist nur eine [1][Beschränkung
für Videobehandlungen aufgehoben] worden, vorher durften wir höchstens 20
Prozent der Behandlungen so machen. Ich glaube aber, dass viele Kollegen
und Kolleginnen jetzt in der Abwägung zwischen Wirtschaftlichkeit und der
Notwendigkeit zu helfen, sich für Letzteres entscheiden.
Aber ist so überhaupt noch Therapie möglich?
Der Gold-Standard ist natürlich der persönliche Kontakt, weil wir daran
glauben, dass der Wirkungsgrad einer Therapie von der Beziehung abhängt.
Und klar, ich kann jetzt mit einem Angstpatienten nicht ins Kaufhaus gehen,
damit er sich dort mit seinen Ängsten konfrontiert. Aber solche Übungen
kann man zum Teil auch in der Vorstellung machen. Das ist einfach das
Beste, was wir in dieser Situation tun können. Ich glaube, dass
therapeutische Gespräche jetzt eine stabilisierende Wirkung haben.
Brechen nicht jetzt viele Erkrankungen wieder so richtig auf? Gerade für
Menschen mit Ängsten oder Zwängen ist die Situation doch Gift für die
Nerven.
Einerseits ja. Andererseits bieten Krisen immer auch Chancen. Wir sind
gerade alle aus unseren Routinen herausgenommen und müssen uns neu
einrichten – was auch sehr ablenkt. Dazu können auch Symptom-Routinen
zählen. Mir hat gerade ein Kollege von einem Patienten erzählt, dessen
Waschzwang in den Hintergrund getreten ist, weil seine Hygieneregeln gerade
von allen befolgt werden …
Erscheinen in so einer Krisensituation vielleicht auch manche Probleme als
weniger wichtig?
Da ist etwas dran, ja. Es relativiert sich einiges. Vielleicht auch in
Beziehungen, die sich jetzt neu sortieren. Ich erlebe das selbst, dass ich
mit Menschen in engerem Kontakt stehe als vorher. Gleichzeitig verbringe
ich plötzlich mit meiner Frau so viel gemeinsame Zeit wie noch nie zuvor –
da brauchen wir neue Regeln im Miteinander zu Hause.
Auf der anderen Seite wird es Beziehungen geben, wo die [2][Konflikte jetzt
genau aufgrund dieser Enge erst richtig aufbrechen]. Und dann ist da keine
Therapeutin und kein Familienberater, mit deren Hilfe das gelöst werden
kann.
Ja, das ist für viele jetzt richtig schlimm. Die Beratungsstellen versuchen
wie wir, ohne den direkten Kontakt weiterzumachen, aber sie können dann nur
noch mit einzelnen Familienmitgliedern arbeiten. Und nicht alle, die Hilfe
brauchen, haben die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, oder jemand, der
solange auf die Kinder aufpasst. Die Berufsverbände arbeiten zudem noch an
einer Lösung dafür, wie Menschen eine Therapie neu beginnen können oder
sich akut behandeln lassen können. Bisher ist dafür ein erster persönlicher
Kontakt vorgeschrieben.
Gibt es etwas, was Sie Menschen raten können, wie sie psychisch gesund
bleiben?
Wenn ich an die denke, die jetzt in der ersten Reihe stehen – Ärztinnen,
Krankenpfleger, Polizistinnen und Feuerwehrleute, also die, die sich über
das normale Maß einsetzen müssen –, dann denke ich, es ist gut, wenn sie
jetzt auf sich aufpassen, viel mit Angehörigen und Freunden sprechen,
Pausen machen, etwas für ihren Körper tun. Sonst brechen sie alle zusammen,
wenn die Krise einigermaßen überstanden ist und sie loslassen können. Hier
braucht es jetzt schon Supervision und Begleitung.
Aber auch die anderen sind gefährdet, oder? Soziale Kontakte, auch auf
einer körperlichen Ebene, sind doch so wichtig, um etwa Depressionen zu
verhindern.
Das stimmt, deshalb sage ich auch allen, nutzt alle Kanäle, die ihr habt,
um in Kontakt zu bleiben. Man kann sich vielleicht nicht in den Arm nehmen,
aber mit Abstandsregeln sind ja auch Treffen weiter möglich. Und wer
niemand hat, kann die [3][Telefonseelsorge] anrufen. Es kann auch sein,
dass sich neue Kontakte ergeben. Wir haben zum Beispiel eine Nachbarin, von
der wir bisher kaum etwas mit bekommen haben. Jetzt kam sie auf uns zu und
hat gesagt, meldet euch, wenn ihr etwas braucht.
Am Wochenende habe ich es als sehr beängstigend erlebt, wie ich beim
Spazierengehen merkte, dass ich andere als Bedrohung wahrnahm und sie auch
Angst vor mir hatten als potentielle Überträgerin.
Das ging mir genauso. Menschen machen einen Bogen, drehen sich weg, gucken
sich nicht an. Ich rate dazu Fremde anzulächeln, zu grüßen, einander
anzugucken. Dadurch kann ich eine positive Erfahrung machen und mir
passiert nichts, das trägt.
Mehr konkrete Tipps, bitte.
Strukturen sind jetzt wichtig, gerade auch für Kinder. Wir haben mit
unseren beiden, sie sind fünf und acht, einen Tagesplan geschrieben, wo
alles draufsteht. Aufstehen, fertig machen, Lernzeiten, rausgehen. Wir
haben feste Medienzeiten und überlegen uns, was wir kochen wollen, wie wir
einkaufen. Und wir halten den Horizont klein. Wenn ich mir vorstelle, das
geht bis Weihnachten so, wird mir ganz anders. Also nur auf die nächsten
Tage schauen. Das ist wichtig, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu
erhalten, zu wissen, ich habe noch Aufgaben und Ziele, ich kann noch
gestalten, ich bin nicht hilflos und ausgeliefert.
Das ist vielleicht auch der Unterschied zu Menschen, die im Krieg leben.
Ja, danach frage ich auch meine Patienten und Patientinnen mit Ängsten. Was
heißt denn Katastrophe? Was haben die Bilder aus Italien mit meiner
Lebensrealität zu tun? Es ist wichtig, im Hier und Jetzt zu bleiben. Wenn
ich die ganze Zeit den Live-Ticker verfolge, kann ich nur panisch werden.
Deshalb rate ich auch zur strikten Nachrichten-Diät. Nur das verfolgen, was
für den eigenen Alltag und das eigene Handeln wichtig ist. Wenn es so klare
Anordnungen gibt wie jetzt die, das man sich nur noch zu zweit im
öffentlichen Raum treffen darf, dann kann das auch entlastend wirken. Ich
muss nicht spekulieren, was ich darf und was nicht. Unsicherheiten lösen
Angst und Panik aus.
24 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.bptk.de/begrenzung-von-videobehandlungen-aufgehoben/
[2] /Corona-Sorge-vor-haeuslicher-Gewalt/!5669124
[3] https://www.telefonseelsorge.de/
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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