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# taz.de -- Boliviens heikle Übergangsphase: Virus verschiebt Wahl
> Die Wahlkommission hat den Urnengang auf unbestimmte Zeit verschoben.
> Übergangspräsidentin Jeanine Áñez bleibt vorerst im Amt.
Bild: Letzte Woche: Ungewisser Weg: eiin bolivianisches Paar in den Straßen vo…
Bogotá taz | Die für den 3. Mai geplanten Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen in Bolivien sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Das hat
die bolivianische Wahlkommission am Samstag verkündet. Grund ist die
Coronavirus-Pandemie. Das Land ist seit der Rücktrittserklärung von
Präsident Evo Morales im November ohne gewählte Regierung.
Übergangspräsidentin Jeanine Áñez hatte kurz vor der Entscheidung der
Wahlkommission eine zweiwöchige Ausgangssperre angeordnet. Bolivien ist
nach Argentinien, Kolumbien und Honduras das vierte lateinamerikanische
Land, in dem die Regierung diese Maßnahme ergreift. In Bolivien sind 20
Infizierte (Stand Samstag) registriert.
„Diese Maßnahme macht es der Wahlbehörde unmöglich, die Wahl weiter
vorzubereiten“, sagte der Präsident des Obersten Wahlgerichts, Salvador
Romero, am Samstag in La Paz. Er setzte alle Wahlkampfaktivitäten aus. Mit
der Wahl im Mai sollten die Präsidentschaft samt Vize sowie 36
Senator*innen und 120 Abgeordnete bestimmt werden.
Bis auf die MAS-Partei von Ex-Präsident Evo Morales waren alle Parteien mit
der Verschiebung einverstanden. Deren Kandidat, Ex-Wirtschaftsminister
[1][Luis Arce] liegt in den Umfragen weit vorn: Zwischen ihm und dem
zweitplatzierte Carlos Mesa (Comunidad Ciudadana) sind demnach mehr als 10
Prozentpunkte Unterschied. Das bedeutet, dass Arce ohne Stichwahl Präsident
werden könnte.
## Umfragen sahen bisher Morales' früheren Vize Arce vorn
Im Gegensatz zu Morales gilt er als leise und nachdenklich. Gegen Arce wird
– wie gegen hunderte von Morales’ ehemaligen Mitarbeiter*innen – wegen
angeblicher Korruption und des Abzweigens staatlicher Gelder ermittelt.
Beweise dafür werden noch gesucht.
Seit den Unruhen nach der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober 2019 ist
Bolivien in einer Übergangsphase. Der linksgerichtete indigene Präsident
Morales wollte sich zum vierten Mal wieder wählen lassen. Schon seine
Kandidatur war umstritten. Denn die Bolivianer*innen hatten die dazu nötige
Verfassungsänderung per Referendum abgelehnt. Erst das Oberste Gericht
machte den Weg für eine erneute Kandidatur frei.
Die Wahl selbst war von Manipulationsvorwürfen überschattet. Morales
erklärte sich mit mehr als 10 Prozentpunkten Abstand zum Zweitplatzierten
Carlos Mesa ohne Stichwahl zum Wahlsieger. Darauf gingen Tausende auf die
Straßen und forderten erst eine Stichwahl, schon bald aber Morales’
Rücktritt wegen Wahlbetrugs.
Im November meuterten erste Polizisten, die größte Gewerkschaft entzog
Morales die Unterstützung und das Militär legte ihm den Rücktritt nahe.
Morales erklärte schließlich seinen Rücktritt und floh nach Mexiko. Seitdem
ist Áñez Übergangspräsidentin.
## Frühere Oppostionsführer erliegen Verlockungen
Anhänger von Morales sprechen von einem Putsch. Das Magazin New Yorker
schreibt jüngst in einem Artikel mit Titel „[2][Der Sturz von Evo
Morales]“: „Morales’ mutmaßlicher Wahlbetrug und dass seine Partei ohne …
Neuwahlen akzeptierte, machen es schwer, seinen Sturz einen Putsch zu
nennen. Áñez’ Verhalten macht es schwer, dies nicht zu tun.“
Áñez stammt aus einer Regionalpartei, die nur vier Prozent der Stimmen
errungen hatte. Da nach Morales' Rücktrittserklärung alle Politiker*innen
seiner MAS in der Rangfolge vor ihr auch zurücktraten, kam die
rechtskonservative zweite Vizepräsidentin des Senats zum Zug – und zog
bibelschwingend in den Präsidentenpalast ein. Ein Affront für Morales’
indigene Stammwählerschaft, die ihr Rassismus vorwirft.
[3][Áñez präsentierte zuerst ein rein weißes Kabinett und nominierte nur
auf Proteste hin eine indigene Ministerin nach]. Nach ihrem Amtsantritt
[4][begingen staatliche Sicherheitskräfte Menschenrechtsverletzungen] an
den meist indigenen Demonstrierenden – gedeckt von einem Dekret, das ihnen
Straffreiheit sicherte. Dabei starben mindestens 33 Menschen.
Áñez hatte stets gesagt, sie wolle nur Wahlen organisieren, das Land
befrieden und sich dann zurückziehen. Für das Übergangsmandat sind
eigentlich nur 90 Tage vorgesehen. Schon früh war abzusehen, dass die Zeit
kaum reichen dürfte, um Neuwahlen zu organisieren. Aber jetzt Áñez tritt
sogar bei der Präsidentschaftswahl an.
Sie traf bereits weitreichende außenpolitische Entscheidungen: So trat ihre
Regierung aus der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika
(ALBA), verkündete den Austritt aus UNASUR und den Eintritt in die
Lima-Gruppe. Sie verwies kubanische Mediziner*innen des Landes, brach die
Beziehungen mit Kuba ab und verwies spanische und mexikanische
Diplomat*innen des Landes.
## Religöser Fundamentalist will Präsident werden
Eine ähnliche Wende legte Luis Fernando Camacho hin, der nahezu aus dem
Nichts an die Spitze der Oppositionsbewegung kam. Als Präsident der
Bürgervereinigung der Tiefland-Stadt Santa Cruz – eine Art
Unternehmergremium – war er eine der treibenden Kräfte der Proteste. Er
stritt wie Áñez wochenlang jegliche politische Ambitionen ab. Im Dezember
gab er dann seine Kandidatur bekannt.
Er gilt als religiöser Fundamentalist. [5][Camachos Name taucht in den
Panama Papers auf]. Er soll drei Offshore-Gesellschaften geschaffen haben,
um Geld am Fiskus vorbei zu schleusen.
22 Mar 2020
## LINKS
[1] /!5031544/
[2] https://www.newyorker.com/magazine/2020/03/23/the-fall-of-evo-morales?utm_s…
[3] /Boliviens-neue-Uebergangsregierung/!5642198/
[4] https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/bolivia
[5] https://eldeber.com.bo/132260_el-oficialismo-recurre-a-papeles-de-panama-y-…
## AUTOREN
Katharina Wojczenko
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